Der junge Algunder Kletterer hat seinen Hundewelpen immer im Blick und liebt den Geruch von Wienerschnitzel.
Politik
Freunde im roten Schurz
Aus ff 37 vom Donnerstag, den 13. September 2018
Die SVP-Kandidaten sollen die Botschaft verkörpern: Stabiler und stärker als mit uns geht es in Südtirol nicht. In Wirklichkeit führt die Partei nicht einen Wahlkampf, sondern viele.
Wenn es um Wahlkämpfe geht, kann Thomas Widmann auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Zum fünften Mal kämpft er für die absolute Mehrheit seiner Partei im Landtag, einmal als Parteisekretär, dann als Landesrat, heute als Abgeordneter und Wahlkampfleiter. Seit seiner Premiere 1998 hat er viel erlebt. Themen kamen, Aufregungen gingen, doch eine Konstante zieht sich durch sämtliche SVP-Kampagnen: Stets drehte es sich in irgendeiner Form um die Frage, ob die große Partei wieder die absolute Mehrheit schafft oder nicht.
Dieser Wahlkampf 2018 bildet keine Ausnahme. „Dass dieses Land heute eine der blühendsten Regionen Europas ist, ist auch das Verdienst der SVP“, sagt Widmann.
Es ist ein Tag Ende August, und der 58-Jährige sitzt im oberen Stock des Batzenhäusl, eines der ältesten Gasthäuser in Bozen. Hier ist es ruhig, man hört nichts vom Mittags- und Touristenrummel. „Wir Südtiroler“, sagt Widmann, „haben ein massives Wohlstandsproblem. Und leider wissen nur noch die wenigsten, woher dieser Wohlstand kommt.“ Er sieht es als Auftrag, den Südtirolern das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie das alles zusammenhängt – Wohlstand, Autonomie, Stabilität. SVP. „Wenn wir es nicht schaffen, die Stabilität im Land zu halten, werden wir eine italienische Provinz.“
Vor ihm auf dem Tisch liegen Handy, Tablet und Notizbücher. Er ist einer, der seine Gedanken und Ideen noch gerne mit der Hand niederschreibt. Ohne die SVP, sagt er, sei Südtirol weder stabil noch stark. Davon sei er fest überzeugt. Auch deshalb engagiere er sich als Wahlkampfleiter.
Die Wahlstrategie der Edelweißpartei ist ebenso einfach wie banal: Sie arbeitet nach einem Dreistufenmodell. Denn wenn es um den Wahlerfolg geht, will die SVP nichts dem Zufall überlassen. Mittlerweile stecken Widmann & Co. bereits mitten in Phase zwei. Stilberatung für die Kandidaten, Sprech- und Interviewcoaching, politischer Nachhilfeunterricht, die mediale Imagekampagne „Stabil. Stark. Südtirol!“, die Verbreitung der Sonderausgabe der Parteizeitung Zis – all das ist abgehakt. Zurzeit geht es um die „Mobilisierung vor Ort“. Parteiobmann, Spitzenkandidat und Wahlkampfleiter touren von Bezirk zu Bezirk, stellen den Funktionären auf Orts- und Bezirksebene die geplanten Wahlkampfaktionen vor. „Wir brauchen unsere Funktionäre“, sagt Thomas Widmann. „Sie sind die Träger der SVP. Ohne sie gewinnen wir diese Wahl nicht.“
Der Höhepunkt dieser zweiten Phase steht unmittelbar bevor. Da wird der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz zu Gast unterm Edelweiß sein. Am diesem Freitagabend wird der 32-Jährige in der Produktionshalle von Stahlbau Pichler ein Impulsreferat halten zum Thema „Keine Experimente in unsicheren Zeiten“. Los geht es ab 16.30 Uhr. Das wäre an sich nichts Besonderes, wäre an diesem Tag nicht auch der Landtag einberufen und die Sitzung bis 18 Uhr auf dem Plan. Nun denn, wenn ein Bundeskanzler kommt, sieht man das unterm Edelweiß wohl nicht so eng. Wenngleich bei Weitem nicht alle SVPler eingefleischte Kurz-Anhänger sind.
