Politik

Die Lust mitzumachen

Aus ff 17 vom Donnerstag, den 23. April 2020

Johanna Genthaler, Jahrgang 1956: „Die Menschen vertrauen mir.“
Johanna Genthaler, Jahrgang 1956: „Die Menschen vertrauen mir.“ © Privat
 

Johanna Ganthaler ist aus der Brunecker Gemeindepolitik kaum noch wegzudenken. Die Grüne freut sich selbst nach 15 Jahren immer noch auf die Gemeinderatssitzungen.

Seit dem 10. März dürfen sich die Menschen in ganz Italien nicht mehr frei bewegen. Es gebe keine Zeit zu verlieren, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, sagte Premierminister Giuseppe Conte. Einen Tag später telefonieren wir mit Johanna Ganthaler, sie befindet sich zurzeit im Krankenstand. „Kein Corona“, sagt sie und lacht. Das muss man in Zeiten wie diesen irgendwie immer mit dazusagen, wenn man mal ein bisschen hustet. Gan­thaler ist dreifache Mutter, Physiotherapeutin am Krankenhaus Bruneck und seit 15 Jahren Grünen-Gemeinderätin. Sie fährt mit dem Fahrrad, ist naturverbunden, vertraut mit den Sorgen und Gedanken der Menschen. Eine Grüne schlechthin. Bei den Wahlen Anfang Mai hätte sie noch einmal kandidieren wollen. Doch dann kam Corona. Vergangene Woche haben wir mit Johanna Ganthaler noch einmal telefoniert. Eine positiv gestimmte Frau, und immer voller Energie.

ff: Frau Ganthaler, Coronavirus und Gemeindepolitik: Wie passt das zusammen?

Johanna Ganthaler: Auf den ersten Blick wahrscheinlich gar nicht. Trotzdem finde ich es demokratiepolitisch wichtig, dass in dieser Zeit die Gemeindepolitik nicht unter den Teppich gekehrt wird.

Das Virus hat den Wahlkampf abrupt beendet. Gab es in diesen Wochen denn trotzdem einen politischen Austausch?

Es gab eine Videokonferenz für den gesamten Gemeinderat, einberufen vom Bürgermeister. Er hat darüber informiert, was in der Stadt derzeit alles passiert. Das hat sehr gut funktioniert, jeder konnte sich zu Wort melden. Er ­kündigte an, jeden Monat so eine ­Konferenz ab­­halten zu wollen. ­Ansonsten muss ich sagen, bei uns Grünen ist nicht viel ­passiert. Isolation, wenn Sie so wollen, auch in diesem Bereich.

Lassen Sie uns trotzdem über das Thema „Frauen machen Politik“ reden. Wann hatten Sie erstmals das Gefühl: Politik könnte etwas für mich sein?

Das Ganze hat begonnen, als ich Mama wurde. Meine Sensibilität für die zukünftige Welt meiner Kinder ist da gewachsen. Ich habe mich sehr bald für sichere Schulwege eingesetzt. Ich habe andere Eltern ermutigt, den Kindern den Schulweg zuzumuten und sie nicht jeden Tag mit dem Auto zur Schule zu bringen. Dieser Weg ist ja so eine Art Puffer ­zwischen Schule und Daheim.

Sie waren schon immer eine engagierte Person?

Ich war jemand, der mitgemacht hat. Ich habe drei Kinder – von der jeweils ersten Klasse Grundschule an habe ich mich immer wählen lassen, ich war Elternvertreterin, Elternratspräsidentin. Ich habe das immer gerne getan. Und dann, 2004, kam eines Tages Franco Nones auf mich zu, der sagte: Kandidiere doch bei uns! Ich hatte zwar ein etwas mulmiges Gefühl, aber sagte Ja. Mir kam das nur konsequent vor.

Franco Nones ist ein grünes Urgestein. 2010 verließ er den Gemeinderat, nach 30 Jahren Opposition.

