Als Vorsitzende der Plattform für Alleinerziehende ist sie bekannt geworden. Jetzt will Ida Lanbacher, seit 35 Jahren SVP-Mitglied, für die Bürgerunion in den Landtag einziehen.
Politik
Blaue Blüten
Aus ff 41 vom Donnerstag, den 11. Oktober 2018
Die größte Oppositionspartei im Land schwächt sich selber am meisten. Schon jetzt werden bei den Freiheitlichen die Messer für die Abrechnung nach der Wahl gewetzt.
Das wichtigste Ereignis am Samstagvormittag am Graben in Bruneck ist die Modeschau – dort stehen die meisten Menschen, dort spielt die lauteste Musik.
Auf dem Weg vom Bahnhof in die Stadt begegnet man einigen jungen Frauen mit Rollkoffern. An den Ständen der wahlwerbenden Parteien gehen sie achtlos vorbei, sie sind als Models für die Modeschau gebucht.
Am Graben stehen sie wie auf einer Schnur aufgereiht im Nieselregen: Forza Italia, Partito Democratico, Freiheitliche mit Würstlstandl und „Leuchtturm“, der eher wie ein Tannenzapfen aussieht, und die Bühne für die Modeschau am Ende des Grabens. Am Gilmplatz auf der anderen Straßenseite hat sich noch Noi per l’Alto Adige aufgebaut. Beim PD gibt es Prosecco und Chips, bei den Freiheitlichen Würstchen und Bier, bei Noi per l’Alto Adige Weißwein und weiche Brötchen.
Die meisten Menschen stehen um die Freiheitlichen herum – sie haben hier in Bruneck bei den vergangenen Landtagswahlen immerhin 22 Prozent der Stimmen bekommen. Doch mehr als eine Begegnung mit informationshungrigen Wählern ist es ein Kandidatentreffen der „sozialen Heimatpartei“, wie sie sich nennt.
Es ist eine Partei, die sich gerade selber zerlegt. Schon auf ihrem Parteitag im Juni beschworen die Freiheitlichen auffällig die „Geschlossenheit“ der Partei. Hat sie ein Problem damit? Sie hat – besonders seit sie Roland Tinkhauser einen Platz auf der Liste für die Landtagswahlen verweigerte und der Abgeordnete keine Gelegenheit auslässt, öffentlich gegen seine (Ex-)Partei zu stänkern. Mit ihm ist der liberale Flügel weggebrochen, Tinkhauser stand für die moderate Seite der Partei.
Seit einem Jahr befindet sich die Partei im Umbruch. Damals marschierten Andreas Leiter Reber und Florian von Ach, zwei stramme Schützen, an die Spitze der Partei – als Obmann und Generalsekretär. Der Ton verschärfte sich – auch intern.
Jetzt bilden sie bei den Wahlen das Spitzen-
trio der blauen Liste, zusammen mit der Landtagsabgeordneten Ulli Mair – ein Kumpeltyp und diejenige, die sprachlich am wenigsten Hemmungen kennt. Zusammen bilden sie auch die Mehrheit im Parteipräsidium, sie stimmten dort gegen die Kandidatur von Roland Tinkhauser. Das Präsi-
dium besteht aus fünf Mitgliedern: Obmann Leiter Reber, von Ach, Mair, der Ladiner Lois Taibon und Tamara Oberhofer, Landtagsabgeordnete und stellvertretende Obfrau der Partei.
Ein Blick zurück: Vor drei Wochen schiebt der freiheitliche österreichische Verkehrsminister Norbert Hofer in Bozen den Wahlkampf an. Der Minister wird eskortiert von Mair, Leiter Reber und von Ach. Die Abgeordneten der Partei Walter Blaas (Ex-Parteiobmann) und Tamara Oberhofer stehen daneben, als würden sie nicht dazugehören. Kein Gruß, kein Handschlag, keine Aufforderung, den Minister zum Kaffee zu begleiten.
