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Politik
#Wahlkrampf #Stress
Aus ff 34 vom Donnerstag, den 23. August 2018
Twittern, posten, provozieren: Die Fantasie der Kandidaten kennt keine Grenzen. Das Einzige, was im Wahlkampf zählt: auffallen um jeden Preis.
Bei Onkel Franz klopft es an der Tür. Rosi, seine Frau, öffnet. Na, Franz, schau, was für eine Überraschung! Der Landeshauptmann höchstpersönlich. Kommen Sie rein, nehmen Sie Platz. Wollen Sie einen Kaffee? – Nein, nein, vielen Dank. Ganz so viel Zeit bleibt nicht, ein paar Häuser sind noch abzuklappern. In dieser Straße, in der nächsten, im Viertel. In seinem Koffer hat er Flyer und einige Überraschungen, im Kopf Ideen, auf der Zunge ein paar Fragen. Wie geht es Ihnen? Was beschäftigt Sie? Bald sind Wahlen, wir brauchen Ihre Stimme. Ein paar Minuten später – und der Landeshauptmann höchstpersönlich ist wieder weg. Es ist Wahlkampf. Oder: Es war Wahlkampf. Damals – bevor Facebook in das Leben der Politik trat.
2008 galt als das erste digitale Wahlkampfjahr im Land. Auch schon wieder zehn Jahre her. Und gerade im digitalen Milieu sind Jahre bekanntlich Ewigkeiten. Damals war der Wahlkampf für viele Parteien hierzulande noch sehr analog – sie setzten auf Plakate, auf die Tour durchs Land. Sie setzten auf Händeschütteln und persönliche Briefe an die Bürger. Letztere dürften sich vielleicht mit immer teurer werdenden Briefmarken besonders für die kleinen Parteien erübrigt haben. Und Hausbesuche? Braucht man so etwas, wenn man seine Wähler auch mit tollen Bildern und Sprüchen über Facebook erreichen, wenn man Einladungen zu Veranstaltungen auch über WhatsApp verschicken kann?
Das digitale Zeitalter – haben wir alle schon gehört, wissen wir alle wie es geht, stecken wir doch alle mittendrin. Aber wie gehen die Kandidaten im Wahlkampf mit den sozialen Netzwerken um? Schaffen sie es, für Bürger wichtige Themen ins Zentrum zu rücken? Und ist ein politischer Diskurs über soziale Medien überhaupt möglich? Oder braucht es den vielleicht gar nicht, weil es im Grunde doch nur um Selbstinszenierung, Einwegkommunikation und Polarisierungen auf billigem Niveau geht?
Der Südtiroler Wahlkampf 2018 im digitalen Zeitalter – und ein Blick hinter die Kulissen.
#Die sozialen Medien:
Wenn wir „soziale Medien“ hören, denken wir wahrscheinlich zuallererst an Facebook. Es ist das größte, das verbreitetste und für die Parteien in Südtirol in diesem Wahlkampf das wichtigste Medium. Klickt man sich durch die Kandidatenlisten der Parteien, findet man von den meisten ein Profil auf dem amerikanischen Netzwerk. Viele sind schon seit Jahren angemeldet. Andere haben das Netzwerk erst seit Kurzem für sich entdeckt. Manfred Vallazza zum Beispiel. Der SVP-Kandidat hat inzwischen mehr als 1.000 Likes. Sein Profil ist noch nicht mal einen Monat alt. Und er ist nicht der Einzige. Da hat ihnen wahrscheinlich einer zugeflüstert: Ohne geht’s einfach nicht mehr. Und dabei ist Facebook zumindest für viele unter 30-Jährige so 2008.
