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Politik
Corona in New York
Aus ff 16 vom Donnerstag, den 16. April 2020
Die USA verzeichnen weltweit die meisten Toten in der Coronapandemie. Sechs Südtiroler, die dort leben, berichten von ihrer Lage.
Notiert von Alexandra Aschbacher
Nur El Shami - 33, Director of Strategic Operations bei der New York Times
Mein Mann und ich hatten zwei Wochen lang die klassischen Covid-19-Symptome: Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, Hals-, Brust- und Kopfschmerzen. Wir sind uns ziemlich sicher, das Virus gehabt zu haben, aber wir wollten das System nicht überfordern und sind einfach zu Hause geblieben. Wir sind jung, gesund und zählen zu keiner Risikogruppe. Wir kennen einige, die zurzeit entweder im Krankenhaus oder leider verstorben sind. Ein Bekannter von mir arbeitet jetzt als freiwilliger Helfer in einer Krankenhausambulanz. Er sagt, die Situation sei tragisch. Normalerweise gibt es in New York City durchschnittlich 3.000 ambulante Fälle am Tag. Zurzeit sind es 7.000 pro Tag. Ich fürchte, die Zahl der Infizierten liegt um einiges höher. Leider gibt es nicht genug Tests.
Ich bin seit 11. März im Homeoffice. Ursprünglich hieß es bis 20. April, mittlerweile heißt es „auf unbestimmte Zeit“, es gibt kein fixes Datum, ab wann wir wieder ins Büro dürfen. Ich habe das Gefühl, das Ganze wird noch eine Zeit lang dauern. Möglicherweise bis in den späten Sommer hinein.
Mein Mann, ein gebürtiger New Yorker, und ich haben Glück. Wir haben ein Landhaus in Upstate New York, eineinhalb Stunden von NYC entfernt; wir sind dorthin geflüchtet und haben uns selbst unter Quarantäne gestellt. Wir leben von Tag zu Tag. Mein Arbeitstag beginnt gegen 7 Uhr morgens und endet um 5 oder 6 Uhr nachmittags. Anschließend arbeite ich noch ein bisschen im Garten. Wir haben einen 50 Jahre alten Apfelgarten mit 82 Bäumen. Ich lerne gerade wieder, mit der Natur in Harmonie zu sein.
Meine Sorgen sind zurzeit bei jenen Menschen in NY und Amerika, die nicht so viel Glück haben wie wir. Menschen, die ihre Arbeit verloren, nicht genug zu essen und keine Krankenversicherung haben. Wir versuchen, einen kleinen Beitrag zu leisten, indem wir zum Beispiel unser Dienstpersonal, etwa Putzfrauen, weiterhin bezahlen, auch wenn sie im Moment ihrer Arbeit nicht nachgehen können. Solange sich für uns einkommensmäßig nichts ändert, soll sich auch für diese Menschen nichts ändern. Natürlich sorge ich mich auch meine Familie, meine Großeltern in Meran. Aber ich weiß, dass es ihnen gut geht.
Nur El Shami ist als Tochter einer Südtirolerin und eines Palästinensers in Meran aufgewachsen. Seit fast fünf Jahren lebt sie in NYC, davor in London, Paris und Mailand.
Verena Zannantoni - 38, arbeitet bei der Werbeagentur „Alto NY“
Die allgemeine Lage hier in New York ist schwierig zu beschreiben. Die ausländischen Medien vermitteln teilweise einseitige Eindrücke. Die Bilder des leer gefegten Times Square, des Feldlazaretts im Central Park und der überfüllten Krankenhäusern entsprechen zwar alle der Realität, allerdings ist die Situation in den Wohnvierteln eine andere.
In Manhattan oder Brooklyn geht das Leben weiter. Leute erledigen ihre Einkäufe, Hunde werden Gassi geführt und Eltern spielen Baseball mit ihren Kindern im Park.
Die Ausgangsbeschränkung gilt bis 30. April, seit kurzem gibt es auch die Empfehlung, in der Öffentlichkeit einen Mundschutz zu tragen.
