Politik

Die Party ist aus

Aus ff 15 vom Donnerstag, den 09. April 2020

Skipiste
Skipiste in Gröden: Vom ersten Fall bis zur Schließung dauerte es zwölf Tage. © Archiv
 

Der Wintersportort Gröden war einer der Brennpunkte des Coronavirus. Wie in Ischgl hat man auch hier gezögert, den Laden dichtzumachen. Warum das Krisenmanagement trotzdem besser lief.

Gröden gilt gemeinhin nicht als Partymeile im internationalen Skibetrieb. Hierher kommen eher die Genussskifahrer, die Ausdauernden, die Betuchten. Sie machen die Sellaronda, genießen das umwerfende Panorama und die gute Küche auf den Hütten.

Freilich gibt es auch in Gröden die eine oder andere Après-Ski-Bar, vor allem in Wolkenstein. Hier wird nach erfolgreicher Pistenbewältigung gefeiert, zwar nicht wie in Ischgl, dem „Home of Wahnsinn“, bis in die frühen Morgenstunden, aber immerhin. Und Après-Ski ist, wie man seit Ischgl weiß, der ideale Nährboden für das Coronavirus.

Menschen stehen dichtgedrängt an der Bar, sie tanzen und schwitzen, sie brüllen einander unverständliche Worte ins Gesicht, weil die Musik so laut ist. Das hat in Ischgl dazu geführt, dass sich viele Menschen mit dem Virus angesteckt haben, darunter auch Baristinnen und Kellner.

Und obwohl Island Ischgl bereits am 4. März zum Hochrisikogebiet erklärte, dauerte es noch zehn Tage, bis dort der Laden dicht gemacht wurde. Auch in Gröden ließ man sich Zeit damit. Trotzdem lief das Krisenmanagement hier besser.

Freitag, 21. Februar

In den Provinzen Lodi und Padua werden scheinbar aus dem Nichts siebzehn Coronafälle gemeldet. Wo kommen die plötzlich her? Regierungschef Giuseppe Conte lässt elf Gemeinden abriegeln. In einer Stellungnahme warnt er vor überzogenen Reaktionen – etwa vor der Schließung von Grenzen. Man werde alles tun, um die Gesundheit der Bürger zu schützen.

Samstag, 22. Februar

Eine Gruppe von Skifahrern aus Baden-Württemberg checkt in einem kleinen Appartmenthaus in Wolkenstein ein. Tags darauf verfügt Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher die Schließung von Uni, Claudiana, Konservatorium und Kitas bis zum 1. März. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, den man am Montag darauf bei einer Pressekonferenz im Zivilschutzzentrum in Bozen zum lauen Lüftchen herabstufen möchte. Die Botschaft lautet: bloß keine Panik. Am selben Abend wird der erste Coronafall in Südtirol bekannt: Ein junger Mann aus Terlan hatte sich in Castiglione d’Adda bei Lodi aufgehalten und war nach Hause zurückgekehrt.

Dienstag, 25. Februar

Die Grödner Tourismusorganisation „Dolomites Val Gardena Marketing“ verschickt um 17.59 Uhr eine erste Mail zum Coronavirus. Im Tal sei noch kein Erkrankungsfall bekannt, daher gelten die üblichen Stornobedingungen.

Zur Prävention sollten die Mitarbeiter angehalten werden, mehrmals täglich die Hände zu waschen, sich nicht ins Gesicht zu fassen, in den Ellbogen zu husten und oft berührte Flächen zu desinfizieren. Ansonsten könne der Ski- und Tourismus-
betrieb weiterlaufen wie zuvor.

Am nächsten Tag unterzeichnet Kompatscher eine Verordnung, dass ab Montag, 1. März, Kindergärten, Schule und Uni regulär weiterlaufen. Italienweit sind inzwischen offiziell 322 Menschen an Covid-19 erkrankt, 10 daran gestorben. Vor Reisen nach Italien warnen Frankreich, Spanien, Griechenland, Irland, Kroatien, Russland und die Türkei.

Mittwoch, 26. Februar

Ein Mann aus der Gruppe von Skifahrern, die am Samstag in Wolkenstein eingecheckt hatten, fährt vorzeitig nach Hause. Er fühlt sich nicht gut und sucht noch am Abend die Notfallambulanz der Heidelberger Uniklinik auf. Dort wird er am Donnerstagabend positiv auf das Virus getestet.

Freitag, 28. Februar

Die Eigentümerin des kleinen Wolkensteiner Appartmenthauses teilt dem Sanitätsbetrieb mit, dass sie einen Covid-19-Fall im Haus gehabt habe. Da sie die einzige enge Kontaktperson der Gruppe war, wird sie zu Hause unter Quarantäne gestellt. Das Appartmenthaus wird geschlossen.

