Die größte Oppositionspartei im Land schwächt sich selber am meisten. Schon jetzt werden bei den Freiheitlichen die Messer für die Abrechnung nach der Wahl gewetzt.
Politik
Aufstand der Kleinen
Aus ff 41 vom Donnerstag, den 11. Oktober 2018
Die Ladiner drängen in den Landtag. Diesmal stellen sich gleich sechs Kandidaten der Wahl. Das bringt vor allem die SVP in Schwierigkeiten.
Am späten Nachmittag im Herbst ist das Grödner Joch eine Oase der Ruhe. Rundherum erheben sich rot schimmernd die Berge der Dolomiten, Schafe grasen friedlich auf sanftgrünen Weiden.
Hinter dem Pass geht es runter in das Gadertal, vorne liegt das Grödner Tal. Im Rifugio Frara auf dem Joch treffen sich heute, es ist Montagabend dieser Woche, die Kandidaten der Ladiner. Oder besser gesagt, das, was das Tagblatt Dolomiten dafür erachtet.
Als da wären: Ulrike Aichner, Cristian Kollmann, Hanspeter Staffler, Stefan Planker, Lois Taibon, Stefan Kasslatter und Daniel Alfreider. Dolomiten-Chefredakteur Toni Ebner führt durch den Abend. Er reißt ein paar lockere Sprüche, die das Publikum, etwa hundert Menschen, zum Schmunzeln bringen.
„Wenn Sie hier keinen Empfang auf ihrem Handy haben, sollten sie zur Brennercom wechseln“, feixt Ebner zum Beispiel. Das Telekommunikationsunternehmen gehört ebenso wie das Tagblatt zur Athesia-Gruppe. Oder: „Wo Dolomiten draufsteht, ist viel Qualität drin.“ Er meint natürlich nicht die Berge, um die es geht, sondern seine Zeitung. Das Publikum ist dennoch froh um den Sager. Denn sonst hat es nicht viel zu lachen.
Die Kandidaten bieten ihnen keinen Anlass dazu. Angespannt hocken sie in der viel zu kleinen Gaststube, jetzt bloß keine Fehler machen, steht in ihren Gesichtern geschrieben. Brav beten sie ihren Sermon herunter, das ist mindestens so aufregend wie eine Kaffeefahrt nach Franzensfeste oder Blumau.
Sie greifen einander kaum an, jeder ist fair zum anderen. Nur einmal verbittet sich der SVP-Kandidat Alfreider „solche Unwahrheiten“, wie sie sein Konkurrent Stefan Kasslatter von der Lega eben abgesondert hatte.
Kasslatter gehört auf Facebook zu den Hartgesottenen, dort nimmt er sich kein Blatt vor den Mund. Sein Idol ist, klar, Lega-Führer Matteo Salvini. Auf dem Grödner Joch wirft er einfach einmal in den Raum, dass er dafür sei, die kleinen Krankenhäuser des Landes wieder zu
öffnen.
Das ist eine steile These, wo doch bis heute keines zugesperrt hat. Alfreider weist darauf hin, um gleich darauf selbst ins Klo zu greifen. Er behauptet, „mehr als die Hälfte des Landeshaushalts“ fließe in die Sanität. Dabei ist es ein Viertel.
Es ist Wahlkampf – auch in den ladinischen Tälern. Diesmal schicken sich die Ladiner an, mehr als nur einen der Ihren in den Landtag zu bekommen. Es ist im Grunde ein Aufstand im Kleinen.
Gleich sechs Kandidaten stellen sich der Wahl. Zwei auf der Liste der SVP (Daniel Alfreider und Manfred Vallazza), je einer auf den Listen der Freiheitlichen (Lois Taibon), des Teams Köllensperger (Stefan Planker), der Fünfsternebewegung (Josef Pedevilla) und der Lega (Stefan Kasslatter).
Dabei könnte es passieren, dass sich, aus Sicht der SVP, die Falschen durchsetzen. Und das geht so: Alfreider und Vallazza nehmen sich gegenseitig die Stimmen weg, sodass es für keinen der beiden für den Landtag reicht.
Zugleich schaffen es zum Beispiel Pedevilla und Taibon in das Hohe Haus. Das wäre der Super-GAU für die SVP. Denn bei zwei Ladinern im Landtag muss auch ein Ladiner in die Landesregierung. Das heißt, die SVP müsste entweder mit den Fünf Sternen oder mit den Freiheitlichen koalieren.
Aus heutiger Sicht schwer vorstellbar. Wobei es für die SVP ein Hintertürchen gibt: Sie könnte einen ladinischen Landesrat von außen berufen. Wie es Luis Durnwalder 2001 mit Florian Mussner tat, weil ihm der störrische Carlo Willeit von den Ladins nicht gefiel. Willeit kam danach nicht mehr in den Landtag, Mussner ist bis heute Landesrat.
„Ich denke nicht, dass sich die Mehrheitspartei so etwas heute noch leisten kann“, sagt Stefan Planker. Er möchte als Nummer 2 auf der Liste mit Paul Köllens-
perger in den Landtag einziehen – und am liebsten mitregieren.
Planker leitet das ladinische Landesmuseum in St. Martin in Thurn, er spricht so, wie man sich einen Museumsdirektor vorstellt. Ein bisschen zu umständlich, ein bisschen zu intellektuell, ein bisschen zu nett.
Was er zum Beispiel von einer ladinischen Einheitssprache hält? Hm, sagt er, einmal habe jemand zu ihm gesagt: „Sarà una decisione sofferta ma necessaria.“ Klar brauche es eine Dachsprache für das Ladinische, aber ob die ausgearbeitete Variante die richtige sei? Da müsse man schon auch schauen, was die Leute wollen.