Ich arbeite für die Werbeagentur „Alto NY“ meines Mannes Hannes Ciatti. Alle unsere Angestellten sind seit gut einem Monat im Homeoffice. Alle Projekte werden virtuell über Mails, Videokonferenzen und Telefonate besprochen und geplant. Vom Auftragsvolumen her hat sich für uns zum Glück kaum etwas geändert. Da einer unser Kunden eines der größten Krankenhäuser in New York ist, haben wir alle Hände voll zu tun: Wir entwickeln Teledoktor-Apps und erstellen Aufklärungskampagnen.
Unser gemeinsamer Sohn Ennio ist jetzt acht Monate alt, also arbeite ich zurzeit nur halbtags. Es ist nicht einfach, alles unter einen Hut zu bringen. Hannes hat das Glück, ein Büro für sich allein zu haben, das nur etwa 100 Meter von unserer Wohnung entfernt ist. Den wöchentlichen Einkauf erledigen wir online. Wir bestellen fast alles über Amazons Bio-Supermarkt „Whole Foods“. Die Lieferung erfolgt meist am nächsten Tag und wird von unserem Portier entgegengenommen. Dann wird alles desinfiziert und gewaschen.
Insgesamt ist die Arbeit etwas in den Hintergrund geraten. Da auch Ennios Nanny zuhause bleiben muss, dreht sich der Großteil des Tages um den kleinen Mann. Sein Lachen und seine Eskapaden sorgen für eine willkommene Abwechslung. Auch haben wir mehr Zeit, mit unseren Familien zu telefonieren. Vor allem die Oma in Bergamo und der Opa im Sarntal freuen sich, ihren Enkel zu sehen, wenn auch nur über Video-Telefonate.
Insgesamt ist es eine große Umstellung. Wir sind hier in NYC ein schnelles Tempo gewohnt. Aber es schadet uns wahrscheinlich nicht, ein wenig innezuhalten. Anstatt beim Lieblings-Mexikaner zu Abend zu essen, werden jetzt halt daheim Nocken gekocht und Lagrein getrunken. Aber ehrlich gesagt: Der „hustle and bustle“, also „die Hektik und der Trubel“ der Stadt fehlen schon ein wenig.
Präsident Donald Trump schafft es nicht, den Amerikanern Hoffnung zu machen. Er trägt zur allgemeinen Verunsicherung bei, indem er täglich zwischen Paranoia, Inkompetenz und Wunschdenken schwankt. Er widerspricht ständig den Experten, was fatale Folgen haben könnte. Man kann nur hoffen, dass die Präsidentschaftswahl im November einen Wechsel mit sich bringen wird.
Verena Zannantoni ist in Sarnthein aufgewachsen, seit 2012 lebt sie in NYC, wo sie bis zum vergangenen Jahr beim Zeitschriftenverlag Condé Nast als Account Director tätig war.
Hannes Berger - 54, Vorstandsmitglied der Unternehmensgruppe und Geschäftsführer von Dr. Schär Nordamerika
Seit knapp einem Monat versuchen wir, einen disziplinierten Tagesablauf einzuhalten. Wir kaufen immer für zwei Wochen ein, unsere sozialen Kontakte haben wir fast vollständig auf die virtuelle Ebene verlegt. Die Schule unserer Tochter hat auf E-Learning umgestellt, das funktioniert erstaunlich gut. Sogar ihr Klavierunterricht wird über Facetime abgehalten. Zu tun gibt es genug auch im Homeoffice: Als Lebensmittelunternehmen für Diätprodukte müssen wir sicherstellen, dass die Produktion läuft und die Kommunikation zu allen Mitarbeitern im Homeoffice aufrechterhalten wird.
Wir beschäftigen in den USA 100 Mitarbeiter an zwei Standorten. Telecommuting gehört in den USA zum Glück schon lange zum Arbeitsalltag. Trotzdem sagen viele meiner Mitarbeiter, dass sie es nicht erwarten können, wieder in ihr gewohntes Arbeitsumfeld zurückzukehren. Allerdings kann heute noch niemand abschätzen, wann das passieren wird.