Südtirols Landespresseamt zerstreut umgehend die Frage, ob Wolkenstein ein Infektionsherd sein könnte: „Angesichts des kurzen Aufenthalts des Touristen auf Südtiroler Gebiet ist es nach Angaben des Sanitätsbetriebs derzeit nicht möglich zu klären, wo die Person mit Covid-19 infiziert wurde.“

Abgesehen davon, dass der infizierte Tourist trotzdem andere Gäste hätte anstecken können, war sein Aufenthalt so kurz auch wieder nicht. Zählt man den Samstag der Anreise dazu, waren es fünf Tage, die er in Wolkenstein verbracht hatte.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt zwar fünf bis sechs Tage als Inkubationszeit der Krankheit an. Aber das ist ein Durchschnittswert. Insgesamt, so die WHO, reiche die Spannweite von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Krankheit von einem Tag bis zu vierzehn Tagen.

Sonntag, 1. März

„Dolomites Val Gardena Marketing“ schreibt an seine Mitglieder, dass die Lage stabil sei: „Der Bürgermeister aus Wolkenstein Roland Demetz und der Präsident des Tourismusvereins Wolkenstein Christoph Vinatzer erklären, dass der infizierte Gast, der in einem Unterkunftsbetrieb in Wolkenstein übernachtete, wahrscheinlich schon bereits vor seiner Anreise mit dem Coronavirus infiziert war.“

Montag, 2. März

Wolkensteins Sozialreferentin Christine Senoner muss in Quarantäne. Sie hatte Kontakt zu einem Infizierten. „Da habe ich gesehen, wie schnell das geht“, wird sie später ff erzählen. Ab da habe sie Druck gemacht, sich der Verantwortung zu stellen.

Christine Senoner wird zweimal negativ auf das Virus getestet. „Es war eine schlimme Zeit“, sagt sie. Aber ihr sei in der Quarantäne noch klarer als ohnehin geworden, dass die Gesundheit an erster Stelle stehe.

Dienstag, 3. März

Wolkensteins Bürgermeister Roland Demetz sagt im Tagblatt Dolomiten: „Wir hatten in der vergangenen Woche 50 Prozent Absagen wegen des Coronavirus.“ Dabei sei die Lage nicht problematisch: Der infizierte deutsche Urlauber sei abgereist, die Gastgeberin in Quarantäne.

In Südtirol selbst bleibt es bei einem Infizierten – jenem jungen Mann aus Terlan. Ein Blick in die Testreihen des Zivilschutzes offenbart, warum das so ist: In Südtirol wird bis zu diesem Zeitpunkt nur wenig getestet. Und wo wenig getestet wird, werden auch wenig Infizierte gefunden. Insgesamt sind es bis zu diesem Tag gerade zwanzig Tests, wobei manche Personen mehrfach getestet wurden.

Am Abend lässt Landeshauptmann Arno Kompatscher die Schulen und Kitas in St. Christina, Wolkenstein, Abtei, Welsberg, Toblach und Prettau schließen. Grund dafür seien nunmehr drei infizierte Touristen, die in Wolkenstein geurlaubt hatten, und zwei, die in Welsberg-Taisten waren. Und es werden immer mehr.

Mittwoch, 4. März

Mirjam Moll, eine engagierte Politikreporterin des Südkuriers in Konstanz, ruft beim Robert-Koch-Institut (RKI) an. Sie fragt nach, warum es Südtirol nicht als Risikogebiet einstuft. Schließlich seien viele der Infizierten in Baden-Württemberg aus dem Urlaub aus Südtirol – und hier vor allem aus Wolkenstein – zurückgekehrt. Das RKI bezichtigt sie am Telefon der Panikmache.

Dabei, sagt sie später gegenüber ff, sei es doch offensichtlich gewesen: „Nachdem die Fastnachtsferien vorüber waren, stieg die Anzahl der Infizierten in Deutschland rapide an.“ Den Vorwurf der Panikmache widerlegt das RKI tags darauf, am 5. März, selbst. Es erklärt Südtirol zum Risikogebiet. RKI-Präsident Lothar Wieler sagt, insgesamt würden 36 Coronafälle in Deutschland in Verbindung mit Südtirol stehen.

Reporterin Moll hält das für zu spät: „Viele Familien hatten ihren Urlaub schon angetreten und kamen mit dem Virus zurück.“ Da sie unverdrossen darüber berichtet, erhält sie einen Brandbrief von Südtiroler Tourismustreibenden: Sie würde die Region stigmatisieren, denn es sei überhaupt nicht nachgewiesen, dass …

Dolomiti Superski teilt mit, dass die Aufstiegsanlagen wie geplant bis zum Saisonende offen bleiben, „vorbehaltlich heute unvorhersehbarer Situationen“.