Stefan Planker wird im Dezember 50, er wohnt mit seiner Frau und den drei Kindern in Wolkenstein. Hört man sich über ihn so um, sagen alle, er brenne für die Politik. Er selbst sagt auch, dass er sich immer schon dafür interessiert habe. Und statt immer nur zu schimpfen, wolle er jetzt anpacken, daher habe er „aus dem Bauch heraus“ entschieden zu kandidieren.
Anpacken möchte auch Lois Taibon. Er ist der Ladiner-Kandidat der Freiheitlichen, als Nummer 4 auf der Liste hat er Chancen, gewählt zu werden. Einerseits. Andererseits ist Taibon keiner, der mit markigen Sprüchen oder durch sein bloßes Auftreten punkten kann. Außerdem ist er kaum bekannt.
Seine Themen sind die Sanität, natürlich, die Stärkung der Landgemeinden und der Kampf gegen Rom. „Wir brauchen primäre Zuständigkeiten, etwa bei der Einwanderung oder bei den Kollektivverträgen“, sagt er. Man merkt: Da ist einer, der weiß, wie Politik funktioniert.
Taibon ist studierter Jurist, der seit Jahren für die Fraktion seiner Partei arbeitet. Derzeit macht er diesen Job in der Regionalratsfraktion unter Walter Blaas. Lois Taibon gilt als fleißig und gewissenhaft, als gebildet und klug. „Doch bei den Freiheitlichen“, sagt einer, der seit Jahren in der Partei ist, „kommt er keinen Schritt weiter.“ Bei der SVP hätte er hingegen längst Karriere gemacht.
Lois Taibon sagt, er sei gerne unter Leuten, seine Eltern betreiben eine Dorfbar in Enneberg. Gelegentlich serviert er dort selbst Kaffee und Kuchen. Er ist nach wie vor dort zu Hause, sitzt für seine Partei im Gemeinderat, ist deren Bezirksobmann im Pustertal. Ob das für den Landtag reicht?
Solche Zweifel kommen Manfred Vallazza nie. Beim Treffen mit ff trägt er die Tracht der Musikanten, er sagt, er müsse in Sterzing ein Gruppenfoto mit denen machen. Vallazza springt für die SVP in die Bresche, er ist ein kantiger Typ, der nicht um den heißen Brei herumredet.
„Wenn man etwas bewegen möchte“, sagt er, „muss man in die Landesregierung.“ Also wolle er in die Landesregierung. Nur das Handl aufhalten im Landtag, das sei ihm zu wenig. Dann hätte er gleich im Gemeinderat bleiben können.
Manfred Vallazza ist einer, der auf jede Frage eine schnelle Antwort weiß, Grautöne sind seine Sache nicht. Er sagt, seine wichtigsten Themen seien die Aufwertung von regionalen Produkten und die Regelung der Mountainbikewege. Außerdem werde er sich für die Vereine und Verbände einsetzen, die unter der Bürokratie bald zusammenbrechen.
Er selbst ist „bei etwa 40 Vereinen, Verbänden und Organisationen“ dabei, bisher habe er das alles geschafft, nun werde es schwieriger. Schließlich gilt es, zu Hause in Wengen ja auch noch einen Hof samt Hofschänke zu bewirtschaften. 23 Milchkühe, 50 Stück Vieh insgesamt, 50 Hektar Wiesen, die gemäht werden wollen: Da sei es ein Glück, dass Eltern, Geschwister und Frau mit anpacken.
Vallazza ist der größte Gegenspieler seines Parteifreundes Daniel Alfreider. Die beiden können einander nicht riechen, obwohl sie eigentlich ein gemeinsames Budget für die Wahlwerbung zu verbraten hätten. Das Geld brauche er aber nicht, sagt Vallazza, er komme gut mit dem aus, was er selbst in den Wahlkampf buttert. Am Ende werden es wohl um die 20.000 Euro sein.
Alfreider gilt bei der Wahl am 21. Oktober als gesetzt, Landeshauptmann Arno Kompatscher möchte ihn unbedingt in die Landesregierung holen. Ob Alfreider dem auch gewachsen ist? Einem Gespräch mit diesem Magazin entzog er sich bis zuletzt – obwohl er immer wieder Termine in Aussicht gestellt hat und sie unbeantwortet verstreichen ließ.
Und dann ist da noch Josef Pedevilla. Der Mann mit der Glatze aus Welschellen, der in Gargazon wohnt, hat sich der Fünfsternebewegung verschrieben. Er ist die Nummer 2 auf der Liste. Er könnte eine der Überraschungen dieser Wahl sein und in den Landtag kommen.
Doch das möchten die anderen fünf Ladiner auch. Und nicht nur sie buhlen um die Stimmen ihrer Landsleute. Jeder der Kandidaten, die sich auf dem Grödner Joch präsentieren, ist an der Sprachgrenze aufgewachsen, spricht ein paar Brocken Ladinisch oder kennt zumindest eine Handvoll Ladiner.
Das verspricht eine spannende Wahl. Klar ist aber schon jetzt: Ein Ladiner wird es in den Landtag schaffen. Das Wahlgesetz der SVP von 2017 sieht vor, dass der meistgewählte ladinische Kandidat, egal, welcher Liste, auf jeden Fall in das Hohe Haus einzieht.
Zum Leidwesen des Letztgewählten auf dieser Liste. Er müsste dem Ladiner den Vortritt lassen – und selbst draußen bleiben.
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