Wir schreiben das Jahr 2021. Die Coronakrise ist überstanden und hat vieles verändert. Ein nicht ganz ernst gemeinter Blick nach vorne – und zurück von Klemens Riegler. (Teil 3 von 7)
Politik
Kampf ums Überleben
Aus ff 17 vom Donnerstag, den 23. April 2020
Die Ausgangssperre stürzt viele Familien und Unternehmen in eine nie dagewesene Existenzkrise. Staat und Land öffnen den Geldhahn, um das Schlimmste zu verhindern. Der Unmut in der Bevölkerung steigt trotzdem.
"Ich versuche, positiv zu denken, optimistisch nach vorne zu blicken – auch in dieser Situation. Täte ich das nicht, ich müsste den ganzen Tag plärren."
Katrin Trafoier ist die Chefin von Tendsystem. Das Unternehmen ist ein Servicedienstleister im Eventbereich, spezialisiert vor allem auf die Lieferung und den Aufbau von Zelten. Trafoier ergeht es so wie Tausenden anderen auch: Seit die Covid-19-Pandemie grassiert, herrscht Stillstand – und das seit zwei Monaten.
Während andere Firmen zumindest darauf hoffen können, in den kommenden Wochen wieder mit der Tätigkeit beginnen zu können – am Montag dieser Woche traten weitere Lockerungen in Kraft, kann jetzt schon davon ausgegangen werden, dass es so rasch keine Events geben wird.
Trafoier: „Sicher ist, dass es bis Ende Juli keine Veranstaltungen geben wird. Angesichts des Risikos, das von Menschenansammlungen ausgeht, dürfte das sogar noch länger so bleiben. Das bedeutet für mich und alle anderen Eventdienstleister: null Umsatz, null Einkünfte.“
Tendsystem beschäftigt 8 Mitarbeiter, deshalb fällt das Unternehmen bei der Gewährung von Verlustbeiträgen durch den Rost. „Okay, das werde ich stemmen“, sagt Trafoier, „unter der Voraussetzung, dass es mir gelingt, meine Mitarbeiter durch die Krise zu bringen. Denn die Mitarbeiter sind mein größtes Kapital. Sie wurden im Betrieb angelernt, sind hoch spezialisiert, also nicht austauschbar.“
Derzeit laufen Verhandlungen mit der Politik, die Lohnausgleichskasse zu verlängern. Trafoier, im Kaufleuteverband (HDS) zuständig für die Eventdienstleister, ist dieser Tage viel mit Lobbyarbeit beschäftigt – für ihren Sektor und auch für sich selbst: „Erstens, die Lohnausgleichskasse verlängern. Zweitens, sparen, wo es nur geht, und hoffen, dass es irgendwie geht. Von einem Unternehmerlohn reden wir gar nicht.“
Dass es die Möglichkeit gibt, praktisch kostenlose Überbrückungsdarlehen aufzunehmen, findet die Unternehmerin „eine gute Idee“, fügt aber hinzu: „Kredite sind sinnvoll, wenn sie an andere Unterstützungsmaßnahmen gekoppelt werden. Ich werde jedenfalls nur dann einen Kredit in Anspruch nehmen, wenn ich auch weiß, dass ich ihn zurückzahlen kann. Wir sind zwar ein solider Betrieb, aber das kann sich rasch ändern.“
Die Welt steht still, Südtirol steht still. Covid-19 hat auch vor der viel zitierten „Insel der Seligen“ nicht haltgemacht. Egal, mit wem man spricht, in allen Sektoren und Bereichen werden düstere Zeiten an die Wand gemalt.