Genutzt werden die Profile für ganz Unterschiedliches: Die Parteien stellen derzeit am liebsten ihre Kandidaten und Slogans vor. Wo die Südtiroler Freiheit in wenigen Stunden-Abständen ihre Netzwerke bespielt, muss die SVP die Rolle der sozialen Medien noch genauer festlegen. Zurzeit setzt sie vor allem auf Facebook und Instagram, weniger auf Twitter oder Snapchat. „Klar“, sagt Wahlkampfleiter Thomas Widmann, „ein Donald Trump ist über Twitter Präsident geworden. Aber das ist etwas völlig anderes: Wenn er etwas sagt, kann das die ganze Welt verändern.“ Ihre Image-Kampagne „Stabil. Stark. Südtirol!“, die seit einigen Tagen über Facebook, die Dolomiten und Radiospots läuft, bewerben sie trotzdem auf Facebook.
Ein weiteres Medium, das die Kandidaten und Parteien für sich entdeckt haben, ist Instagram, die Bilder-Plattform, die vor wenigen Jahren vor allem von Fotografen genutzt wurde. Heute tummelt sich so ziemlich jeder unter 30 auf dem Netzwerk, postet seinen frisch zubereiteten Chia-Himbeer-Smoothie oder seinen Hund beim Schlafen. Beides zieht immer. Hallo? Da kann die Politik ja wohl locker mithalten!
Gepostet werden: die Kandidaten mit coolen Hashtags wie #die Hilfsbereite oder #die Kraftvolle (SVP), Plakate mit aussagekräftigen Hashtags wie #insicherenhänden (Freiheitliche), junge Menschen bei der Arbeit (Young Greens) oder auch ein Bild vom Faschisten Ettore Tolomei, um zu verdeutlichen, dass die Orts- und Flurnamen aus Südtirol verschwinden sollen (Südtiroler Freiheit).
Vergangene Woche auf der Terrasse eines Bozner Cafés. Stefan Zelger, weißes Hemd, blaue Jeans, ein Espresso und das Tablet mit der Homepage-Seite seiner Partei, erzählt nicht ohne Stolz von den Zahlen, mit denen die Südtiroler Freiheit auftrumpft. Seit Beginn, also 2007, kümmere sich die Partei um den Internet-Auftritt in sozialen Medien. Das Resultat: „Innerhalb von zwei Monaten haben wir 2.000 neue Fans dazubekommen“, sagt er. Mit rund 16.000 Likes auf Facebook führt die Partei den Ich-hab-die-meisten-Fans-Wettbewerb an. Bei den Freiheitlichen sind es etwa die Hälfte, die SVP hat rund 6.000 und die Grünen etwa 2.000.
Zelger kommt aus dem Grinsen gar nicht heraus. Denn im Vergleich zu allen anderen Parteien habe die Südtiroler Freiheit noch etwas verstanden: Alle Kanäle nutzen, die es gibt. YouTube, Tumblr, Soundcloud, Flickr, Linkedin, Google+, WhatsApp und Pinterest. Dass der Account bei Pinterest zum Beispiel erst vor drei Wochen entstanden ist und Google+ wohl kein Mensch benutzt, sei mal dahingestellt. Hauptsache angemeldet.
Das Wichtigste, sagt der 33-Jährige, sei die Einheitlichkeit und Professionalität. Einheitlich ginge es bei der SVP zum Beispiel gar nicht zu. Da koche jeder sein eigenes Süppchen, und damit könnten die Wähler nichts anfangen. Noch dazu wenn „bei denen gerade die Facebook-Profile aus dem Boden sprießen wie Pilze“.
Na gut, der eine oder andere hat gerade Facebook für sich entdeckt. Aber immerhin: Bei der Recherche stößt man auch auf einen YouTube-Kanal der Volkspartei. Beigetreten 2008, 92 Abonnenten, 64.262 Aufrufe. Das letzte Video? Hochgeladen vor vier Jahren.