Franco war ein Politiker, der mir aus der Seele gesprochen hat. Er war mir in all den Jahren ein guter politischer Lehrer. In meiner Familie kam meine Kandidatur auf der Liste der Grünen nicht so gut an, aber es ist ein bisschen mein Lebensmotto: Klar Ja sagen zu Dingen, von denen man überzeugt ist, und dann anpacken und machen. Wenn man über bestimmte Dinge zu lange grübelt, dann wird es oft nichts.

Sie sind 2005 erstmals in den ­Gemeinderat eingezogen. Mit ­welchen Hoffnungen?

Anfangs war ich etwas blauäugig. Ich hatte ja keine Ahnung, was auf mich zukommt, wie das alles abläuft, ich war davor auch noch nie bei einer Gemeinde­ratssitzung gewesen. Aber ich hatte riesengroße Lust mitzu­machen. Ich war davon überzeugt, dass man auch als einfache Gemeinderätin mitmachen kann. Diese Erfahrung hatte ich beim Projekt der sicheren Schulwege gemacht. Alle Protagonisten haben da wunderbar zusammenge­arbeitet – Bürger­meister, Stadtpolizei, SVP, Schuldirektorin, Eltern, wobei einige sich auch dagegen aufgelehnt haben. Wir waren die erste Gemeinde, die vor Schulbeginn und bis Schulende die gesamte Schulzone gesperrt und zur autofreien Zone erklärt hat.

Die harte Oppositionsbank zu drücken, bedeutet oft auch Frust.

Stimmt. Das war anfangs auch meine Sorge. Aber ich stellte bald fest, dass dem überhaupt nicht so ist. Und auch nach drei Legislaturperioden kann ich sagen: Wir pflegen im Brunecker Gemeinderat einen guten Stil und Umgangston, es geht selten unter die Gürtellinie. Wir Grüne haben klare Vorstellungen, die von der Mehrheit natürlich nicht immer mitgetragen ­werden. Trotzdem, hin und wieder trägt sie auch Beschlussanträge von uns mit, zum Beispiel jenen für eine ­plastikfreie Gemeinde. Die Art, wie wir miteinander umgehen, lässt eine gute Zusammenarbeit zu.

Klingt fast zu schön, um wahr zu sein?

Ich bin bekannt für meine friedliche Einstellung, einige hätten es gerne schärfer. Aber ich setze nun einmal auf Kooperation. Ich bin fest davon überzeugt, damit mehr zu erreichen, als wenn man Fronten aufbaut.

Müssen Frauen in der Politik härter kämpfen als Männer?

Für mich war das eigentlich nie ein Thema. Ein Beispiel: Ich bin 2008 in den Verwaltungsrat der Reipertinger Sportanlagen – heute Sport & Freizeit GmbH – gekommen, als Oppositionsvertreterin und als Frau. Viele ­sagten damals, ich würde da nicht mehr als ein Feigenblatt sein. Und ehrlich gesagt, hatte ich selbst auch ein bisschen Angst davor. Völlig unbegründet, wie sich herausgestellt hat. Ich war die einzige Frau inmitten von Männern, hatte aber nie das Gefühl, nur eine Statistin zu sein, im Gegenteil. Ich habe dort auch gelernt, meine Frauenrolle zu spielen, ich habe mich weniger auf Zahlen und harte Fakten konzentriert, sondern mich mehr bei den weicheren Themen eingebracht. Ich bin in meinen Anliegen immer sehr ernst genommen worden. Es war eine tolle Erfahrung.

Was, glauben Sie, ist der springende Punkt?

Ich habe gesehen, dass für die Entscheidungsfindung mehrere Sichtweisen wichtig sind, die wirtschaftliche ebenso wie die ökosoziale. Das ergänzt sich. Es geht darum, sich gegenseitig zu ergänzen, und nicht, sich zu bekriegen.

