Steinhart: Er ist das Relikt aus einer uralten Zeit, als die Vulkane tobten – der in der Naif-Schlucht gefundene Edelstein ...
Politik
Zwei am Abgrund
Aus ff 40 vom Donnerstag, den 04. Oktober 2018
SVP-Obmann Achammer und Landeshauptmann Kompatscher hat das Schicksal zusammengeschweißt. Die Geschichte eines Duos, über dessen Politik in drei Wochen abgestimmt wird.
Zuerst ist der Jüngere dran. Er macht seine Sache wie immer routiniert. Die SVP, sagt er zu den Journalisten, die in die Bozner Parteizentrale gekommen sind, die SVP stehe im Gegensatz zu anderen Gruppierungen für etwas – und sei nicht nur gegen etwas. Das liege in der DNA dieser Partei. Es sei schon kurios, das sagt er auch und lächelt, wie wenig in diesem Wahlkampf bislang über Themen und inhaltliche Programme geredet werde.
Die Kunst der Allgemeinplätze und die Kunst, flink zu formulieren, beherrscht Philipp Achammer, 33 Jahre alt, SVP-Parteiobmann und Bildungslandesrat, inzwischen aus dem Effeff. Seine Hände umklammern das Wahlprogrammheft, fast so, als müsse er Halt finden in diesem Moment.
Knapp 20 Minuten später ist auch Arno Kompatscher dran, 47 Jahre alt, aus Völs, und der andere Teil des SVP-Spitzenduos. Er darf jetzt noch einmal in seinen Worten die Leitlinien des SVP-Wahlprogramms zusammenfassen, darf erklären, wofür sich die große Partei die nächsten Jahre einsetzen will. Davor wendet er sich noch einmal dem Obmann zu, sagt: „Der Vortrag meines Parteiobmanns war wieder einmal perfekt. Bis auf das letzte Verb.“ Achammer hatte sich am Ende seiner Rede etwas unglücklich verhaspelt. Jetzt lacht er laut auf, Kompatscher lächelt milde: Alles nicht bös gemeint.
Es passiert nicht oft, dass sich das Verhältnis zweier Politiker in einer einzigen Szene verdichten lässt. Bei Philipp Achammer und Arno Kompatscher ist das am vergangenen Dienstag gelungen. Es war der Tag, an dem das SVP-Duo der Öffentlichkeit das Wahlprogramm ihrer Partei präsentierte. Der Landeshauptmann und sein Parteiobmann stehen in der Parteizentrale, nur der Landessekretär ist da von der Partei. Der Wahlkampf ist ganz auf das Spitzenduo abgestellt, es ist allgegenwärtig.
Stolz halten sie das gebundene und gedruckte Programm in die Kameras, 50 Seiten dick ist es, sechs große Themenblöcke enthält es: Heimat Südtirol, Autonomie/Selbstständigkeit, Zusammenleben, Lebensqualität, Für das ganze Land, Der Südtiroler Traum. Wenn der eine redet, hört der andere aufmerksam zu und nickt immer wieder zustimmend.
Kompatscher und Achammer sind seit knapp fünf Jahren ein vertrautes Duo. Zuerst wurde Kompatscher Landeshauptmann, dann holte er Achammer in sein Kabinett, und wenige Monate später wurde Achammer zum Parteiobmann gewählt. Professionalität beweisen, die Lage unter Kontrolle behalten, ja keine Fehler machen. Das sind die Regeln, mit denen die zwei angetreten sind. Kompatscher und Achammer arbeiten ordentlich zusammen. Was nicht heißt, dass sie sich immer einig wären. Es heißt auch nicht, dass sie sich nicht auch gegenseitig scharf im Auge haben. Da wird schon geschaut, wer seine Sachen besser unterkriegt in den Medien und wer mehr wahrgenommen wird.
Am 21. Oktober steht ihre Politik im ganzen Land auf dem Prüfstand. Es geht um viel für die SVP – und damit auch für die zwei. Jahrzehntelang war die große Partei mehr als eine politische Kraft, sie hat es geschafft, eins zu werden mit Land und Leuten. Vor fünf Jahren musste sie zusehen, wie ihr Mythos zerbröselt. Bei den Landtagswahlen kam sie nur noch auf 45,7 Prozent der Stimmen und damit nur noch auf 17 der 35 Landtagssitze – das historisch schlechteste Ergebnis. Das nahezu unerreichbare Ziel für die Wahl in rund drei Wochen ist klar: die absolute Mehrheit (zumindest das 18. Mandat) zurückgewinnen.
