Politik

Gespenstisch still

Aus ff 15 vom Donnerstag, den 09. April 2020

Dieter Steger
SVP-Senator Dieter Steger bei einer Sitzung der Bilanzkommission: „Normale Tätigkeit, nur unter völlig anderen Rahmenbedingungen.“ © Dieter Steger
 

Wie die Parlamentarier in Rom versuchen, trotz Corona Politik zu machen.

Jeden Tag, wenn Dieter Steger zurzeit in Rom ist, verlässt der Senator gegen acht Uhr das Haus, in dem er ein Zimmer mit Bad hat. Seit Neuestem geht er dann in die Bäckerei nebenan oder in den kleinen Lebensmittelladen ums Eck und kauft sich Proviant für den Tag. Dann macht er sich auf den Weg zum Palazzo Madama, dem Sitz des italienischen Senats. Im Eingangsbereich wird Fieber gemessen, ein Mundschutz ist sowieso Pflicht. Für die nächsten zwölf Stunden wird Steger von diesem alten Gemäuer an der Piazza Navona verschluckt.

Wo es drinnen ansonsten sehr lebhaft zugeht, ist es jetzt sehr ruhig. Journalisten und Besucher haben keinen Zutritt mehr, Restaurant und Cafeteria im Gebäude haben geschlossen. Dafür erhält man jeden Tag eine E-Mail, wo man sich „cestini“ mit Brot und Salat bestellen kann.

Diese Krise ist nicht abstrakt, es ist eine, die sichtbar ist. Steger ist einer von jenen Parlamentariern, die in diesen Tagen nicht unbedingt im Homeoffice ausharren, sondern in Rom und im Parlament. Er ist Mitglied der Haushaltskommission im Senat, die zurzeit auf Hochdruck am Dekret „Cura -Italia“ arbeitet – es soll diese Woche (nach ff-Redaktionsschluss) im Plenum behandelt werden.

Die Coronakrise verändert die Art und Weise, wie Politik gemacht wird. Vor allem in Rom, wo das Schmieden von Kompromissen zwischen Mehrheit und Opposition und auch innerhalb der Mehrheit schon in Normalzeiten schwierig genug ist. Das politische Geplänkel ist zwar auch in Zeiten von Corona nicht völlig eingestellt, trotzdem hört man seit vier Wochen nur eine politische Stimme in Italien – die Stimme des Premiers. Giuseppe Conte, 55, der parteilose Anwalt, ist jetzt der oberste Krisen-manager. Seine Popularität wächst. Ob er seinen Job gerade besonders gut macht oder ob er vielleicht doch zu weit geht, das weiß noch niemand so genau.

„Es ist schwierig zu beurteilen, ob es jemand in einer solchen Notsituation gut oder schlecht macht“, sagt Dieter Steger. Der springende Punkt sei die Zeit. „Die Maßnahmen sind hart. Irgendwann könnte die Zeit zum Feind werden.“ Anstatt in den üblichen Sitzungsräumen, finden die Sitzungen der Kommission in den großen Konferenzräumen des Palazzo statt, die weite Abstände zwischen den Senatoren ermöglichen. Jeder von ihnen sitzt an einem kleinen Tisch. Manchmal gibt es Videoschaltungen.

Während wir mit dem Senator telefonieren, sitzt er im Zug von Rom nach Bozen. Er trägt einen Mundschutz, einige Reihen vor ihm gibt es einen weiteren Fahrgast. An manchen Tagen sitzt er auch schon mal ganz allein im Schnellzug.

Rund 740 Autokilometer weiter nördlich von Rom sitzt Albrecht -Plangger an seinem Schreibtisch in Graun im Vinsch-gau und bearbeitet Akten. Bereits in den ersten Märztagen hatte der SVP-Parlamentarier geahnt, dass ein Ausnahmezustand auf Land und Leute zukommen würde. Vorsorglich brachte er seine Akten und Unterlagen früh von Rom nach Graun. Zu tun hat er also genug, es geht um Themen wie die Senkung von Lohnnebenkosten oder die umstrittenen Kormorane. Plangger hofft, dass nach der schlimmsten Phase im Parlament nachgeholt wird, was jetzt liegen bleibt. „Es braucht dann viel Schwung, um das politische Programm wieder aufzunehmen“, sagt er. Er jedenfalls wolle vorbereitet sein.