Das Trio, das von allen Plakaten lächelt, ist bei der Pressekonferenz gut sichtbar neben dem Minister platziert, Blaas und Oberhofer stehen da, als wären sie unsichtbar – in dieser Szene bildet sich die ganze Distanz zwischen ihnen und dem freiheitlichen Spitzentrio ab. Walter Blaas sagt: „Ich habe aus der Zeitung erfahren, dass man mich loswerden wollte, da das niemand dementiert hat, gehe ich davon aus, dass es stimmt.“
Kochlöffel, Gummibärchen, Kugelschreiber, Gartenhandschuhe und einen blauen Bleistift mit Krönchen von Ulli Mair gibt es am Stand in Bruneck. Auf dem Bleistift steht: „Hinfallen. Aufstehen. Krone richten. Weitergehen.“ Für Bier und Würstchen ist es noch zu früh. Lukas Forer, der Wahlkampfkoordinator, dreht die Gasflasche auf und sucht nach Wasser, um die Würstchen zu wärmen. Das Spitzentrio steckt im Stau.
Drei solcher Termine haben sie an diesem Tag hinter sich zu bringen: Bruneck, Gais, Sand in Taufers. Würstlstandl und Leuchtturm mit Lienzer Kennzeichen sind jetzt jeden Tag unterwegs. Den Abgeordneten Sigmar Stocker trifft man bei der Harley-Davidson-Party in Bozen-Süd – dort ist das Röhren der Motoren so deftig wie die Parteisprüche, Ulli Mair geht zum Hockey und verschickt davon ein Foto auf Twitter, Florian von Ach baut sich auf dem Strudelmarkt in Brixen auf.
In den Gesprächen vor der Würstlbude geht es um Zuwanderung, Sanität oder Verkehr. Im Programm der Freiheitlichen steht an erster Stelle die Migration und ihre Begrenzung. „Die Regierenden“, behauptet Ulli Mair, „werden auch weiterhin Menschen aus aller Herren Länder in unser Land lassen – ganz ohne Fluchtgrund.“ Das bedeute Überfremdung: „Einheimische müssen verzichten“ – für die Verteilung der Migranten fordern die Freiheitlichen Volksabstimmungen.
Weitere Themen sind: Freistaat Südtirol, Doppelpass, der Abbau der Bürokratie, die Abschaffung der Wertschöpfungssteuer Irap für Unternehmen und des regionalen Zuschlags auf die Einkommenssteuer Irpef; leistbares Wohnen etwa durch Besteuerung von leerstehenden Wohnungen; Renten auf Niveau des Lebensminimums; Zusatzverträge für die Arbeitnehmer; die Möglichkeit der Frauen, sich zwischen Kindererziehung und Beruf zu entscheiden; Absage an den Fachunterricht in der zweiten Sprache (Clil); Erhalt der Spitäler im ländlichen Raum; die Überwindung der Unterschiede zwischen öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft. Peter Enz, früher bei der SVP und immer noch Gemeinderat in Meran, sieht jetzt seine sozialen Anliegen bei den Freiheitlichen besser aufgehoben. Ein wenig fremdelt er noch, aber, so sagt er, „es sind nicht alles Schreier in der Partei“.
Gut möglich, dass der Slogan auf dem Bleistift von Ulli Mair sich am 21. Oktober bei der Landtagswahl bewahrheitet. Dass die Partei hinfällt, mühsam wieder aufstehen, sich die Krone richten und weitergehen muss. Selbst die treuesten Anhänger glauben nicht daran, dass sich das Ergebnis von 2013 wiederholen lässt. Optimisten rechnen mit dem Verlust eines Mandats, Pessimisten mit dem Verlust von drei Mandaten. Das Gespenst für die Freiheitlichen (wie für SVP oder Grüne) ist das Team Köllensperger: Wo nagt der „heilige Paul“, wie ihn Hans Heiss nennt, am meisten? Eigentlich wollen die Freiheitlichen ja auch regieren, wie die Grünen. Wie sagt man in solchen Fällen: Ja, aber nicht um jeden Preis.
2013 erhielten die Freiheitlichen 51.510 Stimmen (17,9 Prozent) und sechs Mandate im Landtag. Ein schnelles Wachstum, mit dem die Partei schlecht zurecht kam. In den Landtag zogen ein: Pius Leitner (36.764 Stimmen), Ulli Mair (31.175), Roland Tinkhauser (13.550), Sigmar Stocker (9.398), Walter Blaas (3.594), Tamara Oberhofer (2.673). Die Partei hat seitdem etliche Affären hinter sich: die passive Haltung bei den Abgeordnetenrenten, das Verfahren gegen ihren (ehemaligen) Frontmann Pius Leitner wegen Zweckentfremdung der Fraktionsgelder (Penisring-Affäre), bei dem Leitner in erster Instanz verurteilt und in zweiter Instanz freigesprochen wurde. Der Kassationsgerichtshof hob den Freispruch auf, der Fall liegt wieder beim Oberlandesgericht.