Bei solchen (Nicht-)Aktionen muss Harald Knoflach schmunzeln. Der Politologe, Blogger, Lehrer und Journalist aus Brixen beobachtet schon seit Langem das Agieren von Parteien in sozialen Netzwerken und sagt: „Ohne Inhalte geht’s nicht. Wenn ich nichts zu sagen hab, lass ich es lieber bleiben.“
Interessant findet er einzelne Kandidaten wie Herbert Dorfmann, EU-Parlamentarier und Bezirksobmann der SVP im Eisacktal. Zwar ist dieser für die Landtagswahlen nicht relevant, aber er schaffe es, mit professionellen Videos zu Themen Stellung zu beziehen. „Von solchen Leuten habe ich unter den Kandidaten bisher eher wenige gefunden.“
Auch spannend sei Paul Köllensperger, der erst vor einem Monat seine Kandidatur samt neuer Liste bekanntgegeben hat. „Und das hat er mit einer Liveübertragung aus dem Presseraum auf Facebook gemacht“, sagt Knoflach. „Das ist etwas Neues. Und das mögen die Leute.“
Einer der aggressivsten Wahlkämpfer, der sich auf den digitalen Plattformen exponiert, sei Otto Mahlknecht von den Freiheitlichen. Ständig bekomme er gesponserte Postings von ihm angezeigt. „Wahrscheinlich passe ich gut in sein Profil.“
So sieht also digitales Zeitalter aus. Waren es früher die Gespräche, die Briefe, die Stände in den Gemeinden, Plakate und Festbesuche, sind es heute Livevideos auf Facebook und Bilder mit Hashtags via Instagram. „Über WhatsApp lassen sich oft viel schneller und viel mehr Leute erreichen“, sagt Stefan Zelger von der Südtiroler Freiheit. Also basta, das war’s mit der Face-to-Face-Politik. Ab heute alles nur noch online.
Oder?
#Klinkenputzen
Eigentlich überhaupt nicht, hört man die meisten sagen. Im Gegenteil. Von Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore) bis Paul Köllensperger (Team Köllensperger) ist sich jeder einig: Der analoge Wahlkampf ist etwas, worauf man nicht verzichten kann. Das wusste schon Willy Brandt und klopfte an Türen. Barack Obama gewann 2012 mit dieser Strategie die Präsidentschaftswahlen. Und Emmanuel Macrons Bewegung „En Marche!“ wäre ohne diese altmodische Strategie (allerdings gekoppelt mit moderner Datenanalyse) wohl nicht so erfolgreich gewesen. In Südtirol kennt man derlei Hausbesuche am ehesten von der SVP, wenn ihre Funktionäre die jährlichen Mitgliederkärtchen wieder an Frau und Mann Südtiroler bringen will. Einen Wahlkampf in dieser Form, wo man nicht nur Broschüren, sondern auch einen guten Eindruck hinterlassen will, gab es bislang noch nie. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie an so mancher Haustür für einen Zeugen Jehova oder einen Wanderhändler gehalten werden.
Ulli Mair, Landtagsabgeordnete der Freiheitlichen, spottet, dass sich viele der Kandidaten erst jetzt vor der Wahl bei den Festen in den Gemeinden zeigten. „Der Sarner Kirchtag ist jedes Jahr. Aber viele haben sich die ganzen Jahre nie blicken lassen“, sagt sie und findet, die Bürger würden dadurch völlig unterschätzt. „Sich zu zeigen, teilzunehmen, das macht den größten Teil aus.“ Die 43-Jährige hält, was sie verspricht. Ob der Sarner Kirchtag, das Wiedergründungsfest der Schützenkompanie Wolkenstein, das Heimfest in Terlan – Ulli Mair ist dabei. Und postet die Bilder davon fleißig auf Facebook.
Nicht (mehr) so ein großer Fan des Klinkenputzens ist Alessandro Urzì. Einmal, erinnert er sich, habe er diese Hausbesuche gemacht. Das war 2015 bei den Gemeinderatswahlen. Zehn Tage fuhr er durchs Land und besuchte jeden Tag eine Familie, die sich nach einem Aufruf an die Bürger gemeldet hatten. Aber woher er in diesem Jahr die Zeit dafür nehmen solle, weiß er auch nicht.
Bei den meisten spielt der analoge Wahlkampf also nach wie vor eine tragende Rolle. Doch wenn wir ganz ehrlich sind: Plakate, Briefe, die Tour durchs Land? Solch einen Wahlkampf muss man sich leisten können.
