Politik

Die Postkastenwahl

Aus ff 40 vom Donnerstag, den 04. Oktober 2018

Illustration Postkasten
Parteien dürfen die persönlichen Daten der Wahlberechtigten aus den Wähler­listen der Gemeinden entnehmen. Man kann sich Wahlwerbung aber auch verbitten. © ff-Grafik
 

von Ariane Löbert

Lorenza – so wurde sie von der Volks­anwaltschaft im Fall 122 vom 23.02.2013 genannt – hatte ein Problem: „... mit Verwunderung finde ich auch heuer wieder in meinem Briefkasten an mich persönlich adressierte Wahlwerbung der verschiedenen Parteien. Ich bin weder Mitglied bei einer Partei, noch sonst irgendwie in einer Adressliste einer parteinahen Organisation eingetragen. Zudem ist auf dem Kuvert meine vollständige Adresse angegeben, inklusive interner Wohnungsnummer, die ich nie irgendwo angegeben habe. Aus diesem Grund komme ich zum Schluss, dass die Parteien meine Adresse nur von der Gemeinde direkt bekommen haben können. Ich möchte von ihnen wissen, ob die Gemeinde persönliche Daten der im Meldeamt eingetragenen Personen an Dritte weitergeben darf.“

Die Antwort der Volksanwaltschaft: Ja, die Gemeinde darf: „Parteien dürfen für ihre Wahlwerbung die persönlichen Daten der Wahlberechtigten zwar nicht aus den Meldeamtsverzeichnissen, wohl aber aus den Wählerlisten der Gemeinden entnehmen“.

Alles nimmt in der noch jungen Republik Italien mit dem Wahlgesetz Nr. 1058 vom 7. Oktober 1947 seinen Lauf, wo es unter Artikel 41 ganz lapidar heißt: „Jeder darf die Wählerlisten der Gemeinde kopieren, drucken oder verkaufen“ (sic!). In einer Zeit, in der Adressen mit der Schreibmaschine vervielfältigt wurden, konnte man sich vermutlich selbst in den kühnsten Träumen nicht vorstellen, dass 71 Jahre später der Adressenstamm von 388.357 Südtiroler Wählern (Stand März 2018) als E-Mail-Anhang verschickt werden kann – das Wort Datenschutz musste erst noch erfunden werden.

Der obige Satz übersteht alle Revisionen, und wenn heute Wahlsprengelpräsidenten im Südtiroler Bürgernetz nach Informationen zum Wahlrecht suchen, wird auf den Einheitstext Nr. 223 aus dem Jahre 1967 verwiesen, wo nach wie vor „kopiert, gedruckt und verkauft“ werden darf. Verkauft wird heute nur noch das Stimmvieh, und zwar für dumm, denn als die Parteien 2003 den Datenschutz gesetzlich regelten, ließen sie ihre eigenen Pfründe unangetastet. Verpackt in den eigenen Artikel 177, dürfen die Listen nur noch für geschichtliche und statistische Studien und in Zusammenhang mit dem aktiven und passiven Wahlrecht kopiert werden. Auf ein Wort eingedampft: Wahlwerbung.

Werbung machen die Gemeinden für diesen Service allerdings nicht. Auf der Homepage einer Südtiroler Gemeinde finden sich Informationen zu Müll- und Schlachthofgebühren, aber nicht, wie man an Wählerlisten kommt und was die Kopie kostet. „Für die Ausgabe der Wählerlisten kann die Gemeinde einen Spesenbeitrag von mindestens 35 Euro und höchstens 170 Euro verlangen“, schreibt auf Anfrage die Gemeinde Nals. Welschnofen beschließt im Februar 2010, den Preis für „Daten aus den Wählerlisten auf Diskette, mittels E-Mail, Endlospapier oder Fotokopien mit Euro 0,025 pro Namen festzusetzen“. Das Rundumsorglospaket mit gedruckten Etiketten kostet das ­Doppelte.

Bei 116 Gemeinden geht das schnell ins Geld, weshalb man sich für die Beschaffung der Adressen auf Landesebene unter dem Schamtuch der Verwaltungseffizienz einen besonderen Service überlegt hat: „Der Gemeindenverband stellt für die Gemeinden den Dienst zur Verfügung, dass für die anstehenden Wah­len und/oder Volksbefragungen die Daten aus den Wählerlisten den politischen Parteien und Gruppierungen auf entsprechenden Antrag ausgegeben werden (...). Durch diesen Dienst wird eine Leistung (...) zentral abgewickelt, und dadurch wird eine Vereinfachung und Entbürokratisierung erreicht“, schreibt der Geschäftsführer Benedikt Galler. Möglich macht es eine Delegierung des Bürgermeisters: „Aus diesem Grund wird jedes Jahr (...), in welchen Wahlen und/oder Volksbefragungen stattfinden, eine entsprechende schriftliche Beauftragung bei den einzelnen Gemeinden eingeholt“.