Diese erste Amtszeit war für Arno Kompatscher und Philipp Achammer die Einwärmphase. Nun folgt die Bewährungsprobe. Damals, 2013/14, legten sie sich die Latte sehr hoch: Sie präsentierten sich als „das Neue“ in der Südtiroler Politik. Bei den Wahlen erzielte Achammer mit gut 14.500 Stimmen das fünftbeste Ergebnis in seiner Partei. Er landete damit noch vor alten Recken wie Florian Mussner und Thomas Widmann. Ähnlich Kompatscher: 81.107 Südtiroler schenkten ihm damals das Vertrauen – 4.423 Vorzugsstimmen mehr, als Luis Durnwalder bei seinem ersten Antreten als Landeshauptmann-Kandidat erreicht hatte. Bei diesen Wahlen nicht besser abzuschneiden, wäre eine herbe Niederlage für das SVP-Duo.
Man kann beiden nicht vorwerfen, dass sie 2013 ohne Ideen in den Wahlkampf gegangen wären. Sie versprachen „eine neue Art der Politik“, auch einen neuen Umgang zwischen Partei, Landesregierung und Landtagsfraktion. Was ist aus den schönen Vorhaben geworden? Was waren die Albträume, was die Höhepunkte dieser ihrer ersten Amtszeit?
Ein Tag Anfang August, im Haus der Jugend in der Bozner Goethestraße. Eine Einrichtung für die Jugendvereine, gerade erst fertiggestellt und für jene Altersstufe gedacht, mit der sich Philipp Achammer von Anbeginn seiner Tätigkeit an „auf Augenhöhe“ sah. Hier zieht er an diesem wolkenverhangenen Tag Bilanz. „Eine halbe Stunde“, sagt er, „reicht bei Weitem nicht aus, um alles aufzuzählen, was wir erreicht haben.“
Es ist ein typischer Achammer-Auftritt, er redet frei, er streut das eine oder andere schlaue Zitat ein. Diesmal muss der Philosoph Ludwig Wittgenstein daran glauben, wenn der Landesrat über den Erwerb der zweiten Sprache redet: „Die Grenzen unserer Sprache sind die Grenzen unserer Welt.“ Kritik nimmt er den Wind aus den Segeln, indem er sie in seiner Rede vorwegnimmt. Mit den Leuten anzubandeln, heißt es, sei seine größte Fähigkeit. „Kompatscher ist nicht so kommunikativ wie er, Achammer redet mehr“, sagt ein SVP-Landtagsabgeordneter.
Auf den 33-jährigen Politiker aus Vintl kann man Wetten abschließen: Die Quote wäre freilich niedrig, würde man darauf setzen, welche rhetorischen Schleifen er im Gespräch oder bei Pressekonferenzen zieht. Er sagt dann zum Beispiel: „Ich sage es in aller Klarheit“, „Ich will ganz offen sein“ oder „Ich gebe zu“. So wie an diesem Tag im Haus der Jugend, als er sagt: „Ich gebe zu, ich wurde im Januar 2014 zu meiner Überraschung zum Landesrat gewählt.“ Aus seiner Unerfahrenheit vor fünf Jahren macht er eine Tugend: „Ich war nicht voreingenommen, habe mir alles angehört und eine eigene Meinung gebildet.“
26 „Bildungsdialoge“, 16 „Kulturperspektiven“ zählt der Landesrat auf. Die Kompetenz für die Lehrerausbildung. Unterricht in einer anderen Sprache, Clil genannt („Für die Dimension, die es hat, haben wir viel zu viele Stunden im Landtag diskutiert“). Der Wert der Mehrsprachigkeit („Lassen wir die Schulen tun, manchmal auch die Wege überdehnen“). Das Grundrecht auf musikalische Ausbildung (in den Musikschulen gibt es viel zu wenig Plätze). Der Umbau des Schulamtes in eine „Bildungsdirektion“. Mehr Bewegung und Sport. Integration („Fördert vieles, darf auch etwas einfordern“). Die Bildungsförderung („60 Millionen für Mensen, Transport und Stipendien“). Neues Kulturgesetz, neue Kriterien für Kulturförderung („Es braucht die Bereitschaft, für Kultur mehr Geld auszugeben“). Bibliotheksplan. Jugend und Jugendzentren („Lassen wir die Jugendlichen machen, lassen wir sie auch Fehler machen“).