Wir zählen heute bereits mehr Todesopfer durch Covid-19 als durch den Terroranschlag von 9/11. Die New Yorker fackeln nicht lange und packen an. Innerhalb weniger Tage wurde das größte Kongresszentrum in NYC zu einem Covid-Krankenhaus mit 1.000 Betten umfunktioniert. Ein Lazarettschiff der Marine hat auch schon vor zwei Wochen am Hudson River angelegt und das Militär bietet massive Unterstützung in allen Bereichen. Ich glaube nicht, dass es kurzfristig zu einem Kollaps kommt.
Das Land ist tief gespalten und wird es durch Donald Trump immer mehr. Es gibt zum Glück hochkarätige Experten, Wissenschaftler und Ärzte und ein funktionierendes Parlament, die genau wissen, was sie tun. Trump hat aufgrund des föderalistischen Systems nicht ausreichend Machtbefugnisse, um auf die Bundesstaaten einzuwirken. Das ist gut so. Trotzdem merkt man, dass vor allem die republikanisch regierten Staaten die Sache weniger ernst nehmen. Beach Parties von College-Studenten in Florida waren noch bis vor zwei Wochen an der Tagesordnung.
Wir kennen ein paar Coronafälle aus unserem Freundeskreis, die zum Glück mild verlaufen sind. Aus dem Familienkreis von Mitarbeitern wurden uns aber auch schon einige Todesfälle in Connecticut und New Jersey mitgeteilt.
Unser Ängste und Sorgen sind vor allem bei unseren Eltern in Südtirol, die wir wohl einige Zeit nicht besuchen können und bei unserer Tochter, die in Amsterdam geblieben ist. Natürlich machen wir uns auch über die Situation hier Sorgen, falls die Folgen der Pandemie besonders schwerwiegende Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft haben. Es besteht große Gefahr, dass sich die soziale Ungerechtigkeit weiter verstärkt.
Hannes Berger ist in Bozen aufgewachsen, vor drei Jahren zog er mit seiner Frau Birgit Oberkofler und den zwei Töchtern, 19 und 16 Jahre alt, nach New York.
Markus Dorfmann - 45, Restaurantbetreiber
Auf diese Krise war niemand vorbereitet. Es gibt viel zu wenig Beatmungsgeräte, zum Glück hat man jetzt die Krankenhausbetten aufgestockt, auch sind viele Ärzte und Pfleger aus dem Ruhestand wieder in die Arbeit zurück. NYC hat schon mehrere Katastrophen er- und überlebt. Wir sind stark, wir wissen, dass am Ende des Tunnels wieder Licht ist.
Ich arbeite sieben Tage die Woche in unseren Restaurants, um die Lieferungen zu koordinieren. Gemeinsam mit drei italienischen Freunden betreibe ich mittlerweile vier italienische Restaurants mit über 250 Angestellten. Unsere Restaurants sind offen, wir haben eine eigene App, über die die Menschen online bestellen können. Wir liefern dann aus. Einige unserer Mitarbeiter sind an Covid-19 erkrankt, aber sie haben sich gut erholt.
Natürlich machen wir uns Sorgen um unsere Zukunft. Wann dürfen wir wieder richtig öffnen? Wie wird es dann sein? Wir müssen ja auch weiterhin unsere Miete zahlen. Es soll jetzt seitens der Regierung finanzielle Hilfspakete geben – das würde vielleicht acht Wochen lang helfen. Und dann? Die Portale, wo man die Ansuchen dafür stellen kann, sind zurzeit völlig überlastet. Da hat man fast keine Chance.
Insgesamt sind die Amerikaner schon bereit zu helfen; eine solche Krise bringt die Menschen auch wieder zusammen – unabhängig von der politischen Einstellung. Präsident Donald Trump ist vollkommen unfähig, man hört jeden Tag neue Lügen. Ich hoffe, dass er im Herbst abgewählt wird.
Markus Dorfmann, gebürtiger Feldthurner, lebt seit 1995 in New York, die ersten 13 Jahre war er als Musiker unterwegs; 2008 gründete er mit drei Freunden das Restaurant „Emporio“.