Wer wissen will, an welche Parteien die eigene Adresse weitergegeben wurde und was man ihnen wert war, beißt beim Verband auf Granit, da „der Gemeindenverband, laut seiner Satzung, ausschließlich Beratungstätigkeiten zugunsten seiner Mitglieder leistet. Aus diesem Grund werden normalerweise ausschließlich Anfragen vonseiten der Gemeinden bearbeitet“. Statt seine Bürger vor der Flut an Wahlwerbung zu schützen und es für Parteien teuer und aufwendig zu gestalten, übergeben die Ratsstuben, durch das Transparenzgesetz an Durchsichtigkeit gebunden, die Daten ihrer Bürger an eine privatrechtliche Genossenschaft namens Gemeindenverband, die nur mit ihren Genossen kommuniziert – und die Adressen für einen Apfel und ein Ei verhökert: 750 Euro plus MwSt. muss eine Partei für die Landtagswahl im Herbst auf den Tisch legen. Nimmt man den Preis der Gemeinde Welschnofen als Berechnungsgrundlage, werden sämtliche Wahlberechtigte eine Partei mehr als 7.700 Euro kosten, so aber fällt der Preis einer Adresse auf ein Zehntel; genauer: 0,3 Cent.

Inflationärer würde es nur noch, wenn auch der große Brocken Bozen mit seinen 76.642 Wählern enthalten wäre, während die laut Website des Innenministeriums 2.552 registrierten Wähler in Innichen nur geringen Einfluss hätten. Bozen und Innichen waren die einzigen Gemeinden, die keine Zustimmungserklärung an den Gemeindenverband gegeben haben – bezeichnenderweise beide nicht von SVP-BürgermeisterInnen regiert.

Für die Parlamentswahlen am 4. März 2018 hat die Südtiroler Volkspartei den Adressenhandel bereits in Anspruch genommen. Wer das „Spezial Parlamentswahlen 2018“ der SVP-Parteizeitung ZiS – Zukunft in Südtirol mit dem Konterfei der Romkandidaten in seinem Briefkasten fand, ohne eines der rund 37.000 SVP-Mitglieder zu sein, kann damit rechnen, im Herbst mit weiterer Post beglückt zu werden. Die schwierigen finanziellen Gewässer, in denen die Edelweiß-Partei seit Jahren navigiert, dürfte der Papierflut in den Briefkästen eine natürliche Grenze setzen, obwohl der Wahlkampfmanager der Volkspartei wie schon im Jahr 2003 Thomas Widmann heißt.

Wer sich Werbung aus der Bozner Brennerstraße für die Landtagswahl (und alle weiteren Wahlen) völlig vom Leibe halten will, hat die Möglichkeit, „die Einstellung der Zusendung von Werbematerial zu verlangen“. So wurde es 2005 vom Garanten für den Datenschutz in seinem Dekalog für wahlwerbende KandidatInnen und Parteien dekretiert, und so steht es auch im Impressum der ZiS. Allerdings hat das seinen Preis: 9,90 Euro kostet ein Einschreiben mit Rückantwort.

Den Musterbrief, sich Werbung zu verbitten, findet man zurzeit nur unter der Internetadresse www.garanteprivacy.it. Mit Inkrafttreten der europäischen Datenschutz-Grundverordnung DSGVO am 25. Mai dieses Jahres hat sich einiges geändert. Inwieweit sich überhaupt die neue DSGVO über das alte nationale Datenschutzgesetz stülpt und ob Gemeinden, Parteien und Gemeindenverband sich nun eventuell im rechtlosen Raum bewegen, scheint derzeit unklar: Die Verbraucherzentrale hat diesbezüglich eine Anfrage an den italienischen ­Privacygaranten geschickt.

Bei allem Protest zum Umgang mit der eigenen Adresse – mit der persönlichen Abmahnung ist das Problem nicht aus der Welt. Ist ein Datensatz einmal in freier Wildbahn, ist es fast unmöglich, ihn wieder einzufangen. So heißt es in der entsprechenden Bestimmung: „Die weiterreichende Verwendung der Daten, also jene außerhalb des Wahlzweckes (...) durch die politischen Parteien, Bewegungen und Gruppierungen liegt in deren Verantwortung“. Der Gemeindenverband darf sich so gesehen die Hände in Unschuld waschen.

Die SVP betont, Daten nicht an Dritte weiterzugeben, „mit Ausnahme jener externen Stellen (...), die mit dem Druck betraut sind“. Die Volkspartei lässt ihre ZiS bei der AthesiaDruck ihres Mitglieds Michl Ebner drucken. Ob die Adressdaten dort anderweitig verwendet werden, ist unklar. Auffallend ist jedoch, dass die BAZ – eines der Gratisblätter im Konglomerat der Bezirkszeitungen im Athesia-Konzern – auf die Frage nach der Herkunft ihrer Adressenlisten wie folgt antwortet: „Alter Adressenstamm (...) über die Jahre gesammelt.“ Wessen Name weder im Telefonbuch noch an der Türklingel steht, macht sich über die Zustellung der Bezirkszeitung so seine Gedanken.

Lorenza kann außer ihrem Widerspruch nur darauf hoffen, dass die DSGVO das postalische Datenleck stopft, denn der Garant für Datenschutz hat den Wahlwerbern 2005 so ziemlich jede Zustellung via moderne Kommunikationsmittel wie Fax, SMS, und E-Mail verboten, wenn zuvor nicht die Zustimmung des Empfängers eingeholt wurde. Als ­allerletzte Kampfmaßnahme bleibt dem geplagten Wähler noch die Umkehrung des bekanntesten Marketingspruchs: „Wer nicht wirbt, wird vergessen“ – beim Ankreuzen in der Wahlkabine.

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