Im Publikum sitzen Achammers Mitarbeiter, er umschmeichelt sie: „Ich habe wunderbare Mitarbeiter, auf sie kann ich bauen.“ Auch die Bosse der großen Kulturverbände, wie Theaterverband oder Sängerbund, sitzen im Publikum als stumme Zeugen für seine Arbeit. Manche Mitarbeiter geraten ins Schwärmen, wenn sie vom „Philipp“ reden, manche sorgen sich um seine Gesundheit. Der Treueste der Treuen ist sein persönlicher Referent Dietmar Pattis. „Wasserträger“ nennt man im Radsport die Fahrer, die für den Chef den Sprint anziehen, ihm aus der Patsche helfen, wenn er schwächelt. Achammer dankt auch seiner Ex-Ressortleiterin Vera Nicolussi. Von ihr trennte er sich im Streit, man einigte sich außergerichtlich. Mit Armin Gatterer folgte ihr ein Mann, der loyal bis zum Anschlag ist und sein Werk geräuschfrei im Hintergrund verrichtet.
Mit der Zuständigkeit für Schule und Kultur lässt sich allerdings nicht leicht eine Hausmacht schaffen. Kultur- und Schullandesräte haben bei Wahlen nie besonders gut abgeschnitten. Deshalb umwirbt Achammer Lehrpersonen und Kindergärtnerinnen mit warmen Worten: „Mir liegt immens viel an der Stärke der Lehrpersonen.“ Er gibt sich als Kämpfer für die Kindergärten aus: „Ich habe mit Christa Messner (Inspektorin, jetzt in Pension) eine energische Kämpferin für den Kindergarten erlebt und bin Seite an Seite mit ihr vorangegangen.“
„Er ist ein starker Moderator“, sagt ein Parteifreund über ihn. „Weniger ausgeprägt ist sein Durchsetzungsvermögen.“ Man sollte ihn dennoch nicht unterschätzen: „Sein Machtbewusstsein“, sagt der grüne Landtagsabgeordnete Hans Heiss, „seine Fähigkeit, Mitarbeiter an strategischen Stellen zu platzieren, seine Fähigkeiten, Netzwerke zu knüpfen, sind erheblich.“
Vom ehemaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt stammt der Satz, dass sich ein Kanzler ohne Rückhalt des Parteivorsitzenden keine 14 Tage im Amt halten könne. Dasselbe gilt auf für das SVP-Duo. Und wenn man sich im Land umhört, kommen selbst skeptische Beobachter mindestens zum Ergebnis, das Duo Kompatscher-Achammer habe sich „gut eingespielt“. Natürlich hat es ein paarmal geknirscht zwischen den beiden. Aber statt saftiger Nachrichten für die gierige Medienmeute gab es allenfalls ein paar Krümel zum Aufpicken.
Der Hintergrund der beiden könnte verschiedener kaum sein. Kompatscher, der Jurist, ehemaliger Bürgermeister und Unternehmer: im wirtschaftlichen Milieu zu Hause, Vater von sieben Kindern, als Student politisch noch ziemlich links, er spielte mal Trompete in der Musikkapelle, sang in seiner Band „Dalek“ und hatte auch mal blaue Haare.
Achammer, Spross einer Gasthausfamilie, Studium-Abbrecher, Chorsänger und bei der SVP, seit er 16 ist. Er war der jüngste Landessekretär, ist der jüngste Landesrat und der jüngste SVP-Parteiobmann. Wie sein Freund, der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, war er immer schon in der Politik und versucht gleichzeitig doch, den Eindruck zu erwecken, als hätte er sie erst gestern zum Beruf gemacht.
Kompatscher und Achammer schätzen einander, auch wenn sie Distanz halten. Sie loben sich gegenseitig, sprechen von Respekt. Der Landeshauptmann, sagt Landesrätin Waltraud Deeg, die mit beiden in der Regierung sitzt, habe einen „unheimlichen Weitblick“ und eine „schnelle Auffassungsgabe“. Gewissenhaft und zielstrebig sei er. Dasselbe sagt sie von Achammer.