Wie die Unternehmerin Trafoier bemüht sich auch Soziallandesrätin Waltraud Deeg, Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Am Ende des Gespräches mit ff kommt aber auch sie zum Schluss. „Sehr viele Menschen in Südtirol sind am Anschlag. Sehr viele Menschen haben nicht die Möglichkeit, auf Rücklagen zurückzugreifen. Es kommt dick, ganz sicher.“
Covid-19 kennt keine Klassenunterschiede. Deshalb verwundert es nicht, wenn der Direktor des Unternehmerverbandes Josef Negri ähnlich pessimistisch klingt wie die Sozialpolitikerin Deeg: „Die beschlossenen Maßnahmen sind gut und richtig. Sie alleine werden uns aber nicht retten. Wir können es uns nicht leisten zu warten, bis dieses Virus verschwindet.“
Denn bis dahin, fürchtet Negri, werde es die Wirtschaft nicht mehr geben. Er ist für eine rasche Wiederaufnahme der Arbeitstätigkeiten: „Es muss doch gehen, Gesundheit und Arbeit in Einklang zu bringen.“
Je länger der Stillstand anhält, desto stärker sei das Risiko, dass besonders Betriebe, die am internationalen Markt tätig sind, ihre Aufträge verlieren. „Wer nicht liefern kann, wird ausgetauscht“, fürchtet Negri, „und dies hätte fatale Auswirkungen für Tausende Arbeitsplätze in Südtirol.“
Inzwischen weiß niemand, was schlimmer ist: die Sperren – oder das, was auf uns zukommt, sobald Isolation und Quarantäne aufgehoben werden. Wann immer in Rom über die sogenannte „fase 2“ diskutiert wird, hört man wenig Gewissheit, stattdessen jede Menge Fragezeichen. Als wollten sie diesem Dilemma der Ungewissheit ausweichen, öffnen die Regierungen die Schleusen der staatlichen Tresore.
Zunächst war von Millionen die Rede, dann von Milliarden. Inzwischen wird die Covid-19-Pandemie weltweit bereits in Billionen aufgewogen. Billionen Euro. Das ist eine Zahl mit zwölf Nullen. Mit einer nie dagewesenen Geldflutung soll verhindert werden, dass der medizinische Notstand nicht nur Menschenleben kostet, sondern die Welt in ein Armenhaus verwandelt.
Das Horrorszenario: Dass es am Ende der Ausgangssperre kein Zurück zur Situation Vor-Covid-19 gibt. Stattdessen Massenarbeitslosigkeit, weite Teile der Gesellschaft verarmt, die Wirtschaft zerstört, Zigtausende Betriebe geschlossen oder in Konkurs – mit apokalyptisch anmutenden sozialen, kulturellen, politischen Folgen.
Mit Geld, enormen Mengen an Geld, soll das Schlimmste verhindert werden. Liquidität in Form von Cash, zinslose Darlehen, gestundete Kredite, aufgeschobene Rechnungen: Der Fantasie der Staaten scheinen keine Grenzen gesetzt.
Die originellste und vermutlich verrückteste Idee stammt, wie könnte es anders sein, aus den USA: Präsident Donald Trump hat angekündigt, dass 70 Millionen Amerikaner (von 330 Millionen) demnächst einen Scheck in Höhe von 1.200 Dollar in ihrem Briefkasten finden werden – mit seinem Namen drauf. Trump: „Die Leute brauchen Geld. Ich gebe ihnen Geld.“ Je länger der Notstand andauert, desto nervöser werden die da oben, desto stärker rumort es im Bauch des Volkes. Facebook dürfte nicht repräsentativ sein, ein Blick auf die dort geposteten Kommentare lässt freilich vermuten: Die Stimmung kippt.
Gebetsmühlenartig wiederholte Durchhalteparolen – Hashtag #südtirolhältzusammen – drohen ins Leere zu fallen, an ihre Stelle treten bohrende Fragen, verzweifelte Hilferufe, knallharte Forderungen. Die Angst vor der Ansteckung scheint einer wachsenden Aggressivität zu weichen.
Landesrat Philipp Achammer versuchte am Samstag in einer seiner täglichen Liveschaltungen auf Facebook sachliche Informationen unters Volk zu bringen. Gewiss, es gibt viele, die das liken und den Daumen nach oben zeigen. Allerdings scheint die Zahl jener, die gar nicht zuhören und stattdessen ihrem Frust freien Lauf lassen, größer zu sein.
Warum bekomme ich nur 800 brutto?
Was ist mit Wiesenfesten und Kirchtagen?
Wann darf ich wieder über die Grenze?
Kriagn jo eh widr lei dei is Geld, dei schun genug hobn!
Wia schaugs mit di Mensen aus?
Wir Invaliden bleiben wieder af dr Streckn!
Was ist mit Arbeitslosen, die keine Arbeitslose bekommen?
Zwei weitere Beispiele aus der virtuellen Facebook-Realität dieser Tage – ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, aber eben mit dem Verdacht, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt:
Und wenn dor südtiroler mol sirig weard hem gnade gott, mir sein net wia di süditalienier, de glei an puff mochen, mir hobn geduld. Obr wenns ins reicht, nor reichts.