Freitag, 6. März

Bürgermeister Roland Demetz trommelt die Wirtschaftstreibenden seines Dorfes zusammen. Hoteliers, Gastwirte, Geschäftsinhaber, Skiliftbetreiber. Der Tenor: So könne man nicht weitermachen. Alle, sagt er später gegenüber diesem Magazin, seien damit einverstanden gewesen, die Saison vorzeitig zu beenden. Keiner habe seine Stimme dagegen erhoben. Wirklich keiner? „Nein“, sagt er, „ich war selbst erstaunt.“ Aber das spreche für das Verantwortungsbewusstsein seiner Leute.

Angepeilt wird zu diesem Zeitpunkt noch das Ende der darauffolgenden Woche. Das vereinbart Roland Demetz auch so mit seinen Grödner Bürgermeisterkollegen aus St. Ulrich und St. Christina.

Derweil hat Regierungschef Conte bereits am Tag zuvor Italiens Schulen und Kindergärten geschlossen. Das Land meldet mittlerweile 4.636 Infizierte und 197 Tote. Nichtsdestotrotz findet das Tagblatt Dolomiten: „Überzogenes Dekret legt das halbe Land lahm“. Mit einem Schnellschuss-Dekret, steht zu lesen, wolle Rom die Ausbreitung des Coronavirus stoppen. „Ob es wirkt, ist fraglich.“

Samstag, 7. März

Handelskammerpräsident Michl Ebner meldet sich mittels Presseaussendung zu Wort: Die Risikoeinstufung Südtirols entbehre jeglicher Grundlage, man fordere eine Neubewertung und habe in diesem Sinne bereits beim RKI interveniert. Südtirol sei von der Lombardei weit entfernt, nicht einmal Italien zähle das Land zur roten Zone.

Seit der Einstufung als Risikogebiet verzeichne Südtirol täglich massenhaft Abreisen und Stornierungen deutscher Gäste. In München seien Schüler, die einen Urlaub in Südtirol verbracht hatten, sogar der Schule verwiesen worden. „Dies ist unnütze Hysterie“, brächte es Ebner auf den Punkt. So steht es jedenfalls in der Presseaussendung zu lesen.

Montag, 9. März

Um 8.30 Uhr treffen sich die Wirtschaftsvertreter von St. Ulrich mit Tobia Moroder. Der Bürgermeister ist angespannt, weil er weiß, wie delikat die Lage ist. Werden die Hoteliers und Geschäftsinhaber mitziehen, wenn man nun beschließen müsse, alles zuzumachen? Und zwar innerhalb von
48 Stunden.

„Ich war erstaunt“, sagt Tobia Moroder später gegenüber diesem Magazin, „wie verantwortungsvoll alle gehandelt haben.“ Gegen die Schließung habe sich niemand ausgesprochen, aus freien Stücken seien alle bereit gewesen, alles zu tun, um die weitere Ausbreitung der Seuche zu vermeiden.

Zu dieser Einsicht sind mittlerweile auch die Tourismusbosse des Landes gelangt. In einer Pressekonferenz im Bozner Hotel Laurin teilen Hotelierschef Manfred Pinzger und Landeshauptmann Arno Kompatscher zu Mittag mit, dass die Skigebiete ab Mittwoch schließen müssen. Ebenso sollen alle Hotels und Pensionen zumachen. „Dolomites Val Gardena Marketing“ verschickt um 15.44 Uhr eine Mitteilung an alle Mitglieder im Tal: „Die Beherbergungsbetriebe müssen am Mittwoch, 11. März, schließen und dürfen demzufolge keine weiteren Gäste annehmen.“

Regierungschef Conte beschließt am Abend, noch früher zuzumachen. Italien wird zur Sperrzone. Ab Dienstag ist die Party nicht nur für Skigebiete aus, sondern für alle Menschen im Staat. Sie sollen ab sofort zu Hause bleiben.

Auf die Frage, ob er Klagen von infizierten Gästen fürchte – ähnlich wie in Ischgl –, antwortet Bürgermeister Roland Demetz: „Heutzutage kann man gegen alles und jeden klagen.“ Er aber sei sich keiner Schuld bewusst, die Gemeinde sei mit Augenmaß und Bedacht vorgegangen. Trotzdem konnte nicht verhindert werden, dass in Wolkenstein allein im März so viele Menschen gestorben sind wie sonst in einem ganzen Jahr.

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  • Christine Senoner

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