Die zwei ticken ähnlich. Sie zählen zum lächelnden, immer Bescheid wissenden und mediengerechten Politikertyp. Europäisch, weltoffen, modern, oft aber auch etwas weichgespült, einer, der leicht wegflutscht. Manch einer in der Partei bedauert, dass sich Obmann und Landeshauptmann nicht mehr unterscheiden. Wenn zum Beispiel einer etwas kantiger, ja, oft auch konservativer und „volkstumspolitischer“ auftreten würde.
Der Landeshauptmann weiß um diese Kritik, sagt aber auch: „Obmann und Landeshauptmann haben eine klare Rollenteilung. Zwischen dem Philipp und mir läuft das alles sehr gut.“ Reibungsflächen seien ab und zu freilich da, aber nur weil ein Landeshauptmann und ein Parteiobmann oft eben unterschiedliche Interessen zu vertreten hätten. „Der Philipp und ich vertreten beide die Grundwerte der SVP. Wir versuchen, im Dialog etwas für dieses Land zu erreichen.“
Zweiter Stock im Palais Widmann, im Büro des Landeshauptmannes, an einem Tag Ende September. Der 47-Jährige Landeshauptmann wirkt gut gelaunt, er ist in Plauderstimmung, was nicht heißt, dass er jetzt alle Fragen beantwortet. Er hat wenig Zeit in diesen Tagen, er ist eingeklemmt zwischen institutionellen Verpflichtungen und Wahlkampf-Terminen. Auch wenn der Terminkalender, so behauptet er, nicht dichter sei als unter der Zeit: „Ich schlafe fünf Stunden, seit fünf Jahren schon. Zu Wahlkampfzeiten gibt es halt eine andere Typologie von Veranstaltungen.“
Trotzdem hat man den Eindruck, Kompatschers Allgegenwart reicht inzwischen an jene seines Vorgängers heran. Kein Musikfest, keine Einweihungsfeier ohne ihn, zu Parteiveranstaltungen wird er von seiner Tochter chauffiert, zu institutionellen von seinem Chauffeur. Seine Auftritte sind vorhersehbar: immer gut vorbereitet, rhetorisch überzeugend, ein verlässlicher und solider Performer. Aber reicht das, um bei dieser Landtagswahl erfolgreich zu sein?
Vor fünf Jahren sagte Kompatscher gegenüber diesem Magazin, die Politik müsse sich künftig wieder „mehr den langfristigen Zielen widmen“, ihre Aufgabenteilung „anders werden“. Wie sieht er das heute, nach seiner ersten Amtszeit? „Die Bürger müssten mittlerweile verstanden haben, dass ich die Arbeit mit Realismus angehe“, sagt er. „Und dass ich die Verantwortung für dieses Land spüre. Ich will es so führen, dass möglichst viele am Erfolg Südtirol teilhaben können.“
Zwei Wochen vorher hatte der Abgeordnete Hans Heiss bei der letzten Sitzung im Hohen Haus für diese Legislatur ein vernichtendes Urteil über die Landesregierung gesprochen. Von den drei Legislaturen, in denen er Abgeordneter war, sei diese „die schlechteste“. Die Gründe dafür seien vier: die Landesregierung, die politische Mehrheit („ohne politisches Feuer“), der Zustand der Opposition („verfahren und desinteressiert“) und das grundlegende politische Klima im Land. „Wir können uns nur wünschen, dass diese eine Amtszeit des Übergangs war.“
Arno Kompatscher hat sich an diesem Vormittag im Juli männliche Schützenhilfe geholt. Es ist der Tag, an dem er im Innenhof des Palais Widmann in Bozen Bilanz zieht. Rund 200 Gäste und Mitarbeiter aus Verwaltung, Wirtschaft und Politik sind gekommen, es hat zu wenig Stühle im Saal.
Zunächst bekommt der Landeshauptmann eine schöne Einführung von Marco Pappalardo, dem Direktor der Landespresseagentur. Dann lässt er sich vom Kommunikationsberater Klaus Egger interviewen. „Ich breite ihm natürlich nicht den roten Teppich aus“, sagt dieser, „sondern stelle dem Landeshauptmann unvorbereitete Fragen.“
Das Gespräch zwischen den beiden plätschert dann eher gemächlich vor sich hin, die Fragen sind harmlos. Irgendwann sagt Egger: „Ich werde schon noch was finden, was nicht so gut gegangen ist.“ Kompatscher darauf: „Da fällt mir schon etwas ein.“ Der Moderator jedoch fragt nicht nach, er wechselt kurzerhand zum nächsten Thema.