Seit an mounat olm s gleiche lare geschwätze …inkompetente witzfigurn regiern ins und verdianen sich a goldene nos … dei zwoa hampelmänner drmochn sich jo nit mol in kravattenknopf selbr, sem weart miasn di frau mochn, geschweige insr lond aus der kriese houln ..... zun schamen, obr dei isch jo gor nichts zu bleid.
Dabei sollte aufgefallen sein, dass Covid-19 der Politik Beine gemacht hat. Noch nie wurden Maßnahmen dermaßen schnell verabschiedet und umgesetzt. Italien ist Italien, und so wurde in diesen Wochen die unglaubliche Zahl von 160.000 „provvedimenti“ (Dringlichkeitsmaßnahmen) unterzeichnet: Eine Flut von zum Teil widersprüchlichen Maßnahmen, die eher von Hilflosigkeit und Verzweiflung zeugen als von einem Plan.
Allerdings wurden tatsächlich konkrete Unterstützungsmaßnahmen auf den Weg gebracht: Rom gab den Takt an (gemäß Ausnahmezustand, der seit 31. Jänner in Kraft ist), Bozen stimmte ein. Landeshauptmann Arno Kompatscher und Landesrat Philipp Achammer sind es vor allem, die Tag für Tag in Südtirol umsetzen, was in Rom beschlossen wird – und dabei versuchen, die Maßnahmen hierzulande auszuweiten, sofern es die mageren Zuständigkeiten Südtirols in Zeiten eines nationalen und weltweiten Notstandes erlauben.
Am 17. März unterzeichnete Premier Giuseppe Conte das erste Dekret „cura Italia“, am 23. März reagierte Landeshauptmann Arno Kompatscher mit der Dringlichkeitsmaßnahme 13/2020. Die inzwischen mehrmals nachgebesserten Maßnahmen sehen vor:
• Zahlungen an das Land sind bis auf Weiteres ausgesetzt;
• fällige Gemeindesteuern müssen erst am 16. Dezember 2020 entrichtet werden;
• Gemeindegebühren sind bis 30. Juni ausgesetzt;
• der Elternurlaub kann verlängert werden (in Alternative gibt es den Bonus „Babysitting“;
• der Lohnausgleich wird ausgeweitet (und sukzessive verlängert); Arbeitnehmer des Privatsektors, die keinen Anspruch auf andere Unterstützungen haben, können um die außerordentliche Lohnausgleichskasse ansuchen;
• für Selbstständige mit Mehrwertsteuernummer gibt es einen Bonus in Höhe von 600 Euro (siehe eigenen Artikel);
• Mietkosten für Geschäfte, Bars und Restaurants (Kategorie C/1) können für den Monat März bis zu 60 Prozent von der Steuer abgeschrieben werden;
• Kleinbetriebe bis zu 5 Beschäftigten können ihre Umsatzeinbrüche mit Zuschüssen zwischen 3.000 und 10.000 Euro abfedern;
• Darlehen aus dem Rotationsfonds können bis zu 24 Monate gestundet werden;
• aufgrund eines Abkommens zwischen Land, Banken und Garantiegenossenschaften gibt es praktisch zinslose Sofortkredite von bis zu 35.000 Euro;
• zinslose Sofortkredite bis zu 10.000 Euro gibt es auch für in Schwierigkeit geratene Arbeitnehmer;
• für Unternehmen gibt es eine sogenannte Überbrückungsfinanzierung von bis zu 800.000 Euro (zinslos und bis zu 6 Monaten);
• im sozialen Wohnbau werden die Mieten und Nebenspesen erlassen (vorerst bis zum 30. Juni);
• Kunstschaffende bekommen einen einmaligen Beitrag von 600 Euro für digital veröffentlichte Projekte ...
Hilfe für alle, die durch den Lockdown in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind? Auf den ersten Blick ist die Summe der Geldmittel, die ausgeschüttet werden und auf die Staat, Land und Gemeinden verzichten, gewaltig (nähere Informationen unter civis.bz.it).
Auch während der Landtagsdebatte am 15. April konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Legislative tut, was möglich ist: Der von Landeshauptmann Kompatscher eingebrachte Gesetzentwurf wurde bei nur einer Enthaltung genehmigt. Die Einhelligkeit, die zwischen den Parteien herrscht, hat es so noch nie gegeben. Auch Kompatschers Abänderung – eingebracht buchstäblich in letzter Minute, die eine Aufstockung der Beiträge von 200 auf 500 Millionen vorsieht, wurde, ohne mit der Wimper zu zucken, gutgeheißen. Die Botschaft scheint im Landtag angekommen: Wir müssen liefern – und zwar sofort. Südtirol benötigt Geld – dringend.
