Politik

Sarah möchte etwas wissen

Aus ff 37 vom Donnerstag, den 16. September 2021

Georg Kaser
Gletscher- und ­Klimaforscher Georg Kaser © Privat
 

Es gibt viele Kinder, denen wir Erwachsene die Wahrheit über den Klimawandel sagen müssen. Aber wie? Protokoll eines Treffens mit der sechsjährigen Sarah.

Unter einer knallroten Schildmütze gelbblondes Haar, eine dunkle, für das Gegenüber undurchsichtige Sonnenbrille, den Rest des Gesichts versteckt hinter einem riesigen Eisbecher samt Dekoration. Sarah wollte mich treffen und mir Fragen stellen, aber jetzt stochert sie verlegen im Eis herum, und ich habe keine Ahnung, ob sie auch meinen Blicken ausweicht. Kibo, unseren spanischen Wasserhund, habe ich als „Eisbrecher“ mitgebracht, aber auch er schafft den Durchbruch nicht.

Sarah ist 6, geht nun erstmals in die Schule. Ihr Vater hatte mich vor wenigen Tagen kontaktiert. Seine Tochter hätte im Fernsehen eine Dokumentation über den Zustand der Erde gesehen, und er hätte sie dann nur mit dem Versprechen zum Einschlafen gebracht, einen seiner ehemaligen Lehrer an der Uni zu bitten, ihr ihre Fragen zum Klimawandel zu beantworten. Jetzt sitzen wir gemeinsam in einem Gastgarten im Schatten eines alten Ahornbaumes:

• Sarah, die sich an ihren Fragen verschluckt, da hilft auch kein Eis;

• ich, der seit Tagen Bauchweh hat ob der Angst zu versagen, mit den Antworten zum Stand des Klimawandels Sarah endgültig aus den Angeln zu heben und dem mehr und mehr bewusst wird, dass er Kibo zur eigenen Beruhigung mitgebracht hat;

• der Vater, noch auf der Herfahrt von Sarah mit Fragen gelöchert und jetzt angespannt in seiner nicht greifenden Mediatorrolle.

Kann ich als Klimaforscher versuchen, einem Kind seine Angst zu nehmen, ohne es zu belügen? Darf ich das? Was passiert da, wenn ich seit Jahren in Vorträgen, Interviews, Dokumentationen den Menschen von der zunehmend auswegloser werdenden Bedrohung durch den Klimawandel erzähle? Lange habe ich mich geweigert, vor Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren über das Thema zu reden. Lehrpersonen haben mich dann dazu überredet, dies doch zu tun, und sie hatten ihre Zöglinge gut drauf vorbereitet, mir die Verantwortung abgenommen. Jetzt hat es mich eingeholt, und es wird mir bewusst, dass es viele Kinder gibt und zunehmend geben wird, denen wir Erwachsene die Wahrheit über ihre Zukunft sagen müssen. Aber wie?

„Wir sind gerade dabei, unserer Zivilisation in den Abgrund zu fahren, ihre Grundlagen zu zerstören!“?

„Da wir Erwachsenen so deppert sind, schmilzt deine Aussicht auf eine glückliche Zukunft täglich!“?

„Ihr Kinder und Jugendliche müsst die Erwachsenen aus dem Tempel jagen und das selber in die Hand nehmen!“?

„Und schützt auch die Ökosysteme (auch vor dem Produzieren „erneuerbarer“ Energien) und passt ja aufeinander auf (die soziale Gerechtigkeit ist quer über den Globus auch grad am Zerbröseln)!“?

Dass es so nicht geht, weiß ich schon. Aber wie dann, wenn es doch so ist? Und dann vielleicht noch: „Aber Angst dürft ihr keine haben, und ihr müsst auch gut schlafen, sonst geht euch die Kraft für den Job aus!“?

Oder lügen: „Wird alles nicht so schlimm sein! Wir kriegen das schon hin, mit ein bisschen Technologie, ein bisschen weniger Fleisch-Essen und schönen neuen Elektroautos! Ihr braucht keine Angst zu haben vor Unwettern, Überschwemmungen, Dürren, Hitzewellen, Meeresspiegelanstieg, immer mehr Menschen, die ihre Lebensgrundlage verlieren und zu wandern beginnen, wir kriegen das schon hin!“?

Und ja nicht rot werden bei den Lügen und freundlich lächeln und nachher, auch wegen dieser Lügen, gar nicht mehr schlafen können.

Sarah bleibt hinter ihrem Eisbecher, ihr Vater und ich sprechen über seine Jahre an der Uni und was er denn jetzt so macht, Kibo verlegt seine Position immer wieder in den wandernden Schatten. Sarah würde jetzt ja bald schreiben lernen, und sie würde für ein nächstes Treffen mit mir all ihre Fragen aufschreiben. Vorerst ein guter Plan für alle, und nachdem ein Gutteil des Eises geschmolzen und damit ungenießbar geworden ist, ein guter Moment zum Aufbrechen. Erst langsam wird mir nachher, auch in Gesprächen mit Freunden und Bekannten, klar, dass ich diese Rolle nicht spielen kann. Die aus der abendlichen Verzweiflung geborene Idee des Vaters, mich ins Spiel und Sarah zum Einschlafen zu bringen, ist auch rückblickend okay.

Es war seine Idee und sein Hebel, der an jenem Abend auch gut funktioniert hat. Aber es werden die Eltern der Kinder in die Hand nehmen müssen, und sie werden sich von Psychologen und Pädagoginnen helfen lassen müssen, den Kindern den Wahrnehmungsfokus von der berechtigten, aber lähmenden Angst auf ihre Neigungen und Talente, die Liebe zur Natur und das Interesse an ihren Mitmenschen zu lenken. Meine Aufgabe ist eine andere, und auch die ist Bürde genug.

Georg Kaser

Georg Kaser ist Professor im Ruhestand für Klima-und Kryosphärenforschung am Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Innsbruck; er war als Glaziologe und Klimaforscher bereits zweimal einer der Leitautoren der UN-Weltklimaberichte (IPCC).

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