Der Verkehr: Das Problem ist nicht gelöst – „und wir werden es auch in den nächsten fünf Jahren nicht lösen“, sagt Arno Kompatscher. Man habe allerdings die Voraussetzungen geschaffen, dass es gelöst werde. Aha. Die Migration: Diese habe alle Regionen unvorbereitet getroffen, nicht nur Südtirol. „Wir erfüllen unsere humanitäre Pflicht. Es ist aber auch klar: Regeln müssen eingehalten werden.“ Inzwischen, sagt der Landeshauptmann, würde Südtirol „wieder gestalten“ und nicht vom Thema „überrollt werden“. Na, dann ist ja alles gut. Die Autonomiepolitik: Besonders stolz sei er auf den Notenwechsel zwischen Wien und Rom. „Der Sicherheitspakt untermauert die Schutzfunktion Österreichs, festigt unsere Autonomie.“
Das Publikum klatscht immer wieder, den Anfang macht meist jemand aus dem engsten Mitarbeiterkreis oder einer seiner besonders engen politischen Getreuen. Vor allem für die Mitarbeiter der Landesverwaltung im Saal hat der Landeshauptmann wärmende Worte parat: „Am Ende steht und fällt alles mit der Verwaltung. Nur so funktioniert unsere Autonomie.“ Kein Wort hingegen über die Probleme innerhalb des Landespersonals: die Schwierigkeiten bei Nachbesetzungen, die hohe Pensionierungsrate und die mangelnde Attraktivität. Egal. Dafür sagt er Sätze wie: „Südtirol steht gut da. Es ist unser ganzer Stolz, dass wir gut verwalten“, oder: „Europa schaut auf uns, ja, die ganze Welt. Darauf können wir stolz sein.“
Sein Gesicht wird in Großaufnahme auf eine große Leinwand übertragen. Ob er etwas anders machen würde, wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, will Klaus Egger am Schluss wissen. „Ich würde wieder antreten“, sagt Kompatscher. „Auch wenn man als Landeshauptmann oft ziemlich alleine ist.“
Die Auftritte des Landeshauptmannes sind wohltemperiert, er leistet sich selten irgendwelche Keckheiten, lieber legt er eine weitere detailreiche Belehrung nach. Mitreißend ist das nicht immer, oft eher langatmig und ermüdend. Bei so manchen Partei- und auch Landtagskollegen steht er im Ruf, mitunter „etwas abgehoben“ zu sein. Viele vermissen bei ihm die sogenannte Handschlagqualität, er verstehe es, so erzählen einige, sein Gegenüber auch schon mal zu täuschen. Der Flurfunk in der Verwaltung erzählt: „Es hat immer der recht, der gerade zuletzt im Büro des Landeshauptmannes war.“
Kompatscher hat früher Eishockey gespielt. Das ist ein sehr körperbetontes Spiel, mit einem „Bodycheck“ kann man seinen Gegner aus dem Weg drängen. Kompatscher, so heißt es, verstehe sich auf diese Kunst auch in der Politik.
Arno Kompatscher kennt die Kritik an seiner Person und auch an seiner Art, Politik zu machen zwar, aber will sie nicht gelten lassen. Doch verträgt er Kritik wirklich? „Er ist relativ schnell beleidigt“, sagt Walter Blaas. „Diesbezüglich müsste er mittlerweile souveräner sein.“ Der Freiheitlichen-Abgeordnete sagt aber auch, dass Kompatscher „ein Glücksgriff“ für die SVP, und auch für das Land sei. Die Südtiroler hätten sich mittlerweile an den neuen Landeshauptmann gewöhnt, mit all seinen Stärken und Schwächen. „Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.“
Arno Kompatscher und Philipp Achammer versuchen alles, das muss man ihnen lassen. Letzthin treten sie gerne in Lederhose und Lodenjanker auf, geben sich gesamttirolerisch. Am Samstag vor zwei Wochen etwa katapultierten sie sich und ihre Partei in das Jahr 1957 zurück. Für den offiziellen Wahlkampfauftakt wählten sie Schloss Sigmundskron, jenen Ort, an dem der Weg der Autonomie eingeschlagen wurde. Mit einem alten Citroën ließen sich die beiden – wie einst Magnago – hinaufkutschieren.