In einer solchen Krise ist es vor allem an der Regierung zu handeln. Von der „Stunde der Exekutive“ ist die Rede. Gleichwohl muss das Parlament handlungsfähig bleiben. Trotzdem fühle man sich zurzeit oft mehr als Zuschauer und Beobachter, sagt Albrecht Plangger. Darunter leide er persönlich sehr. Der 60-Jährige räumt ein, dass er sich im Premier Conte wohl geirrt habe. Was bitte soll so ein „professore“ in der Politik schon bewegen?, hat er sich anfangs gedacht. „Ich habe nichts von ihm gehalten. Heute sage ich: Er macht schon einen guten Job.“

Die Demokratie ist langsam. In Normalzeiten. Kompromisse müssen gesucht und viele Interessen berücksichtigt werden. Jetzt beschließt die Exekutive im Eilverfahren ein Dekret nach dem anderen – alles für den Kampf gegen das Virus. In Zeiten von Corona muss auch die italienische Politik beweisen, dass sie schnell sein kann. Kein leichtes Unterfangen.

In Graun im Vinschgau erlebt Albrecht Plangger einen doch ziemlich entschleunigten Alltag, notgedrungen. In den vergangenen Jahren, so sagt er, habe er vermutlich keinen einzigen Nagel selbst in die Wand geschlagen. Jetzt streicht er den Gartenzaun und läuft „ständig mit dem Hammer ums Haus“, zu tun gibt es auch hier genug. „Wem bitte“, fragt er, „sollte man denn jetzt politisch auf die Nerven gehen? Halten wir zusammen. Unterstützen wir die Regierung.“

In dieser Krise muss die Gesellschaft an einem Strang ziehen. Auch die Politik. Renate Gebhard ist fest davon überzeugt. Die SVP-Fraktionssprecherin in der Abgeordnetenkammer bedauert, dass in Rom mittlerweile wieder die politischen Spielchen begonnen hätten. „Parteipolitische Profilierung wäre jetzt eigentlich nicht angesagt“, sagt sie. „Schade, dass manche das nicht verstehen. Es ist ein Trauerspiel.“

Vergangene Woche hat das Plenum an zwei Tagen getagt, mit Abstimmungen zu diversen Gesetzesdekreten – ansonsten verfallen diese innerhalb von 60 Tagen. Es gab eine vierseitige Anleitung zum Wahlmodus: Es findet keine elektronische Abstimmung statt, sondern per Hand und mit Namensappell; es ist klar definiert, wo man sich bis zur persönlichen Abstimmung aufhalten darf, unter anderem im eigenen Büro, und zu welcher Uhrzeit jeder seine Stimmabgabe leisten kann. Alles erfolgt im 15-Minuten-Takt, in alphabetischer Reihenfolge. Gleichzeitig anwesend im Plenarsaal sind freilich nicht alle 630 Abgeordneten. Die Sicherheitsabstände wären in den engen Sitzreihen nicht gegeben. Deshalb gilt eine Beschlussfähigkeit, wenn zwei Drittel der Parlamentarier anwesend sein können.

„Es ist eine ganz eigene Art, wie wir derzeit arbeiten“, sagt die 42-jährige Politikerin. „Aber wir sind jetzt alle im Sondermodus. Es gilt, flexibel zu sein, sich anzupassen.“ Die Kontrollfunktion und Wichtigkeit des Parlaments, sagt sie, werde einem noch einmal mehr bewusst in dieser Situation.

Es gibt bereits fünf positiv getestete Kammerabgeordnete. Jeder Parlamentarier, der auch nur leichte Symptome oder etwas Fieber aufweist, darf den Palazzo Montecitorio zurzeit nicht betreten. „Das Parlament“, sagt Gebhard, „ist ein idealer Ort für die Verbreitung des Virus.“ Hier kommen Menschen aus dem ganzen Land auf engstem Raum zusammen – und nach einigen Tagen kehren alle wieder in ihre Region und Stadt zurück.