Ein klein wenig Unmut regte sich doch, die Opposition stöhnt, weil in dieser Krise per Dekret regiert wird, dass die Aufmerksamkeit – in Südtirol wie überall in der Welt – allein den Regierenden gehört. So kritisierten Josef Unterholzner
(Team K) und Alessandro Urzì (Alto Adige nel Cuore), dass man die Maßnahmen „bereits vor vierzehn Tagen hätte beschließen können“.
Myriam Atz Tammerle (Südtiroler Freiheit) kritisierte die Abhängigkeit Südtirols vom Zentralstaat, Brigitte Foppa (Grüne) die „zu paternalistische“ Handhabe der Krise durch die Landesregierung („das Kommando ist voll in Männerhand“). Und Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) forderte, dass „nach fünf Wochen endlich Schluss“ sein müsse mit der Ausgangssperre. Aber bis auf Atz Tammerle, derzufolge im „Vaterland“ alles besser laufe (über Ischgl sagte sie nichts), stimmten dann alle mit Ja – damit die Gelder rasch fließen können.
Ob die Maßnahmen reichen? Ob sie der außerordentlichen Situation gerecht werden? Und wer bezahlt das alles, wenn Covid-19 endlich abgehakt ist? Drohen Steuererhöhungen, Belastungen, höhere Abgaben und Tarife? Wo und bei wem werden Staat und Land sich nehmen, was sie jetzt geben?
„Wer jetzt Schulden aufnimmt, muss diese früher oder später zurückzahlen. Dies wird aber nur gelingen, wenn die Ertragssituation wieder stimmt.“ Das sagt der Wirtschaftsprüfer Walter Grossmann, der die beschlossenen Maßnahmen prinzipiell für richtig befindet: „Verlustbeiträge sind notwendig, damit die Leute Geld haben, das sie ausgeben können.“ Wenn die Maßnahmen also darauf abzielen, Liquidität bereitzustellen, dann sei das gut.
Grossmann kritisiert allerdings das Fehlen einer mittel- und langfristigen Perspektive. Denn die Situation sei in vielen Betrieben „tatsächlich dramatisch“. Wobei unterschieden werden müsse: „Alteingesessene Unternehmen, die konservativ gewirtschaftet haben, können jetzt vielleicht auf Rücklagen zurückgreifen. Junge Unternehmen, die offensiv investiert haben, brauchen den Cashflow und Gewinne. Wenn es die nicht gibt, haben sie ein Problem.“
Das gelte vor allem für viele Hotelbetriebe, die in den vergangenen Jahren „auf Teufel komm raus investiert haben“. Grossmann: „Wer schon knapp bei Kassa war und geringe Renditen erzielt hat, den könnte es jetzt putzen, weil die Schulden nicht bedient werden können. Wenn wir die derzeitige Situation mit der Krise der Bauwirtschaft vergleichen, ist zu befürchten, dass 10 bis 15 Prozent der Unternehmen diese Ausnahmesituation nicht überstehen werden.“
HGV-Präsident Manfred Pinzger bestätigt die Befürchtungen. Er meint, dass „wohl an die hundert Gastronomiebetriebe“ zusperren werden: „Kleine Hotels und Gasthäuser in peripherer Lage, die ohnehin nicht gut gewirtschaftet haben, Unternehmer, die zu spät oder zu übermütig investiert haben, Familienbetriebe, die sich inmitten der Übergabe von einer Generation zur anderen stehen.“
Generell hofft Pinzger auf ein rasches Ende der Sperren, zumal er davon ausgeht, dass Bergregionen wie Südtirol von dieser Krise mittelfristig profitieren könnten: „Flug- und auch Zugreisen dürften fürs Erste kein Thema sein.“ Allerdings gehe er davon aus, dass die meisten Hotels in diesem Sommer ohnedies nicht aufsperren werden: „In dieser ungewissen Situation? Mit diesen Sicherheitsauflagen? Ich kann mir vorstellen, dass es für die meisten Betriebe billiger ist, geschlossen zu halten, als aufzusperren und Verluste zu machen.“
Die einen boomen – zum Beispiel freuen sich kleine Lebensmittelläden in den Dörfern über ungeahnte Umsatzsteigerungen, andere schauen durch die Finger. Noch schlimmer als die Gastronomie hat es die Reisebüros erwischt. Ihnen ist nicht nur die Kundschaft weggebrochen, sie sehen sich vielfach auch mit Rückerstattungen wegen gestrichener Urlaubsreisen konfrontiert. Und: Niemand kann derzeit sagen, ab wann Reisen wieder möglich sein wird.