„Sie nutzen Magnago, um ihr eigenes Image aufzuwerten“, schimpfen einige SVPler. Nicht alle SVP-Kandidaten waren begeistert, bei der Feier in verteilten Rollen die Geschichte von 1957 auf offener Bühne vortragen zu müssen. Der Landeshauptmann und der Parteiobmann saßen im Publikum und schauten zu.
Im SVP-Wahlkampf sind die zwei jedoch alles andere als Zuschauer. Alles dreht sich um das Spitzenduo, vor allem freilich um den Landeshauptmann-Kandidaten. Hans Heiss spricht von einer „Überdimensionierung“, die zugleich auf die „personelle Schwäche der SVP“ verweise. „Niemand verkörpert auch nur annähernd das Ganze des Landes, sondern höchstens den persönlichen Karpfenteich.“
Nicht alle in der Partei sind glücklich mit diesem Zuschnitt auf das Spitzenduo, weil öffentlich gleichzeitig auch immer das „Team“ und die „Geschlossenheit“ beschworen wird. „Insgesamt“, sagt Angelika Wiedmer, „fühle ich mich oft vergessen. Und das wird nicht nur von mir, sondern auch von anderen Kandidaten so wahrgenommen.“ Wiedmer ist stellvertretende Parteiobfrau, gemeinsam mit Landeshauptmann, Obmann und ladinischem Obmann (Daniel Alfreider) bildet sie das SVP-Kleeblatt an der Spitze der Liste. Während sich Alfreider demonstrativ immer und überall an der Seite des Spitzenkandidaten zeigt, muss die Vizeparteiobfrau zusehen, dass sie sich für den Konkurrenzkampf rüstet. Mehrmals schon hat sie in der Partei auf diese Schwäche in der geschlossenen Präsentation des Spitzenquartetts hingewiesen. „Man hat versucht, sich herauszureden“, sagt sie. Das war’s dann auch.
Politische Beobachter und Wahlkampfstrategen sagen, je nachdem, wer im Wahlkampf besonders am Rockzipfel des SVP-Spitzenkandidaten hängt, beziehungsweise wen er selbst gerne im Schlepptau habe, den würde er auch gerne in seinem nächsten Kabinett sitzen haben. Das wären dann vor allem Männer – Philipp Achammer, Daniel Alfreider, Gerd Lanz, Dieter Pinggera. Vor fünf Jahren sagte Arno Kompatscher, er mache sein Team vom Wahlergebnis abhängig. Und heute?
„Natürlich berücksichtigt man auch das Wahlergebnis“, sagt er. „Man muss aber auch darauf achten, dass die Kompetenzen gut abgedeckt sind, das Geschlechterverhältnis muss stimmen, das Team muss in sich stimmig sein.“ Er macht eine Pause und sagt dann noch: „Zuerst müssen wir die Voraussetzung dafür haben, eine handlungsfähige Regierung zu haben. Drei, vier Parteien als Koalitionspartner – dann gute Nacht.“
Dass der SVP-Balken am Tag nach der Wahl nach unten geht, damit rechnen viele unterm Edelweiß. Auch wenn das Spitzenduo Zuversicht verbreitet – was sollen sie auch anderes tun. Kompatscher und Achammer geben sich unzertrennlich. Durch nichts wollen sie sich, zumindest nach außen, auseinanderbringen lassen. Und trotzdem stehen die zwei ständig in einer gewissen Rivalität zueinander.
Am Ende seiner zweiten Amtszeit ist Kompatscher 52 Jahre alt, das ist jung. Wird er dann vielleicht doch noch einmal eine Legislatur dranhängen – obwohl er einst mal angekündigt hat, nach zehn Jahren als Landeshauptmann sei Schluss? Und Achammer? Mit der Zuständigkeit für Schule und Kultur lässt sich nicht leicht eine Hausmacht schaffen. Er muss laufen, um seinen Führungsanspruch zu untermauern. Noch wartet er geduldig auf seine Stunde. Er weiß aber auch, wie die eherne Regel im Nachfolgegeschäft lautet: Wer zu lange Kronprinz ist, bleibt auf der Strecke.