#Die Kosten
Erst kommt die SVP, dann die Freiheitlichen, und dann kommt ganz lange nichts. Wenn es um die Kosten eines Wahlkampfes geht, ist jede Partei anders aufgestellt. „Leisten“, sagt die Co-Sprecherin der Grünen Brigitte Foppa, „kann sich den Wahlkampf niemand, auch nicht die SVP.“ Diese hat mit 790.000 Euro den größten Topf. Eingespart wird trotzdem, bei den Wahlplakaten etwa. Kosten zu viel. Sagt Wahlkampfleiter Widmann. Man setzt stattdessen auf „menschliche, persönliche Kontakte und innovativere und offenere Aktionen“. Schön gesagt.
Nach der SVP sind es die Freiheitlichen, die etwa 200.000 Euro in die Hand nehmen, gefolgt von den Grünen mit 50.000 und der Bürgerunion sowie L’Alto Adige nel cuore mit jeweils 20.000.
Team Köllensperger und die Südtiroler Freiheit können beziehungsweise wollen sich zu den Kosten nicht äußern. Doch während Köllensperger selbst noch nicht weiß, welches Budget tatsächlich auf ihn zukommt, da er den Wahlkampf mit kleinen Sponsoren stemmen wird, pulvert die Südtiroler Freiheit jede Menge hinein: Angefangen von Social Managern, die mit wenigen Klicks alle sozialen Medien bespielen, über eine neue Homepage, bis hin zu professionellen Videos, Werbeschaltungen, Plakaten, Briefen, Hausbesuchen. Der große Teil der Wählerschaft sind eben Senioren und die, so sagt Stefan Zelger, haben mit sozialen Netzwerken nicht ganz so viel am Hut. Also muss man sie anders umwerben, ganz klassisch. Und die Jugend? Keine Frage, die erreicht man über die sozialen Medien. Außerdem: Etwa 40 Prozent der Kandidaten ist selbst unter 30. Da hat man doch locker Chancen, die Jugend direkt anzusprechen.
#Das denkt die Jugend über Wahlkampf
Na ja. Facebook kennen wir alle. Kennen seit Jahren auch schon die Eltern und Großeltern, die dann öffentliche Kommentare unter Bildern hinterlassen, in denen steht: Mäuschen, komm doch mal wieder bei Oma vorbei! Wir haben dich schon so lang nicht mehr gesehen. Witzig? Vielleicht. Vielleicht aber auch ein bisschen peinlich oder unangebracht. Finden zumindest viele Jugendliche, die sich von Facebook schon seit Jahren verabschiedet haben, weil es mehr zu einer Großraum-Disco geworden ist, in der man ständig den Eltern begegnet. Vor einiger Zeit war es mal Snapchat. Inzwischen ist es vor allem Instagram, das die Jugend am liebsten nutzt. Ob sie sich darüber auch über die Wahl informieren? Sind sie überhaupt an Politik interessiert?
Zeno Oberkofler, Co-Sprecher der Young Greens, sagt: „Die Jugend ist kaum mehr an Politik interessiert. Sie hat ja sowieso nichts mit uns zu tun.“ Der 20-Jährige setzt sich selbst sehr für grüne Themen ein, betont im Gespräch aber immer wieder, dass die Young Greens unabhängig von der Grünen-Partei ist. Das Problem, das Jugendliche mit der Politik haben, sieht er vor allem darin, dass sie nicht ernstgenommen werden. „Kandidaten müssten überhaupt mal mehr Kontakt mit uns haben und nicht nur Jugendkandidaten aufstellen, um zu zeigen, wie jung sie sind.“ Den bisherigen Wahlkampf findet er nicht sonderlich ansprechend, warum auch, wenn es nichts mit der eigenen Wirklichkeit zu tun hat?
