(avg) Karin Cirimbelli, Freiwillige bei SOS Bozen, über den Tod von zwei Migranten am Brenner.
Politik
Harte Fronten
Aus ff 51 vom Donnerstag, den 23. Dezember 2021
Die Abhörprotokolle zur Sad-Affäre, Teil 2 – ein erschreckendes Sittenbild von Südtirols Politik und Verwaltung. Die Akteure, die willigen Helfer und der Landeshauptmann. von Karl Hinterwaldner und Georg Mair
Die Abhörprotokolle sind brisant. Die Ermittler der Bozner Staatsanwaltschaft haben Unternehmer und Landesbeamte in der sogenannten Sad-Affäre monatelang abgehört. Sie wollen damit beweisen, dass es bei der Annullierung des Wettbewerbs zum öffentlichen Nahverkehr im Jahr 2018 nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Ob ihr das gelingen wird? Bleibt vorerst offen.
Diesem Magazin sind mehr als 5.000 Seiten an Material der Ermittler zugespielt worden. Daraus erfährt man beispielsweise, welche Rolle Altlandeshauptmann Luis Durnwalder bei der Sad Nahverkehr AG gespielt hat (siehe Teil 1 dieser Recherche: Titelgeschichte in ff 50/2021). Oder wer die Freunde und Feinde von Sad-Boss Ingemar Gatterer sind. Das Sittenbild von Südtirols Politik und Verwaltung, das sich daraus ergibt, ist zum Teil erschreckend.
ff hat das Material ausgewertet und mit zahlreichen Akteuren vor und hinter den Kulissen gesprochen. Einige lassen sich zitieren, andere nicht. Wiederum andere sind nicht erreichbar, informieren die Staatsanwaltschaft über die ff-Recherchen oder raten, aufzupassen, was man schreibe.
Die Flughafen-Connection
Ingemar Gatterers Verbindung zu Michl Ebner, 69, läuft zum Beispiel über den Flughafen Bozen. Gatterer schlägt Ebner in dessen Eigenschaft als Präsident der Handelskammer im November 2018 ein PPP (Privat Public Partnership) zum Airport vor. PPP meint eine Geschäftspartnerschaft zwischen öffentlicher Hand und einem oder mehreren privaten Unternehmen. Ebner sagt, das könnte eine gute Idee sein.
Im Dezember 2018 redet Gatterer mit Michl Ebner über seine Absicht, über die ST Servizi, eine Gesellschaft der Sad, die Flughafengesellschaft ABD zu kaufen. Gatterer erklärt, die ABD für 3,8 Millionen Euro erwerben und mit der ST Servizi fusionieren zu wollen.
Doch die Sache hat einen Haken, denn Gatterer will, dass die Handelskammer die Führungskosten der neuen Gesellschaft übernimmt: in Form von Werbung für den öffentlichen Verkehr. Ebner lehnt ab. Gatterer insistiert: Die ST Servizi könne Werbeflächen schaffen, die die Handelskammer kaufe. Der Deal kommt nicht zustande.
Das schmeckt Ingemar Gatterer gar nicht. Er droht, einen Werbeauftrag der Sad von 5.000 Euro monatlich mit den Dolomiten zu stornieren. Michl Ebner ist Direktor der Verlagsanstalt Athesia, die die Dolomiten verlegt.
Interessant: Im Jahr 2012 hatte Ingemar Gatterer dem Verlagshaus schon einmal mit wirtschaftlichem Liebesentzug gedroht. Er war der Meinung, dass die Athesia eine Negativkampagne gegen den damaligen Landeshauptmann Luis Durnwalder fahre.
ff hat in diesem Zusammenhang auch Michl Ebner ein paar Fragen zu seinem Verhältnis zu Ingemar Gatterer gestellt. Die Antwort: Er sei nicht befugt, dazu Stellung zu nehmen. Es handle sich um laufende Ermittlungen, man möge ihn und die Handelskammer aus dem Spiel lassen.
Willige Helfer
Wer stets mit frischen Informationen aus dem Landhaus versorgt werden möchte, braucht ebendort eine Quelle. So etwas in der Art ist Carmen Larcher für Ingemar Gatterer. Die Angestellte im Führerscheinamt, zuständig für Fahrprüfungen und das lokale Ren-Register, telefoniert oft und sehr vertraut mit dem Pusterer Busunternehmer.
Zum Beispiel sprechen Larcher und Gatterer nach der geplatzten Ausschreibung miteinander. Die Ermittler protokollieren, sie habe sich äußerst verwundert gezeigt. Und zwar darüber, dass der damalige Landesrat Florian Mussner (SVP) wieder Günther Burger beauftragt hat, eine neue Ausschreibung vorzubereiten.
Carmen Larcher hält Ingemar Gatterer auf dem Laufenden über verfallende Führerscheine, neue Busse oder darüber, was aus Abteilungsleiter Günther Burger werden könnte. Larcher sagt, sollte Thomas Widmann die Sanität übernehmen, könnte er Günther Burger an seine Seite holen (was Wochen später tatsächlich passiert).