Warum sollten Frauen überhaupt in der Politik tätig sein?

Es müsste eigentlich ein Instinkt sein, spätestens wenn eine Frau auch Mutter ist. Man will sich da ja automatisch für eine gute Zukunft stark machen und mitgestalten. Und die grundlegenden Entscheidungen werden nun einmal in der Politik getroffen. Frau soll sich engagieren und einbringen, davon bin ich fest überzeugt. Wenn sich Frauen und Männer in ihren jeweiligen Eigenarten in allen Bereichen ergänzen würden, dann hätten wir eine ideale Situation. Wir brauchen schließlich beides. Ich zähle mich nicht zu jenen Frauen, die sich gegen die Männer stellen. Ich will meine Fraulichkeit leben dürfen.

Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?

Ich bin für gleiche Rechte. Mir ist ­wichtig, dass wir Frauen auch Frauen bleiben und unsere weiblichen Eigenschaften leben – und nicht zu Mannfrauen werden.

Wie steht es mit dem Thema Vereinbarkeit?

Viele Frauen kandidieren aus Angst nicht. Weil sie glauben, man müsse da weiß Gott wie viel Zeit und Energie in diese Tätigkeit hineinstecken. Das stimmt so sicher nicht. Wichtig ist, sich auf die Sitzungen gut vorzu­bereiten, Beschlussanträge zu erarbeiten, in Kontakt zu sein mit denen, die an Projekten beteiligt sind, und eventuellen Kritikern. Das ist alles überschaubar. In Bruneck sind die Gemeinderatssitzungen um vier Uhr nachmittags, das ist durchaus familienfreundlich. Aber ich verstehe, dass viele Frauen mit Familie und Beruf schon genug zu tun haben, vor allem wenn die Kinder noch kleiner sind.

Was sind Ihre Stärken, die Ihnen in der Politik helfen?

Ich bin authentisch, ich bin nicht aggressiv und versuche, die jeweils andere Position zu verstehen. Die ­Menschen vertrauen mir, sie glauben, was ich sage. Wir als Grüne, aber auch insgesamt die Opposition, bereiten uns immer sehr gut vor, wir haben gute Argumente. Ich glaube, das gefällt sogar vielen SVP-Räten. Es kommt sogar vor, dass einige ab und zu mit uns stimmen.

Da könnten sich so manche SVPler im Lande was abschauen ….

… absolut, und ich muss sagen: Ich freue mich wirklich auf jede Gemeinderats­sitzung. Es herrscht ein gutes Klima, wir bringen auch vieles ­weiter. Vielleicht nicht immer hin­sichtlich der großen Entscheidungen, aber mit Sicherheit in der Meinungsbildung. Die Mehrheit ­interessiert sich sehr wohl dafür, was wir als Opposition zu sagen haben.

Was raten Sie einer jungen Frau, die in die Gemeindepolitik einsteigen möchte?

Unsere Kinder diskutieren seit jeher gerne mit, wenn ich mit ­bestimmten politischen Themen nach Hause komme. Für unser Familienleben war meine politische Tätigkeit von Anfang an keine Last, sondern eine riesengroße Belebung. Es gibt eine größere Lust zu diskutieren, daran, seine Meinung auszutauschen. Das finde ich total wichtig und total schön.

Was macht Ihnen in Zeiten wie diesen Hoffnung?

Ich bin von der Grundstimmung sehr positiv. Auch bei der Arbeit im Kranken­haus herrscht eine gute Stimmung, wir sind gut strukturiert. Vielleicht, wer weiß, werden wir alle ärmer werden. Aber dafür vielleicht insgesamt etwas solidarischer. Es braucht jetzt kluge Politiker an der Spitze, die nicht nur die materiellen und wirtschaftlichen Werte im Auge haben, sondern auch die ­sozialen und gesellschaftlichen Aspekte dieser Krise berücksichtigen.

Interview: Alexandra Aschbacher

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