Politik

„Diese komische Grippe“

Aus ff 15 vom Donnerstag, den 09. April 2020

Grödner Skihütten
Hochbetrieb auf den Grödner Skihütten: In Ferienzeiten ist die Praxis von Kostner voll. © Archiv
 

Der Grödner Hausarzt Simon Kostner ist an Covid-19 erkrankt. Und jetzt wieder gesund. „Wir wussten“, sagt er, „schon in der letzten Februarwoche, dass dieses Virus herum ist.“

Es war der 8. März, als Simon Kostner ins Spital kam. Männer mit einem speziellen Rettungswagen rückten an, in Schutzanzügen, mit Schutzmasken, Brillen und Handschuhen, um ihn von St. Ulrich nach Brixen zu bringen. Ins Krankenhaus gelangte er durch einen besonderen Eingang.

Als er ins Krankenhaus kam, war sich Kostner, 55, praktischer Arzt in St. Ulrich und Wolkenstein, so gut wie sicher, sich mit dem Coronavirus angesteckt zu haben, obwohl er noch nicht getestet worden war.

Der Test belegte es: Kostner war an Covid-19 erkrankt. Da hatte er schon seine Frau und seine drei Kinder angesteckt. Noch waren an dem Sonntag, an dem er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, Lifte, Hotels, Skihütten und Restaurants in Gröden geöffnet. Erst zwei Tage später verordnete die Landesregierung deren Schließung.

„Mein lieber Mann“, hatte seine Frau zu ihm gesagt, „das muss diese neue Krankheit sein, du gehörst ins Krankenhaus, bevor du auf der Intensivstation landest.“ Seine Frau, ebenfalls Ärztin, arbeitet mit ihm in der Praxis. Sie hatte neben Fieber eine beidseitige Lungenentzündung bei ihrem Mann festgestellt.

17 Tage war Kostner in Behandlung. „Ich bin der Intensivstation“, erzählt er, „gerade noch so entkommen.“ Was ihm half, war die Gabe von Sauerstoff, vier Tage lang per Sauerstoffmaske, dann zehn Tage lang per Nasensonde.

Jetzt ist er wieder daheim, schreibt Rezepte, verschickt sie per Mail oder Whatsapp und berät Patienten am Telefon, aber wenn er die Treppen hochsteigt, ist er immer noch ein wenig kurzatmig, er wird schneller schlapp. „Das wird mich“, sagt er, „noch ein, zwei Monate begleiten.“ Bei einer Lungenentzündung wird das Blut nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Kostner vergleicht es mit der Höhenkrankheit, die Bergsteiger in großen Höhen befällt.

„Wir haben“, sagt er im Rückblick, „das Virus unterschätzt.“ Kostner ist ein erfahrener Hausarzt, seine Praxis in Gröden betreibt er seit 24 Jahren. Ende Februar, Anfang März, als die Influenza grassiert, ist seine Praxis voll. Das Tal läuft in den Faschingsferien auf Hochbetrieb, der Betrieb brummt.

Es ist eng in den Gondeln und auf den Skihütten, die Menschen, die eine Grippe aufgeklaubt haben, landen in Kostners Praxis wie jedes Jahr. Kostner spürt, etwas ist anders, aber er denkt sich: „In jedem Winter ist es so, dass wir als Erste angesteckt werden, das vergeht, wir sind dann immun.“

In der letzten Februarwoche, also zwei Wochen, bevor in Südtirol der Tourismus stillgelegt wird, fällt Kostner auf, dass Patienten mit komischen Symptomen bei ihm vorsprechen, der Krankheitsverlauf dauert bei manchen länger als normal, viele Patienten klagen über den Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns (eine Folge von Covid-19, wie sich jetzt langsam herausstellt).

Die Erkrankten bekommen fiebersenkende Mittel, werden für eine Woche krankgeschrieben, manche noch länger: „Schwerwiegende Verläufe haben wir keine festgestellt.“ Aus China, dort grassiert Corona schon seit Dezember 2019, kommen Nachrichten von der schnellen Verbreitung des Virus, von vielen Toten, doch kaum jemand in Europa schätzt das Coronavirus richtig ein. Die Gesundheitsbehörden nicht, die Regierungen nicht, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht und auch Simon Kostner nicht.

„Die Informationen“, sagt Kostner, „waren unklar, auch an der normalen Grippe sterben ältere Menschen, wir haben verstanden, es ist dieses Virus, das gehäuft in der Lombardei auftritt und aus China kommt, aber wir haben gedacht, es wird halt eine stärkere Grippe sein.“ So wie er infizieren sich auch die anderen Hausärzte in Gröden mit dem Virus.

Der erste, offizielle, Coronafall wird in Südtirol am 24. Februar bekannt, es ist ein Mann aus Terlan, der sich an einem der Infektionsherde in der Lombardei aufgehalten hat. Landeshauptmann Arno Kompatscher sagt bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz, es gebe keinen Anlass, neue Maßnahmen zu setzen.

Die Ärzte in Gröden, die Patienten in der letzten Februarwoche testen lassen wollen, werden abgewiesen. Tests gebe es nur, lautet die Auskunft des Sanitätsbetriebes, wenn die betroffene Person sich in der Lombardei aufgehalten oder engen Kontakt mit einem Infizierten gehabt habe. Da haben die Gäste aus der Lombardei das Virus schon nach Gröden getragen. „Es war massiv da“, sagt Kostner. Doch niemand dachte daran, sich mit einer Maske zu schützen, auch die Hausärzte nicht.

Gegen Corona gibt es weder Impfstoff noch Medikamente. Bei Patienten, die an Covid-19 erkrankt sind, wird mit verschiedenen Arzneien experimentiert. Mit Camostat Mesilate, einem Medikament, das in Japan gegen Bauchspeicheldrüsenentzündungen zugelassen ist; mit Chloroquin, einem Wirkstoff gegen Malaria; mit Remdesivir, das für die Behandlung von Ebola eingesetzt wird; mit dem HIV-Medikament Lopinavir. Kostner bekam im Krankenhaus antivirale Medikamente und Chloroquin. Ob sie das Virus effektiv bekämpfen, weiß niemand.

„Ich hoffe, man zieht für das nächste Mal die Lehren daraus“, sagt er, „die Kommunikation war sehr träge, auch von Seiten der WHO.“

weitere Bilder

  • Simon Kostner

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.