Auch in der Flughafensache wird Carmen Larcher für Ingemar Gatterer aktiv. Sie nimmt Kontakt mit Mirko Kopfsguter auf und will sich mit ihm treffen. Das tun sie dann auch. In einem Telefongespräch mit Gatterer erklärt Larcher, dass ABD-Direktor Kopfsguter ihr Unterlagen zum Flughafen mitbringe.
Diese Unterlagen wandern von Larcher zu Gatterer und von ihm weiter an Andreas Pöder. Der frühere Unionsabgeordnete pflegt regen Kontakt zu Gatterer und seinen Leuten. In der Tageszeitung kündigt er im Januar 2019 an, den Rechnungshof einschalten zu wollen. Denn der Verkaufspreis für den Flughafen sei viel zu niedrig angesetzt gewesen.
Mirko Kopfsguter sagt zu ff, er habe Carmen Larcher „sicher nichts gegeben“. Und schon gar keine Unterlagen der ABD-Flughafengesellschaft. Wenn schon, meint er, habe sie Dokumente gehabt, die öffentlich zur Verfügung stehen. -Larcher kenne er nur entfernt, sie sei eine Bekannte seiner Schwägerin.
Die Ermittler haben ziemlich viel Aufwand betrieben, um nachzuweisen, dass Kopfsguter und Larcher einander kennen und Geheimnisse miteinander austauschen würden. Sie haben die beiden beispielsweise dabei fotografiert, als Larcher in Kopfsguters Wagen gestiegen ist – und zehn Minuten darin verweilte. Das ist freilich kein Verbrechen. Und hat letztlich auch zu keinem Ergebnis geführt. Gegen Mirko Kopfsguter ist nicht ermittelt worden und gegen ihn liegt auch nichts vor.
Und auch die Beschuldigungen gegen Carmen Larcher scheinen sich zu verflüchtigen. Die Staatsanwaltschaft warf ihr erstens vor, das Amtsgeheimnis verletzt zu haben, als sie die Mail von Burger an Ingemar Gatterer übergab. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft die Archivierung des Verfahrens beantragt, der Richter für die Voruntersuchung nahm den Antrag an. Nur die Landesregierung will hier nicht mitspielen. Sie hat Beschwerde gegen die Archivierung eingelegt. Darüber muss das Gericht erst noch entscheiden.
Zweitens soll Larcher ungerechtfertigterweise während ihrer Arbeitszeit bei den Gatterers in Pfalzen gewesen sein. Und dort bürokratische Angelegenheiten für diese erledigt haben. Das warf ihr die Staatsanwaltschaft jedenfalls vor. Mittlerweile will sie auch dieses Verfahren einstellen – wegen Geringfügigkeit.
„Das wollen wir nicht akzeptieren“, sagt Larchers Anwalt Andrea -Gnecchi zu diesem Magazin. Denn seine Mandantin habe überhaupt kein Delikt begangen. Auch nicht ein geringfügiges. Daher habe er gegen die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit Rekurs eingelegt.
Politische Frontstellungen
Liest man sich die Abhörprotokolle der Ermittler in der Sad-Affäre durch, erhält man ein Gefühl dafür, wie die politischen Fronten im Lande verlaufen. Auch innerhalb der SVP. Ein Lager bilden zum Beispiel Arno Kompatscher, Karl Zeller, Daniel Alfreider und Martin Außerdorfer. Ein anderes Luis Durnwalder, Meinhard Durnwalder, Hans Berger, Martin Alber, Chistoph Perathoner sowie Josef und Ingemar Gatterer. Und dann gibt es auch noch eine dritte Gruppe, die irgendwo dazwischen steht: Philipp Achammer etwa oder Michl Ebner.
Und dann gibt es natürlich auch noch diejenigen, die sich an Gatterer anhängen. Etwa um Daniel Alfreider eins auszuwischen, weil sie ihn nicht mögen. Einer von ihnen ist der ehemalige Präsident der Ladins Dolomites Albert Pizzinini. In einer SMS an Gatterer schreibt Pizzinini Ende Januar 2019: „Wir müssen einmal ein Treffen organisieren, um eine Strategie gegen diesen LR auszusprechen!“ (gemeint ist Daniel Alfreider)
Ein wichtiger Mann für Ingemar Gatterer ist auch Martin Alber. Der ehemalige Landessekretär der SVP und heutige Bürgermeister der Gemeinde Brenner ist ein enger Vertrauter des Busunternehmers, der schon mal in dessen Nobelschlitten mitfährt.
Alber erteilt Gatterer nicht nur kluge Ratschläge und bremst ihn da und dort; nein, er tritt bei ihm bekannten Personen – und solche kennt er genug – als Fürsprecher für seinen Freund auf. Als der Flughafen an die ABD Holding geht, spekulieren Gatterer und Alber am Telefon über die Rolle des Landeshauptmannes.