Auch Benjamin Pixner, Landesjugendsprecher der Südtiroler Freiheit, sagt: „Durch die schnelle Entwicklung und einfache Handhabe sozialer Netzwerke sind sie fast nicht mehr wegzudenken. Man kann fast schon sagen, sie sind in gewisser Hinsicht bereits heute schon wichtig, und ich glaube nicht, dass dies rückläufig sein wird.“ Dass auf einmal aber immer mehr Kandidaten Accounts eröffnen, findet er unglaubwürdig.
Bozen-Gries, ein belebtes Café, Samstagmorgen. Paul Köllensperger hat nicht viel Zeit, ein paar Stunden später muss er in Gröden sein, Wahlkampf. Mit den Leuten sprechen. Aber er braucht auch nicht viel Zeit. Der 48-Jährige ist einer, der glaubt, die Jugend verstanden zu haben. Mit seinem neu formierten Team will er den jungen Wählern auf Augenhöhe begegnen. „Viele haben das Gefühl, die Politik sei eine Parallelwelt, in der ihnen keiner zuhört“, sagt er. „Leider sind genau diese aus dem politischen Geschehen schon völlig ausgestiegen.“ Da das Team Köllensperger seinen Wahlkampf sowieso zu fast 100 Prozent auf soziale Netzwerke setzt, sieht er die Chance, dort mit ihnen in einen Diskurs zu treten und sie für Themen begeistern zu können.
#Die Themen
Mit seinem Team setze Paul Köllensperger in erster Linie auf Themen, die den Lebensalltag der Menschen betreffen: Sanität, Verkehr, Mieten, das Zusammenleben der Sprachgruppen. Themen, die die Regierung viel zu lange vor sich hergeschoben habe. „Reißerische Themen wie der Wolf oder die Flüchtlingsdebatte wird man in unseren Posts nicht finden“, sagt der Ex-Fünfsterne-Landtagsabgeordnete.
Das sieht bei den meisten anderen Parteien anders aus.
Zwar findet Alessandro Urzì von L’Alto Adige nel cuore, sein Wahlkampf habe schon vor fünf Jahren mit der Legislatur begonnen, doch auch er setzt jetzt immer mehr Posts in die sozialen Netzwerke. Seine Themen? Die, die „die Ängste der Bürger aufgreifen“ – Flüchtlinge, Armut, die Rolle der Italiener. Bei einem Gespräch kann er sich Seitenhiebe gegen den Landeshauptmann nicht verkneifen. „Ist es Rassismus, wenn er sagt: Italiener können manche Spitzenpositionen nicht machen?“
Die Rolle der Italiener hat für die Südtiroler Freiheit weniger Bedeutung, dafür aber die eigene Identität, Verkehr und Einwanderung – die Kernthemen, mit denen sie sich auch in den sozialen Netzwerken präsentieren. „Emotionale Themen gehen am besten“, sagt Stefan Zelger und legt Wert darauf, dass er alle Posts mit Fakten unterfüttert.
Die Bürgerunion um Andreas Pöder hat sich Sanität groß auf die Fahne geschrieben, die Grünen haben sich auf den Flughafen und die Raumordnung eingeschossen, und bei der SVP sind es im Grunde die Themen, die sie in Phase 1 ihres Wahlkampfes im Dreistufenmodell bereits mit ihrer Imagekampagne verbreiten: Heimat, Tradition und Stabilität. Die Imagekampagne beinhaltet Slogans wie „Südtirol ist ein guter Ort zu leben“, „Heimat Südtirol – Erhalten, was uns wichtig ist“ oder „Der Südtiroler Traum – Allen die gleichen Chancen“. Alles irgendwie ein bisschen schwammig, aber klingt gut. Die Grundbotschaft, die dahintersteckt, ist ebenso einfach wie banal: Südtirols Autonomie ist nichts Geschenktes und nichts Selbstverständliches. Dass das Land heute „eine der blühendsten Regionen Europas“ ist, sei unter anderem auch das Verdienst der SVP.