Die beiden funktionieren gemeinsam an der Spitze des Landes. Es ist nicht sicher, dass das immer so bleibt. Das Duell zwischen den beiden, und der Konflikt mit ihrer Partei, könnte bereits nach der Wahl ausbrechen.
Dann, wenn nicht nur der Traum der absoluten, sondern auch die stabile Mehrheit weg ist.
Alexandra Aschbacher und Georg Mair
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Der Parteiobmann
Integration: Eine Kompetenz, die Achammer 2014 für sich beanspruchte. Doch die Stelle in seinem Ressort ist personell und finanziell mager ausgestattet und richtet sich nur an Migranten, die einen Schutzstatus haben. Integration, sagt Achammer, sei ein „Querschnittsthema“, das alle Abteilungen des Landes betreffe. Vor einigen Monaten hat er umgeschaltet: Unter dem Motto „Fordern und Fördern“ verlangt das Land für Sozialleistungen nun den Besuch von Sprach- und Integrationskursen. Ulli Mair, Abgeordnete der Freiheitlichen, sagt: „Das ist der Bereich, in dem Achammer total versagt hat, da kamen nur flotte Sprüche, Floskeln wie ‚Fordern und Fördern‘. Kein Quorum, kein Einwanderungsgesetz, keine Konsequenzen für die, die sich nicht integrieren wollen.“ Der Schwenk von Achammer, sagt Hans Heiss, passe gut ins aktuelle Klima: „Seine Anpassungsfähigkeit ist beeindruckend.“
Schule und Kindergarten: Achammer hat das Schulamt nach seinen Vorstellungen umgebaut – abgeschlossen ist das noch nicht. Es gibt jetzt einen Bildungsdirektor, der Achammer direkt unterstellt ist, alle Führungspositionen sind neu besetzt. Schule und Kindergarten haben mit Personalmangel zu kämpfen, erst seit vergangenem Jahr gibt es an der Uni in Brixen mehr Ausbildungsplätze für Grundschule und Kindergarten – die Ausbildung ist jetzt Landeskompetenz. „Achammer“, sagt der Schulgewerkschafter Hubert Kainz, „hat das Gesetz zur ,Buona scuola‘, so angewandt, dass es wenig Schaden angerichtet hat.“ Im Kindergarten hat das Land 50 neue Stellen geschaffen. „Aber das“, sagt Cornelia Brugger, lange bei der Gewerkschaft tätig und jetzt wieder Kindergärtnerin, „war etwas, das aufgrund der Proteste fast von alleine gegangen ist.“ Mehrsprachigkeit sei ein großer Wert, betont der Landesrat immer wieder. Doch die Kenntnisse der zweiten Sprache, so zeigen es Studien, so berichten Lehrpersonen, haben sich nicht gebessert, trotz Clil, Schulversuchen oder Mehrsprachencurriculum.
Kulturgesetz: Bündelt alle Gesetze zur Kultur, das erste Mal seit 1958. Aber die neuen Kriterien zur Kulturförderung bringen keine große Erleichterung für die Kulturschaffenden. „Es hat gut angefangen“, sagt Klaus Gasperi, künstlerischer Leiter des Stadttheaters Bruneck, „aber dann kam nicht mehr viel Neues.“
Es gebe zwar eine Förderungsgarantie für drei Jahre etwa für die Städtetheater, aber man könne das Geld nicht über die drei Jahre verteilen. Im Kulturbeirat, dem Gremium, in dem die Förderungen beschlossen werden, hält sich Achammer weitgehend zurück. Doch für neue Initiativen gibt es kaum Geld. „Wir soll man Neues fördern“, fragt sich Klaus Runer, Präsident des Südtiroler Theaterverbandes, „wenn das Geld schon verplant ist?“ Achammers Dilemma: Er muss streichen, um Neues zu fördern. Und das kann er nicht. Eine große Baustelle ist das Bibliothekenzentrum in Bozen, das immer noch nur auf dem Papier existiert. Der Künstler Thomas Sterna – unterlegener Kandidat bei der Wahl des Präsidenten des Südtiroler Künstlerbundes, hat festgestellt, dass der Wille zu einem wirklichen Austausch im Land gering ist: „Die Sehnsucht nach Ruhe ist groß.“
Der Landeshauptmann
Autonomie: Sicherungspakt und Finanzabkommen, circa 20 Durchführungsbestimmungen, Vergabegesetz – all das wird dem Landeshauptmann als Pluspunkte gutgeschrieben. Auch in seiner Außenwirkung hat Arno Kompatscher in seiner ersten Amtszeit überzeugt, als Vermittler zwischen Wien, Innsbruck und Rom. „In der Frage der Flüchtlingsbewegungen und der offenen Brennergrenze sind die Erfolge nicht kleinzureden“, sagt der Grüne Hans Heiss. „Ebenso in der systematischen Kräftigung der Euregio.“ Kompatscher selbst sagt: „Ich habe in stürmischen Zeiten das Ruder gehalten, ich bin nicht in Panik geraten wie viele andere. Das hat sehr oft viel Kraft gekostet.“ Außenpolitisch, sagt SVP-Arbeitnehmerchef Helmuth Renzler, habe Kompatscher positiv überrascht. „Das macht ihm so schnell niemand nach.“ Nur in einer Frage schafft es der Landeshauptmann bislang nicht, ein Machtwort zu sprechen und sich in seiner Partei durchzusetzen: in jener der doppelten Staatsbürgerschaft.