Leitner trat als Abgeordneter zurück (Nachrücker: Hannes Zingerle), ließ sich wieder auf die Liste für die Wahl setzen – und verzichtete letztendlich. An dem Tag verlor Deutschland gegen Südkorea und schied bei der Fußball-WM aus, und Ulli Mair begann wieder mit dem Rauchen.
Leitner ist jetzt als Helfer für die Partei unterwegs, am vergangenen Freitag trat er zusammen mit Anna Pitarelli auf dem Strudelmarkt in Brixen auf. Pitarelli, bei den jüngsten Gemeindewahlen auf Kuschelkurs mit René Benko (er baut am Busbahnhof ein neues Einkaufszentrum), ist eine der Quereinsteigerinnen in der Partei. Walter Blaas murrt: „Manche bezahlen nicht einmal den Mitgliedsbeitrag, ich bürge für die Wahlkampfausgaben.“ Gut 1.000 Euro gibt er für den Wahlkampf aus, 210.000 Euro die Partei.
Gibt es einen Riss in der Partei? Nein, so lautet die Sprachregelung, es seien nur ein paar, die in eine andere Richtung ruderten: „Sie wissen schon, wen ich meine.“ Die Stimmung sei gut. Florian von Ach sagt: „Es gibt zwei, drei Leute, die es vorziehen, außerhalb der Partei zu diskutieren und sich dann als Opfer zu stilisieren. Ich glaube nicht, dass diese Opferhaltung bei den Wählern zieht.“
Blaas hat in Brixen ein Heimspiel, hier war er sieben Jahre lang Gemeinderat und nervte mit seinen Anfragen die Südtiroler Volkspartei. In einem früheren Leben war er Metzger, dann Angestellter der Stadtwerke, jetzt ist er seit fünf Jahren Landtagsabgeordneter, „aufgestiegen in die Champions-
League“, wie er sagt. „Aber“, schiebt er nach, „ich bin kein Schütze und kein Radikaler.“
Seine Anliegen sind eine saubere Verwaltung, die Sanität, Zusatzverträge in der Wirtschaft. Er könnte noch einmal in den Landtag einziehen, denn hinter Andreas Leiter Reber und Ulli Mair ist alles offen. An einen Tisch mit ihnen bringt Blaas freilich nur die Aufforderung des Fotografen. Doch selbst in der gegenseitigen Abneigung ringen sie sich ihr schönstes Lächeln ab. Blaas sagt: „Eine Partei ist keine Familie, in einer Partei muss man kämpfen, damit man oben bleibt.“ Er denke nicht daran, die Partei zu verlassen.
Der Wahlkampf für die Landtagswahlen ist kurz. Er beschränkt sich auf die 14 Tage vor der Wahl. Die Südtiroler Volkspartei dimmt den Wahlkampf auf Schummerlicht, indem sie jeder Konfrontation aus dem Weg geht. Es ist die Methode Merkel, sie hat damit ihre Gegner unsichtbar gemacht – und die Wahlmüdigkeit befördert. „Die SVP stellt sich nicht“, sagt Pius Leitner.
Auch die SVP-Landtagsabgeordnete Maria Kuenzer brachte beim Brot- und Strudlfest ihr Gesicht unter die Leute. „Ehrlich“, fragt sie jemand, „wie viel Mandate bekommt ihr?“ „Wir 15 bis 16“, so die Antwort, „die Freiheitlichen 3 bis 4.“
Der Bozner Rechtsanwalt Otto Mahlknecht ist einer der Neuen bei den Blauen. Er sagt: „Es war notwendig, frischen Wind in die Partei zu bringen, aber die Landtagswahlen sind auch eine Bewährungsprobe für die neue Parteispitze.“ Wenn die Landtagswahl am 21. Oktober für die SVP eine besondere Wahl ist, dann gilt das in gleichem Maß für die Freiheitlichen.
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