Und dann gibt es eben noch die Freiheitlichen. Ihr Lieblings-Hashtag: #insicherenhänden
Das Thema, das sie am meisten umtreibt: Einwanderung. „Die Masche mit dem Reiz“, sagt Paul Köllensperger. Das hätten die Rechtspopulisten in Europa für sich entdeckt – und hier auch die Freiheitlichen. „Klar kann man mit reißerischen Posts zu Flüchtlingsfragen viel generieren“, sagt er. „Das sind ja auch die Themen, die am meisten bei ihnen kommentiert werden. Aber die Frage ist: Was will ich damit erreichen?“ In der Landtagsabgeordneten Ulli Mair sieht er eine Person, die mit den Ängsten der Bürger spielt und diese ausnutzt. „Emotionen ja“, sagt er. „Aber diese nicht mit Kalkül hochkochen und aus der Unwissenheit der Bürger politischen Profit schlagen.“
#Das Spiel mit den Emotionen
Ulli Mair is feeling emotional. Und mit ihr tausend andere. Ulli Mair polarisiert. Die sozialen Netzwerke bespielt sie sowohl auf ihrem privaten Profil als auch in ihrer Partei-Funktion regelmäßig. Auf eines verzichtet sie dabei nie: auf Emotionen. „Die Leute sollen merken, dass ich authentisch bin.“ Sich verbiegen, etwas vorgaukeln – das sei nicht ihr Stil. Die Likes und Kommentare für manchen provokativen Post, den sie auf Facebook rausgeschickt hat, können manchmal schon an die 900 sein. Ein paar Beispiele? Gerne.
„Ich wurde heute auf dem Nachhauseweg unfreiwillig Zeugin eines skurrilen Vorfalls. Eine „kulturelle Bereicherung“ lungerte auf dem Gehsteig auf einem Fahrrad sitzend herum.“
„Mesut Özil ist aus der deutschen Nationalmannschaft zurückgetreten und rechnet mit Deutschland ab. Seinen „Bambi“, den er 2010 für Integration bekommen hat, sollte er auch gleich zurückgeben.“
„Derzeit im Bozner Bahnhofspark: Ist Bozen tatsächlich längst eine gesetzlose Zone? Was macht dieser Typ da bitteschön? Wenn ich mit dem Rad durch den Park gefahren bin, wurde ich sofort (zu Recht) von einem Stadtpolizisten zur Rechenschaft gezogen. Dieser Typ parkt sein Auto im Park und baut seelenruhig seinen Verkaufsstand auf. Bürgermeister Caramaschi und SVP, geht’s noch?!
Der Politologe Harald Knoflach aus Brixen beobachtet Ulli Mairs Social-Media-Verhalten schon seit Längerem. „Sie macht es sehr geschickt und gut“, sagt er. „Ob das jetzt für Politik und Demokratie ebenfalls gut ist, ist eine ganz andere Frage.“
Laut Knoflach wird das Idealbild von Politik gerne als emotionsfrei und rational gesehen. Als nüchtern und sachlich, wo Bauchentscheidungen verpönt sind. „Aber ohne Emotionen fehlt mir einfach die Überzeugung.“
Die Emotionen, die Politiker im Netz bei Usern hervorrufen, können positive oder negative sein und genau hier liegt die Crux: Denn wo führt es hin, wenn sich negative Gefühle im Netz immer weiter hochschaukeln?
#Lass die Hemmungen fallen, Baby
2017 führten Forscher der Universität Wien eine Studie durch, die sich mit den neu eingeführten Emoticons „Haha“, „Love“, Wow“, „Traurig“ und „Wütend“ auf Facebook beschäftigte. Sie werteten die User-Kommentare auf Politiker-Seiten aus und überprüften, welche politischen Parteien welche Emotionen in Form von Emoticons hervorrufen.
Dass Einwanderung ein emotionales Thema ist, das mit Posts viele Reaktionen hervorruft, hat Ulli Mair verstanden. Es sei keine Strategie, die dahinterstecke, sagt sie. Das sei einfach sie, mit ihren Emotionen und ihren Themen. Die meisten Kommentare dazu lese sie schon gar nicht mehr. Letztendlich sei jeder selbst verantwortlich für das, was er sagt und schreibt.