Es sind Tage und Wochen, in denen nichts mehr abläuft wie üblich. Die Parlamentarier müssen Gesetzesdekrete erarbeiten, Maßnahmenpakete beschließen und sich zugleich selbst vor dem Virus schützen. Dazu kommt, dass viele zurzeit nur schwer nach Rom anreisen können, Flüge und auch die meisten Züge fallen aus. Einen Schnellzug Bozen-Rom gibt es pro Tag, um 15 Uhr, retour gibt es auch nur noch eine Verbindung. Einige Südtiroler Parlamentarier mussten schon per Taxi oder eigenem Auto die Dienstfahrt absolvieren.

Nichts ist wie sonst, die Coronakrise beherrscht das Parlament ebenso wie ganz Rom. Das Gedränge vor dem Pantheon, beim Kolosseum oder bei der Spanischen Treppe – einfach weg. Leer alle Straßen und Plätze, wie ausgestorben. „Rom hat sich in eine Geisterstadt verwandelt“, sagt Meinhard Durnwalder. Wie auch viele der anderen Parlamentarier schickt er uns Handyfotos mit Eindrücken aus der Ewigen Stadt. Die Bilder wirken gespenstisch.

Durnwalder sitzt in seinem Zuhause in Issing. Vieles können die Parlamentarier mittels Videokonferenzen und Telefonaten erledigen. Vor allem dann, wenn es nicht möglich ist, rechtzeitig zu einer Sitzung nach Rom zu kommen, weil diese zu kurzfristig angesetzt wird. „Die demokratischen Spielregeln müssen mit aller Konsequenz auch in einer Krisensituation eingehalten werden“, sagt der Senator. Es sei freilich auch eine Zeit, in der alle damit rechnen müssen, Fehler zu machen. Als Beispiel nennt er die etwas konfuse Kommunikation vor allem zu Beginn der Krise.

Bis Ostern, sagt der SVP-Senator, würden die meisten Bürger diese Ausnahmesituation mit ihren rigiden Maßnahmen akzeptieren. Danach werde es schwierig. „Wir werden lernen müssen, mit diesem Virus zu leben.“ Es gehe darum, die Maßnahmen so schnell als möglich und stufenweise zu lockern.

Der 43-jährige Politiker hat viel telefoniert in den vergangenen Wochen, so viel wie wohl noch nie, sagt er. Es ging vor allem darum, viele Südtiroler, die im Ausland festsaßen, heim zu holen. Beispielsweise aus Kambodscha, Peru oder Chile. Die Parlamentarier haben sich die Fälle untereinander aufgeteilt, im Großen und Ganzen hätte man alle zu einem guten Ende gebracht.

Trotzdem. Diese Krise ist nichts, was man so einfach steuern kann. Dabei wollen Politiker doch nichts lieber als steuern. Das Coronavirus zwingt das Parlament „zur Arbeit auf Sparflamme“, sagt Julia Unterberger. Alles und jeder arbeite nur noch für die Corona-Dekrete. Die Sprecherin der Autonomiegruppe im Senat zählt auf, welche Punkte ihr besonders wichtig sind zurzeit: die Regierung unterstützen, dem Ministerpräsidenten und der Exekutive konstruktiv zuzuarbeiten. Sich jetzt als einzelner Politiker profilieren zu wollen, sei nicht angebracht. „Leider“, sagt die SVP-Senatorin, „fehlt ein richtiges Wir-Gefühl immer noch“. Der Ministerpräsident selbst mache es „super“; er und sein Team würden sich bemühen, den Menschen „Perspektiven zu geben“. Sie hofft, dass bei der Wiedereröffnung nicht alle Regionen zentralistisch und einheitlich behandelt werden.

Den ersten Schock durch die Corona-Krise hat Julia Unterberger mittlerweile überwunden. Als Anfang März bekannt wurde, dass Nicola Zingaretti, der Chef des Partito Democratico, positiv auf Corona getestet worden war, wurde der 57-Jährigen schon etwas mulmig. „Wir sind viel mit PD-Politikern zusammen, ständig“, sagt sie.

Nicola Zingaretti hat mittlerweile wissen lassen, dass er geheilt ist – nach 23 Tagen Quarantäne und so mancher „brutta giornata“.

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  • Kammer Julia Unterberger Piazza Navona und der Senat

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