Gesetzgebung: „Was die Gesetzgebung betrifft, lag in dieser Legislatur vieles im Argen“, sagt der Abgeordnete Andreas Pöder (Bürgerunion). Gesetze, die im Landtag verabschiedet wurden, mussten später wieder geändert und korrigiert werden. „Ein großes Gewurschtle.“ Die Regierung, das sagen Oppositionelle ebenso wie SVPler, habe teils sehr „unprofessionelle“ Arbeitsvorlagen für die Gesetzesarbeit vorgelegt – „Sie denkt die Dinge nicht zu Ende“. Die „Geringschätzung“ des Landtages seitens der Mehrheit habe sich vergrößert. Die Gesetzesarbeit sei „schleppend und stockend“ verlaufen. Auch der Einfluss bestimmter Lobbys (Bauernbund, Handwerkerverband, Hoteliers- und Gastwirteverband) sei nicht gerade schwächer geworden.
Zusammenleben: Arno Kompatscher betont, als Landeshauptmann für alle Südtiroler zuständig zu sein. Trotzdem war er nicht fähig, die italienischsprachigen Südtiroler mitzunehmen auf seinem Weg der Autonomie. Die mangelnde Präsenz des italienischen Koalitionspartners im Land hätte ihm dieses Unterfangen erleichtert. Auch für den Autonomiekonvent konnte er die Italiener nicht begeistern. „Bei aller Eloquenz im Italienischen war er nicht fähig“, sagt Hans Heiss, „die vielen Italiener aus dem Stand der Depression und Frustration, auch Verbitterung zu holen.“
Reformen: Manchmal sei Kompatscher zu zögerlich, heißt es. Ob es sich nun um die Neuordnung der IDM handelt, den Neuaufbau der Landesverwaltung, die Gesundheitsreform oder die Besetzung von Spitzenpositionen (Schael, Puglisi, Dalla Torre), die verpatzte Mobilitätsausschreibung: „Schwammig und widersprüchlich gestaltet“, lautet das Urteil von Hans Heiss. „Teils Hauruck-Aktionen“, „ohne Hand und Fuß“, heißt es teils aus der Landesverwaltung, teils aus der Opposition. Positiv sind die Maßnahmen im Bereich der Wirtschaft (etwa die neue Wirtschaftsförderung, Senkung des Irpef-Zuschlags) – die Wirtschaftskrise von vor fünf Jahren ist überwunden. „Die Wirtschaft ist sehr gut bedient worden“, sagt der Freiheitliche Walter Blaas. „Leider schleifen die Löhne der Arbeiter hinterher.“ Heiss sagt: „Jene Menschen, die vom Wirtschaftswunder wenig mitbekommen, sind dringend in ihren Lebensumständen substanziell besser zu stellen.“ Auch andere Agenden sind offen: Digitalisierung des Gesundheitswesens, Behebung des Ärzte- und Pflegemangels, Neuaufstellung der Verwaltung. „Er spielt jetzt oft den Übervater, das steht ihm nicht so gut“, sagt Blaas.
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