Beispiel Handwerk. Verbandspräsident Martin Haller erinnert daran, dass es 120 verschiedene Handwerksberufe mit 300 verschiedenen Tätigkeiten gibt. Die einen arbeiten voll (etwa im Lebensmittelbereich), die meisten anderen standen still, bis an diesem Montag erste Lockerungen in Kraft traten.
Haller: „Die 600 Euro vom Inps sind ein kleiner Tropfen, auch die Verlustbeiträge für Kleinbetriebe sind gut. Aber ich fürchte, das reicht bei Weitem nicht, um die Härtefälle aufzufangen, die jetzt anstehen. Der Verband stehe im Dauerkontakt mit Landesrat Philipp Achammer.
Die Forderung: „Es muss nachgebessert werden.“ Die vielfach kolportierte Kritik, dass die Hilfsmaßnahmen in Österreich und Deutschland besser funktionieren, will Haller nicht gelten lassen: „Kollegen erzählen mir, dass es draußen mit der Auszahlung der versprochenen Gelder auch hapert. Ich muss sagen, unsere Landesregierung tut das Menschenmögliche.“
Immerhin gehört das Handwerk zu jenen Bereichen, die wieder voll aktiv sein können, sobald die Ausgangsbeschränkungen aufgehoben sind. Dies gilt auch für den Handel – vorausgesetzt, die Betreiber schaffen es durch die Krise.
Verbandspräsident Philipp Moser ist sich nicht so sicher, dass dies allen gelingen wird: Einige Bereiche, sagt er, profitierten von der Krise sogar. Als Beispiel nennt er seinen eigenen Betrieb, der auf Digitalisierung spezialisiert ist: „Die Ausgangssperre hat einen Denkprozess in Gang gebracht. Ich rechne damit, dass regionale Kreisläufe deutlich gestärkt werden, dass auch der lokale Onlinehandel zunimmt. Andererseits weiß ich, dass viele Läden die Krise nicht oder nur sehr schwer überstehen werden.“
Eines der Hauptprobleme seien die hohen Mietpreise: „Auch wenn ich einen Teil von der Steuer abschreiben kann, wenn ich keine Einkünfte habe und nicht auf Reserven zurückgreifen kann, geht mir das Geld aus. Und wenn ich Forderungen nicht nachkommen kann, bin ich pleite.“
Die Arbeitsplätze sichern als oberstes Gebot. Landesrätin Waltraud Deeg weiß von der Wichtigkeit dieser Zielvorgabe: „Arbeitsplätze sichern nicht nur Einkommen, sondern auch die Steuereinnahmen des Landes. Südtirol hat das Glück, über einen sehr hohen Standard an Leistungen zu verfügen. Aber was passiert, wenn wir uns diesen Standard nicht mehr leisten können?“
Waltraud Deegs Job ist es, ihr Augenmerk auf die Schwächsten der Gesellschaft zu richten, Menschen, die kein Geld auf der hohen Kante haben, um Engpässe wie diese zu meistern: „Alleinerziehende, psychisch Kranke, Beschäftigte mit prekären Arbeitsverträgen, die leiden besonders unter dieser Situation.“ Deeg spricht „von 2.000 bis 2.500 besonders betroffenen Familien“, denen jetzt geholfen werden müsse.
Die Landesrätin ist sich freilich bewusst, dass der Topf, aus dem geschöpft werden kann, begrenzte Mengen enthält: „Forderungen stellen ist leicht, weit schwieriger ist es, sie zu erfüllen. Der Kampf ums Geld ist immer auch ein Kampf um Mehrheiten, um Verständnis.“ Sie rechnet es dem Landeshauptmann hoch an, dass er die Sensibilität für das Soziale hat: „Wir nutzen sämtliche Spielräume, die uns zur Verfügung stehen, oft wagen wir uns auch in Grauzonen vor.“
Dass der Unmut im Land dennoch wächst, ist ihr freilich nicht entgangen: „Ich stelle fest, dass viele Leute sehr aggressiv reagieren. Das tut mir leid, denn wir tun wirklich, was möglich ist.“
Tut das Land, was möglich ist? Wir reichen die Frage an Josef Negri weiter, den Direktor des Unternehmerverbandes. Am Telefon hört man, wie er tief Luft holt, bevor er zur Antwort ansetzt: „Ich weiß, wie schwer es ist, jetzt allen Erwartungen gerecht zu werden. Die Maßnahmen, die gesetzt wurden, sind allesamt positiv – allein, sie werden nicht ausreichen.