Martin Alber hält Arno Kompatscher für intelligent, aber für eine schwierige Person. Das würde nun langsam auch SVP-Obmann und Landesrat Philipp Achammer verstehen. Die beiden würden sich wohl zum Wohle der Partei nach außen hin friedlich geben, aber der Konflikt sei da. Und er werde wohl auch nicht so bald enden. So steht es jedenfalls in den Abhörprotokollen der Ermittler zu lesen, die ein Gespräch zwischen Alber und Gatterer im Januar 2019 aufgezeichnet haben.
Im Windschatten von Ingemar Gatterer positioniert sich auch Andreas Pöder. Er hat bereits in seiner Zeit im Landtag (Union für Südtirol, bis 2018) versucht, sich als unerschrockener Kämpfer gegen „die da oben“ zu etablieren.
Pöder macht genauso wie Josef und Ingemar Gatterer im Juli 2018 eine Eingabe bei der Staatsanwaltschaft – wodurch die Sad-Affäre auch bei Gericht ins Rollen kommt. Es ist Andreas Pöder, der das angebliche Nahverhältnis zwischen Markus Silbernagl und Arno Kompatscher aufs Tapet bringt.
Silbernagl ist über sein Unternehmen einer der größten Aktionäre der Seiser Almbahn AG, Kompatscher hat vor seiner Zeit als Landeshauptmann für die AG in leitender Funktion gearbeitet. Außerdem besitzt Kompatschers Frau 0,25 Prozent der Bahnaktien.
Die Ermittler gehen dieser Spur intensiv nach, durchwühlen auch die Bankkonten der Eheleute. Und finden nichts. Es lässt sich letztlich nicht erhärten, dass die Landesregierung – und allen voran der Landeshauptmann – die Ausschreibung annulliert hat, um das Konsortium Libus zu bevorteilen. Markus Silbernagl ist Präsident des Konsortiums.
Untersuchungsrichter Peter Michaeler hat das Verfahren wegen Wettbewerbsstörung gegen Kompatscher Anfang Dezember 2021 eingestellt. In der Archivierungsverfügung heißt es, Kompatschers Ziel sei es nicht gewesen, das Konsortium Libus und damit auch Silbernagl zu bevorteilen. Vielmehr habe er danach gestrebt, kleine lokale Unternehmer an der Ausschreibung teilhaben zu lassen. Dies sei ein berechtigtes öffentliches Anliegen.
Keine Linien für die Sad
Kommt es tatsächlich so, wie es aussieht, wird die Sad Nahverkehr AG schon bald ohne Buslinien dastehen. Die Neuausschreibung ist inzwischen abgeschlossen, die Konzessionen provisorisch vergeben worden. Ingemar Gatterers Sad hat keines der zehn Lose gewonnen.
Drei Lose (Unterland, Schlern-Gröden, Vinsch-gau) gehen an die Simobil GmbH der Familie Silbernagl. Drei Lose (Wipptal, Eisacktal, Unteres Pustertal) gehen an die Busfirmen Pizzinini und Auto Rainer. Drei Lose (Hochpustertal, Ahrntal und Bruneck, Gadertal) gehen an die Busfirmen Taferner, Serbus, Holzer und Seiwald. Und ein Los, jenes der Linienbusdienste im Eggental, geht an das Konsortium der Miet-wagenunternehmer KSM.
Für Sad-Chef Ingemar Gatterer ist das ein Super-GAU. Irgendwie hat er sich das auch selbst eingebrockt. Denn er hat die Mail von Carmen Larcher an seinen Vater weitergegeben. Und der wiederum hat sie an den Landeshauptmann und an verschiedene Medien weitergeleitet. Erst damit ist die Sad-Affäre ins Rollen gekommen.
Ob das nicht ein Schuss ins eigene Knie war? „Würde ich nicht sagen“, sagt Ingemar Gatterer, 46, zu ff. Es sei halt so gewesen, wie es gewesen ist. Mehr gebe es dazu nicht zu sagen.
Er jedenfalls sei sich weder einer Schuld noch einer falschen Vorgehensweise bewusst. Das -Bozner Landesgericht gab ihm Anfang Dezember recht: Es hat den Vorwurf der Wettbewerbsstörung gegen Ingemar Gatterer und Sad-Generaldirektor Mariano Vettori archiviert.
Und das Spiel, sagt Ingemar Gatterer zu ff, sei noch nicht aus. Der Zuschlag der zehn Lose ist erst provisorisch und noch nicht definitiv erfolgt. Sobald sie definitiv vergeben sind, sind Rekurse dagegen mehr als nur wahrscheinlich. Daran lässt Ingemar Gatterer keinen Zweifel: „Wir als Sad, und vermutlich auch noch einige andere Wettbewerber, behalten uns alle Mittel dagegen vor.“
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