Auch Zeno Christanell würde sich nicht als Fan bezeichnen. Der SVP-Kandidat gesteht dem jungen Österreicher aber auch zu, den Zeitgeist gut genutzt zu haben. Und dieser Zeitgeist ist pragmatisch, wenig empathisch. „Er hat es verstanden, bestimmte Themen wie die Migrationspolitik nicht einfach auszublenden“, sagt Christanell. Auch in diesem Land leben die Menschen „in zwei Blasen“, die Linken und die Rechten. „Wir müssen beide Seiten ernst nehmen und wieder näher zusammenbringen, bevor sie sich zu sehr radikalisieren.“
Der Naturnser Lehrer kandidiert das erste Mal für den Landtag – „auf der SVP-Liste zu kandidieren“, sagt er, „ist intensiv. Und eine riesige Herausforderung.“ Um vor fünf Jahren einen Sitz im Landtag zu ergattern, benötigte ein SVP-Kandidat knapp 7.000 Stimmen, und wer ganz vorne mitmischen wollte, mindestens 12.000 Stimmen. Christanell will es mit Inhalten versuchen, auf seine Themen setzen wie Bildung, Wohnen, Lohneinkommen. Sein Motto: „Gegen Zukunftsangst.“
Neben der Wahlstrategie, den Kampagnen und Aktionen der Partei muss jeder der 35 SVP-Kandidaten freilich auch seine eigene Strategie finden. Das Wahlsystem mit Vorzugsstimmen lässt gar keine andere Wahl. „Wir müssen im Team erfolgreich sein“, sagt Zeno Christanell, „und gleichzeitig musst du auch persönlich gut abschneiden.“
Dass da geschubst wird und Ellbogen eingesetzt werden, liegt auf der Hand. Jeder ist sich selbst halt doch der Nächste. „Wahlkampf“, heißt es im Enthüllungsbuch aus dem US-Wahlkampf „Mit aller Macht“, „ist nichts anderes als professionelles Catchen. Es ist Schau, es bedeutet gar nichts.“
Für ihre traditionellen Termine hat die SVP das Kurhaus. Das Gebäude in Meran wird dann gemietet, wenn es eine Landesversammlung gibt. Für ihre besonderen und bedeutungsschweren Anlässe gehen die Freunde unterm Edelweiß auf Schloss Sigmundskron. Es macht mehr her, ein toller Ort, um Geschichte und Zukunft auf ungezwungene Art zu verbinden.
Die Parteiführung hat Sigmundskron für den 22. September gebucht. An diesem Tag will die Partei den eigentlichen Wahlkampf beginnen lassen. Keine klassische Landesversammlung wie sonst, sondern ein „SVP-Familienfest“. Es läutet Phase drei des Wahlkampfes ein. In dieser, sagt der Wahlkampfleiter, gehe es „um jede Stimme und darum, bis zum Maximum zu mobilisieren“. Konkret heißt das: Klinkenputzen. Also Hausbesuche, die die 35 Kandidaten flächendeckend im Land machen, unterstützt von den Ortsobleuten oder Ortsausschussmitgliedern.
Josef Noggler ist weniger euphorisch bei dem Thema. Der Vinschger SVP-Abgeordnete bewirbt sich zum dritten Mal für ein Mandat im Landtag. Er ist einigermaßen abgebrüht, wenn es um das Wahlkämpfen geht, er kennt die Fallstricke und Schwierigkeiten einer Kandidatur auf der SVP-Liste. Es brauche eine gewisse Bekanntheit, ein bisschen Glück und ein Team aus guten Helfern, um den Hauch einer Chance zu haben. „Besonders in einem kleinen Bezirk wie dem Vinschgau ist es alles andere als leicht, gewählt zu werden“, sagt Noggler. Heutzutage sei alles noch sehr viel schwieriger – allein die Krankenhausdiskussion sei im Vinschgau nach wie vor nicht beendet.
Wird ein Krankenhaus wie Schlanders künftig wirklich nur noch ein Primariat (Innere Medizin) haben? Wirklich keinen ärztlichen Leiter mehr? Noggler ist überzeugt, dass dies eines der beherrschenden Themen in seinem Bezirk wird. „Wenn ein Krankenhaus keine Primariate mehr hat, sperrt es auf lange Sicht zu“, sagt der Politiker. Im Rahmen des Nachtragshaushaltes hatten einige SVPler der Fraktion die Regierung darauf hingewiesen, aber da gab es kein Durchkommen.
Noggler setzt im Wahlkampf auf persönliche Gespräche und sein persönliches Netzwerk an Unterstützern und Freunden – landesweit. „Jeder Wahlkampf ist anders“, sagt er, „auch weil die eigene Einstellung jedes Mal eine andere ist.“ In puncto Hausbesuche ist er noch etwas skeptisch. Wie die Partei das genau organisieren und bewältigen will, ist ihm noch nicht ganz klar. Man kenne die Methode ja, auch für die SVP-Mitgliedskärtchen gehe man von Haus zu Haus. Der logistische und zeitliche Aufwand, so Noggler, sei jedenfalls nicht zu unterschätzen. Einladungen zum Verweilen bei Kaffee oder Schnaps müssten die Kandidaten – theoretisch – im Sinne der Wahlkampf-Ökonomie ausschlagen. Die nächste Tür wartet schließlich schon. „Praktisch unmöglich“, sagt Noggler. „Wenn, dann muss man auch mal sitzen bleiben und einen Ratscher machen können. Sonst bringt das Ganze nichts.“
Laut derzeitigem Plan der Partei sollen die Hausbesuche vom 3. bis zum 18. Oktober stattfinden. Je ein Tag für einen Bezirk, zwei Tage für große Bezirke wie Pustertal und Bozen. An den Abenden sind dann Wahlfeste in den Hauptorten geplant.