Laut Negri werde Geld allein die Wirtschaft nicht retten: Noch einmal plädiert er dafür, die Betriebe möglichst rasch wieder aufzusperren. Der Direktor wiederholt zwar nicht die harten Worte, die sein Verband an diesem Montag an die Adresse der Landesregierung gerichtet hat (die zu zaghafte Öffnung der Betriebe sei „ein Schlag ins Gesicht“).
Trotzdem wird Negri nicht müde zu wiederholen: „Betriebe überleben nur, wenn sie arbeiten können. Unter der Voraussetzung, dass die Sicherheitsvorschriften eingehalten werden, muss es möglich sein, sämtliche Tätigkeiten wieder aufzunehmen. Ansonsten werden wir rasch feststellen, dass viele Unternehmen die Tore für immer schließen müssen.“
Wirtschaftsprüfer Grossmann sekundiert: In zahlreichen Südtiroler Unternehmen bestünde das Problem der Unterkapitalisierung, das sich durch die erwarteten Verluste „noch dramatisch verschlimmern“ werde. Sein Vorschlag an die Politik: „Bei den mittleren und größeren Unternehmen (Kapitalgesellschaften) könnte das Land mit Eigenkapital einsteigen, etwa durch die ehemalige Südtirol Finance und wie dies seinerzeit das Trentino mit der Tecnofin vorgemacht hat. Man könnte dazu auch die Mittel des Laborfonds verwenden, und die entsprechenden Gelder könnten so in Südtirol bleiben.“
Je länger die Krise anhält, desto mehr Vorschläge und Forderungen tauchen auf – allerdings auch Zweifel, ob die Krise möglicherweise ausgenutzt wird für Gaunereien und Unverschämtheiten. So glauben deutsche Medien bereits zu wissen, dass die Mafia das große Geschäft mache und einen großen Teil der EU-Gelder absahnen werde.
Auch Handwerkschef Martin Haller will nicht ausschließen, dass Leute um Gelder betteln, die es nicht notwendig hätten: „Schwarze Schafe wird es geben, keine Frage, wie immer, wenn öffentliche Gelder verteilt werden. Daran wird auch Covid-19 nichts ändern.“
Hier Fixangestellte, die nicht um Arbeitsplatz und Lohn bangen müssen, dort Saisonkräfte, Arbeitslose und Beschäftige kleiner Betriebe, die vor dem Aus stehen: Covid-19 trifft nicht alle gleich. Hier die nackte Not sowie Menschen, die sich aufopferungsvoll für die Allgemeinheit einsetzen, dort die Skrupellosigkeit jener, die schon vor der Krise wenig für die Allgemeinheit übrig hatten und mit Schwarzarbeit und professioneller Steuerhinterziehung dafür sorgten, dass dem Land und dem Staat die Gelder fehlen.
Der Geldregen wird auch diesmal nicht nur jenen zugute kommen, die ihn dringend nötig haben. Werden jene, die ungeschoren davonkommen, mit großzügigen Solidarleistungen aufwarten, um jene zu unterstützen, die unter die Räder der Krise kommen? Oder werden jetzt erst recht die Ellbogen ausgefahren?
An diesem Dienstag im Mittagsmagazin auf Rai Südtirol: Werner J. Mair, Direktor einer Meraner Oberschule, weiß von einer „deutlichen Mehrbelastung der Lehrer durch den Fernunterricht“ zu berichten. Wie nebenbei wird dabei angemerkt, dass die Erneuerung des Kollektivvertrages ansteht. Will heißen: Wie für das Sanitätspersonal, wäre auch für die Lehrerschaft eine Lohnerhöhung fällig.
Zur gleichen Zeit kollabierte der Server der Webseite civis.bz. So einen Ansturm von Hilfesuchenden hat es in Südtirol noch nie gegeben.
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