Es gab da auch noch eine weitere Studie von israelischen Forschern. Die haben zwei Gruppen vor Computer gesetzt und miteinander chatten lassen. In der einen Gruppe saßen sich die Chatpartner gegenüber, in der anderen in verschiedenen Räumen. Wenig überraschend, aber trotzdem interessant: Die sich direkt in die Augen schauen konnten, waren netter im Chat zueinander. Nicht so giftig, nicht so hemmungslos.
Soziale Medien, sagt Harald Knoflach, haben die Spielregeln der Politik, die Kommunikation untereinander, eindeutig und ganz massiv beeinflusst. „Das sieht man allein an Trump“, sagt er. „Der regiert über Twitter.“ Ganz so drastisch sei es in Südtirol nicht, der Wahlkampf und Umgang im Netz gehe noch human zu. Aber die Art und Weise der Kommunikation verkomme zu einer Art Junk-Verhalten.
Oft erkenne er, dass User nur Überschriften und Schlagzeilen lesen, die Posts dann kommentierten und das Risiko für Fake News ansteige. Auch sei interessant, dass viele Sätze von sich gäben, die sie im realen Leben niemals sagen würden. „Es gibt viele Kommentare, die einfach straffällig sind“, sagt er. Niemand von denen würde sich auf den Brixner Domplatz stellen und das laut in ein Mikrofon brüllen. Eine Art ethische Richtlinie im Netz, was geht und was nicht, gibt es laut Knoflach nicht.
#Rechtsfreier Raum – nicht.
In Südtirol gibt es aufgrund von Beleidigungen im Netz inzwischen auch schon ein paar Verurteilungen. Hass- und Drohbotschaften hat zum Beispiel Brigitte Foppa bereits erlebt, als sie sich im vergangenen Jahr zum Kruzifix-Verbot zu Wort gemeldet hatte. „Die Leute haben sich in ihren Kommentaren und mit den Likes bestätigen lassen“, sagt die Grünen-Abgeordnete. Das sei eine Kettenreaktion, die Grenzen des Sagbaren schnell sprengen könne. Auch im jetzigen Wahlkampf erkenne sie bei einigen das Überschreiten von Grenzen. Sie selbst kommentiert einiges, insbesondere wenn es um Sexismus oder Rassismus gehe. Kommentare gegen ihre Person lasse sie stehen. Auch Andreas Pöder von der Bürgerunion merkt an, dass man sich vor allem von den Jungen besonders kritische Kommentare gefallen lassen müsse. Aber löschen? Das macht er eher selten.
Auch die Kommentare zu den Slogans besagter Image-Kampagne der SVP sind auf Facebook nicht immer besonders schmeichelhaft. Zum Thema „Heimat. Erhalten, was uns wichtig ist“, heißt es unter anderem: „Bitte fängt nicht an wieder leere versprächungen zu reden beziehungweise zu schreiben, bis jetzt war nur euer Lohn oder Rente wichtig“ oder „Mit Euch sind wir in ein paar Jahren eine stinknormale italienische Provinz“.
„Selbständigkeit. Mehr Autonomie, mehr Südtirol!“ wird unter anderem so kommentiert: „Die svp lebt von ihrer geschichte, von helden wie im bild. Gegenwart versäumt und zukunft, oje“ und „Eure Vorgänger die unsere Autonomie aufhebaut haben, würden aich im. GRABE drehen wenn sie mit ansehen müssten wie Kompatscher und CO das Land an Rom und Pd verkauft hat“.
Man müsse sich überlegen, wo man die Meinungsfreiheit abstecke, sagt Harald Knoflach. „Wenn ein Kommentar auf Ulli Mairs Seite gelöscht wird, ändert das ja nicht die Einstellung der Person“, sagt er. „Und anderen nimmt es die Möglichkeit zu reagieren und zu sagen: Das wollen wir nicht.“ Widerspruch und Gegenrede, sagt er, halte er für einen großen Wert im Netz.