Jeder der 35 Kandidaten musste für all das im Vorfeld 5.000 Euro in die Parteikasse einzahlen. Jene, die gewählt werden, müssen noch einmal circa 35.000 Euro hinblättern. Aber das ist noch nicht alles. Jeder Kandidat muss eine Bürgschaft von rund 60.000 Euro unterschreiben (für die Schulden der Partei). Die bisherige Alternative einer jährlichen Abgeltung von circa 3.500 Euro als Direktzahlung an die Partei gibt es allerdings nicht mehr.
Neu ist auch die verpflichtende Unterzeichnung einer sogenannten Bankgarantie – als Sicherstellung, dass auch ja jeder gewählte Kandidat künftig brav seine Parteiabgaben leistet. „Von besonderem Vertrauen in die eigenen Leute“, so mokieren einige SVPler, „zeugt das ja nicht gerade.“
Paula Bacher ist sich dieses finanziellen Aufwandes bewusst. Sie sagt auch, dass sie wisse, dass eine Kandidatur auf der SVP-Liste alles andere als eine gemähte Wiese ist. Die Brixner Kandidatin und Stadträtin ist seit 40 Jahren Mitglied der großen Partei: „Ich bin bei der SVP, weil sie eine Partei der Mitte ist.“ Sie habe sich das mit der Kandidatur sehr gut überlegt, und jetzt werde sie sich voll und ganz in den Wahlkampf stürzen. Ihre Wähler-Zielgruppe: Familien und Senioren.
Ein Büchlein „Paulas Lieblingslieder“ hat sie bereits zum Verteilen herausgebracht. Vergangene Woche stellte sie sich an einem Abend mit einigen Klapptischen und Plastikschüsseln in die Trattengasse und klebte Interessierten und Schaulustigen ein Tattoo von sich auf den Arm: „Paula wählen“. 5.000 Stück hat sie drucken lassen. „Klar“, sagt sie, „man muss sich auch was Besonderes einfallen lassen, ohne aber zu übertreiben. Und sich vor allem auch etwas für die jüngere Generation ausdenken.“
Zur Wahlkampfstrategie der Partei sagt sie nur so viel: „Einige Themen hätten wir als Partei früher, vor einigen Jahren schon ernst nehmen sollen. Die Menschen wollen wissen, wofür die SVP steht. Sie wollen Klarheit. Auch ich wünsche mir das.“
Rund 800.000 Euro hat die SVP als Wahlkampfbudget zur Verfügung. Einige befürchten jetzt schon, dass die Summe nicht ausreichen wird. Eine Wahlkampf-Kostendeckelung jedoch scheint keiner der Kandidaten im Vorfeld gefordert zu haben. „Muss mehr Geld ausgegeben werden, muss das erweiterte Wahlkampfkomitee informiert werden“, sagt Zeno Christanell. Er sitzt unter anderem dort drinnen. „Und auch dann müssen immer noch zwei Drittel der Kandidaten mit der Überschreitung der Kosten einverstanden sein.“
Eines der Wahlgeschenke der SVP ist ein roter Schurz mit kleinem weißem Edelweiß – gewissermaßen eine Neuinterpretation des blauen Tiroler Schurzes. Bei den Bezirkstouren mussten sich am Ende alle Funktionäre einen für ein schönes Gruppenfoto umbinden. Einst war der Schurz das Hauptkleidungsstück eines jeden Bauern, das Erkennungszeichen eines jeden echten Tirolers. Die Botschaft ist klar: Die SVP steht für Tradition. Und, so wie der blaue Schurz zu Südtirol gehört wie das Amen nach dem Gebet, so ist das eben auch mit der SVP. Böse Zungen lästern indes, die SVP wolle sich wohl bei der Arbeit die Hände nicht schmutzig machen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Thomas Widmann jedenfalls ist guter Dinge – und ganz in seinem Element. Die Nähe zu den Menschen, das Ausdenken und Umsetzen von Ideen, das gefällt ihm am Wahlkämpfen. Eine „große Provokation“, so erzählt er, habe die SVP, auch noch in petto. Kurz vor dem SVP-Fest auf Schloss Sigmundskron, sofern der Plan von der Partei genehmigt wird. Mehr verrät er nicht.
Insgesamt, sagt er, habe er ein gutes Gefühl für den Wahlkampf. „Was nicht automatisch heißt, dass wir die 50 Prozent schaffen. Man hat schließlich nur das Potenzial zur Verfügung, das im Moment halt da ist.“
Weitere Artikel
-
Alex vor dem Aus
Wirtschaft – Bergfestival IMS: (ml) Glaubt man den Verantwortlichen des Brixner Bergfestivals International Mountain Summit (IMS), ...
-
Liebe Leserin, lieber Leser,
es dauert ja nicht mehr lange, und es ist wieder Oktoberfest-Zeit. Überall in München sind dann wieder die Menschen in Tracht unterwegs. Selbst ...
Leserkommentare
Kommentieren
Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.