Verena Aschbacher - 31, Universitätsassistentin an der Universität von Connecticut
Hier in Willimantic, circa drei Autostunden von New York entfernt, gibt es kein Ausgangsverbot, es wird aber gebeten, zu Hause zu bleiben. Unterwegs wird man nicht kontrolliert – sofern man sich nicht in größeren Gruppen aufhält. Aber die Regeln ändern sich schnell, vielleicht ist in paar Tagen wieder einiges anders. Die meisten halten sich an die Vorgaben und es sind wenige Menschen unterwegs, wobei in der Kleinstadt bereits vorher relativ wenig los war. Die amerikanischen Vorlieben, vor allem mit dem Auto zu fahren, wöchentliche Großeinkäufe zu machen, sowie die für sich stehenden Häuser mit großen Gärten sind gute Bedingungen für das Eindämmen des Virus.
Ich arbeite im Homeoffice und halte meine Kurse an der Universität online. Bereits am 17. März wurde kommuniziert, dass das gesamte Semester nur noch online gelehrt werde. Die Uni schickt täglich Updates und bemüht sich um gute Kommunikation. Die Eltern unserer Studenten, die in Austauschprogrammen in Europa waren, haben diese von dort zurückgeholt, denn man hat hier den Eindruck, dass in Europa Überforderung herrscht.
Mir geht es gut und ich fühle mich hier sicher. Ich schätze unseren großen Garten, gehe zwischendurch spazieren oder mache eine Runde mit dem Fahrrad. Ich glaube, vieles hängt zurzeit davon ab, ob man in einer Großstadt oder auf dem Land lebt.
Verena Aschbacher ist in Uttenheim bei Gais aufgewachsen und lebt seit 2019 in den USA.
Andreas Runggatscher - 49, Executive Director des Rotary Club New York
Einige meiner Freunde sind Ärzte und Krankenpfleger in New York und New Jersey. Sie erzählen mir von ihren unruhigen Nächten – sie arbeiten auf einem körperlichen und psychischen Stresslevel, das unvorstellbar ist. Vor allem öffentliche Krankenhäuser wie Elmhurst oder Queens sind an der Grenze ihrer Kapazitäten. Die Bilder und Geschichten von dort sind düster und katastrophal. Und das Ganze wird noch schlimmer werden in den nächsten Wochen. Die Analyse der täglichen Statistiken und Kurvenmodelle und die verschiedenen Pressekonferenzen sind schon zur Routine geworden. Die Pressekonferenzen von Präsident Donald Trump sind allerdings schockierend trivial: keine Daten, keine Statistiken, wie etwa Andrew Cuomo, der Gouverneur von NYC, das nun macht.
NY als Staat und als Stadt ist stark, die Bürger zeigen große Solidarität und Kampfstärke. 9/11 hat diese Stadt geprägt. Trotzdem hat NYC das Ausmaß der Pandemie, die Covid-19 darstellt, ziemlich spät begriffen. Auch die Regierung und Präsident Trump haben dieses Virus zuerst unterschätzt. Mittlerweile gibt es Ausgangsbeschränkungen. Die Staaten, und nicht die Regierung in Washington, bestimmen, wie strikt diese Beschränkungen sein sollen. Das führt oft zu Verwirrung.
Mit Rotariefreunden in Bergamo, Rom und einer Stadt in Deutschland habe ich Initiativen ins Leben gerufen, die Erfahrungen mit Corona diskutieren und spezifische Sammlungen von persönlicher Schutzausrüstung anbieten. Weitere Initiativen sind geplant, einschließlich musikalische Kooperationen zugunsten des Gesundheitspersonals. Auch internationale Stars wie Lady Gaga und Justin Timberlake machen mit, und italienische Sänger wie Fabio Armiliato und Roby Facchinetti.
Einige meiner Freunde sind positiv auf das Virus getestet worden, ein Freund musste auf die Intensivstation verlegt werden. Es gibt oft persönliche Momente, in denen es auch mal schwierig wird. Insgesamt aber habe ich eine positive Lebenseinstellung: Der Glaube an Gott, die Liebe zu meiner Frau und Familie treiben mich immer wieder an.
Andreas Runggatscher, gebürtiger Bozner, lebt seit 1996 in NYC; Rotary ist eine weltweit bedeutende Non-Profit-Organisation.
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