#Die Filterblase
Im Alltag umgeben sich die Menschen eher mit Gleichgesinntgen, als sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen. Wirkt irgendwie gesünder. Das sei im realen Leben genauso wie im Netz, sagt Knoflach. „Dort habe ich die Freunde, die ich will, like das, was ich mag.“ Und schwuppsdiwupps werden einem nur noch die Themen von Seiten in sozialen Netzwerken angezeigt, für die ich mich selbst interessiere. Und schwuppsdiwupps bekräftigt man sich in Positionen, ist Teil einer Gruppe, verliert den Blick für andere Meinungen und Realitäten. Das nennt sich Filterblase und betrifft die Nutzer genauso wie die Parteien. „Man bleibt auch als Partei in so einer Blase“, sagt Stefan Zelger von der Südtiroler Freiheit. „Aber wenn die Freunde der Freunde die Posts teilen, dann geht es ja trotzdem viral und ist ein Vorteil.“
Anders sieht es Andreas Pöder von der Bürgerunion. „Das ist ja kein Märchen mit der Blase. Und man löst das Problem nicht, wenn man gesponserte Nachrichten postet oder kauft“, sagt er. Stattdessen brauche man Methoden, um den Kreis zu durchbrechen.
Die digitale Seifenblase könne dabei helfen, die analoge zu durchbrechen, sagt Harald Knoflach. „Wenn ich mich real nur mit Leute aus einem Spektrum umgebe, kann ich es gerade in sozialen Netzwerken anders machen, Seiten liken, die andere Ideologien und Freunde haben, mit denen ich real nichts zu tun haben wollen würde.“
Doch de facto stecken viele der Parteien und Kandidaten in sozialen Netzwerken in solchen Filterblasen fest, weshalb sich alle einig sind: Auf das Gespräch mit den Menschen kann keiner verzichten.
#Social Media - nutzen oder verzichten?
Ob soziale Medien wirklich im Wahlkampf funktionieren, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Ja, sagt Stefan Zelger von der Südtiroler Freiheit. „Man muss es eben nur als Zusatz sehen, nicht als Ersatz.“ Auch Paul Köllensperger sieht große Vorteile, solange man nicht aus einem Innenministerium ein Propagandaministerium mache wie Matteo Salvini. „Die Kernaufgabe eines Politikers sei es, Lösungen anzubieten, nicht Hass zu schüren. „Eigentlich sollte man Werbung in der Politik sogar verbieten, denn letztendlich ist es eine Übertreibung eines Produkts.“ Wer das verstanden habe, wer soziale Netzwerke als digitale Orte sehe, um in einen politischen Diskurs zu treten, könne etwas verändern.
Auf allzu viel und aggressive Werbung will auch die SVP verzichten. Sie setzt auf persönliche Gespräche und Hausbesuche und bleibt nach wie vor beim Glauben: Der analoge Wahlkampf bringe am meisten. Ebenso die Grünen sehen das Bespielen von sozialen Netzwerken als einen Teilbereich, für den sie eine halbe Stelle und eine Praktikantin eingesetzt haben.
Harald Knoflach ist unschlüssig. „Es gibt verschiedene Studien“, sagt er. „Aber es ist unumstritten, dass Barack Obama 2008 soziale Medien so genutzt hat, dass sie Auswirkungen auf seine Nominierung hatten.“ Dann sucht er nach einer Zahl. „2008 wurden auf YouTube 14,5 Millionen Stunden von Obamas Videos angeschaut“, sagt er. Würde man sich 14,5 Millionen Stunden Fernsehwerbung kaufen, wäre das also ganz schön teuer. „Es kann sein, dass die Effekte der sozialen Netzwerke überschätzt werden, aber man kann es sich kaum leisten, sie auszusparen. Und wenn sie nur dazu da sind, präsent zu sein.“
Mitarbeit: Alexandra Aschbacher
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