Politik

Showdown um die Macht

Aus ff 04 vom Donnerstag, den 27. Januar 2022

SVP
„Die SVP muss sich ­verändern, jetzt.“ © FF Media
 

Angriff aufs Athesia-Monopol, die brisanten Erkenntnisse aus dem Sad-Skandal: In der SVP werden die Messer gewetzt. Blick hinter die Kulissen einer Partei, in der sich immer weniger Südtiroler wiedererkennen.

Bislang waren es Nadelstiche, Beinpinkeleien, kleinere oder größere Gemeinheiten. Man musste zwischen den Zeilen lesen, um die Stimmungslage in der SVP deuten zu können. Mal glaubte man, Fronten zu erkennen, die sich misstrauisch, vielleicht sogar feindlich gegenüberstehen, dann schien wieder Friede, Freude, Eierkuchen.

Auf wessen Seite steht der Obmann? Diese Frage beschäftigte nicht nur Mandatare und Funktionäre, sie sorgte auch an den Stammtischen der Dorfgasthäuser für hitzige Diskussionen. Dass Achammer und der Landeshauptmann keine dicken Kumpel sind und es wohl nie werden, ist bekannt. Aber bislang schien es, dass die beiden doch zu einer Art Zweckehe Ja gesagt haben: Wir mögen uns zwar nicht, aber wir brauchen uns gegenseitig.

Wenn es so war, dann dauerte dieser Frieden bis Samstag vergangener Woche. Seit diesem 22. Jänner wissen die Mitglieder der Sammelpartei – wie viele sind es noch: 30.000, gar nur mehr 20.000? – , dass andere, offenbar wichtigere Interessen die Oberhand gewonnen haben. Im Sad-Skandal und in der Diskussion über das Medien- und Werbemonopol der Athesia geht es offenbar ums Eingemachte. Jetzt heißt es also Farbe bekennen. Und Philipp Achammer, der Obmann, hat Farbe bekannt.

Im Athesia-Flaggschiff Dolomiten erschien ein Interview, das gezeichnet ist vom Redakteur Stephan Pfeifhofer, aber unzweifelhaft von höchster Stelle geplant, inszeniert, ausformuliert und in dieser Form platziert worden ist. Insider haben keine Zweifel: Hier waren die Entourage Achammers und „die christlichen Brüder“ am Werk. Die spöttische Betitelung von Michl und Toni Ebner stammt vom SVP-Abtrünnigen Hubert Frasnelli, der sie vor rund zwanzig Jahren formulierte, aber noch heute auffallend oft in den Mund genommen wird – auch und vor allem von SVP-Leuten.

Um Missverständnissen vorzubeugen und festzustellen, dass hier nicht lange um den Brei herumgeredet wird, trägt das Interview den Titel „klare Worte“. ff fasst zusammen.

Achammers erste Klarstellung: „Viele – und das trifft leider doch auch einige in der Südtiroler Landespolitik – haben sich viel zu weit von den wirklichen Sorgen und Meinungen der Menschen entfernt. Ich plädiere für viel mehr Hausverstand und Pragmatismus. Das hat Südtirol erfolgreich gemacht, da können wir viel von unserer politischen Vorgänger-Generation lernen. Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir nicht Politik im Glashaus des Bozner Regierungsviertels betreiben, sondern für unsere Leute arbeiten.

Die Botschaft: Arno Kompatscher ist kein guter Landeshauptmann, er ist nicht aus dem Holz eines Luis Durnwalder geschnitzt, der gezeigt hatte, wie man es richtig macht.

Achammers zweite Klarstellung: „Es sind noch eineinhalb Jahre bis hin zu den Landtagswahlen, über irgendwelche Kandidaturen zu reden, diese gar an Bedingungen zu knüpfen, das scheint mir doch reichlich verfrüht.“

Die Botschaft: Kompatscher soll nicht die empfindliche Primadonna spielen, er ist nicht die Nummer eins, sondern bloß irgendwer. Es muss sich erst zeigen, ob die SVP mit ihm oder mit einem anderen als Spitzenkandidaten bei der Landtagwahl 2023 antreten wird. Zur Erinnerung: Der Landeshauptmann hat seine Kandidatur 2023 an die Bedingung geknüpft, zunächst die für die SVP erschütternden Erkenntnisse aus der Sad-Ermittlungsakte (ff-berichtete) „parteiintern zu klären“. Der Obmann geht darauf nicht ein, im Gegenteil, er frotzelt „über irgendwelche Kandidaturen“, gerade so, als sei Kompatscher der letzte Hinterbänkler.

Achammers dritte Klarstellung: Die Sad-Ermittlungsakte (sie liegt dem Obmann im Wesentlichen seit über einem Jahr vor), die offenlegt, dass namhafte Parteifunktionäre die Interessen eines privaten Unternehmens verfolgten und gegen die Landesregierung, gegen den Landeshauptmann und einen Landesrat intrigierten, sei Nebensache. Stattdessen fordert der Obmann mehr oder weniger offen den Kopf jenes „hohen Parteimitglieds“ (gemeint kann nur der stellvertretende Parteiobmann Karl Zeller sein, Anmerkung des Autors), das seiner Meinung nach die Akten an die Medien weitergeleitet habe. Konkret: Nicht die grausligen Machenschaften seien aufzudecken und zu sanktionieren, sondern jene, die sie ans Tageslicht brachten.

Die Tatsache, dass Christoph Perathoner, SVP-Obmann des Bezirkes Bozen und zum Zeitpunkt der Ermittlungen rechte Hand von Sad-Chef Ingemar Gatterer, den Landeshauptmann übel beschimpft und mit Fäkalausdrücken niedergemacht hat, wird von Achammer als Lausbubenstreich verharmlost. Zitat: „Blödes Gerede gibt es immer. Das ist menschlich. Aber nicht wirklich relevante Gespräche, zum Beispiel am Telefon, öffentlich zu machen, das ist eine andere Sache. Das möchte kein Mensch.“

Achammers vierte Klarstellung: Kompatschers Erfolge sind nicht der Rede wert. Der SVP-Obmann wusste zum Zeitpunkt des Interviews, dass laut einer Umfrage der Südtiroler Wirtschaftszeitung SWZ der Landeshauptmann ganz klar die Nummer eins und der beliebteste Politiker in Südtirol ist. Und dass die SVP es Kompatscher und keinem anderen zu verdanken hat, weiterhin mit einem Zuspruch von rund 40 Prozent rechnen zu dürfen. Jeder andere Parteiobmann hätte diese SWZ-Steilvorlage genutzt, um sich stolz hinter den Landeshauptmann zu stellen, und erklärt, dass Kompatscher und kein anderer der logische Spitzenkandidat für 2023 sein werde, ja sein müsse. Nicht so Achammer: kein Wort über die SWZ-Umfrage, kein Wort über die Zugkraft Kompatschers für die SVP.

Im Bauch der Partei wirkte das Interview wie ein Elektroschock: „Das kann man nicht anders denn als eine offene Kriegserklärung verstehen“. „Ich ahnte zwar, dass etwas brodelt, aber dass es so heftig ausbrechen würde, überrascht mich jetzt doch.“ „Warum macht Achammer so etwas? Warum macht er es genau in dieser delikaten Phase?“ „Der Philipp ist bekannt dafür, dass er sich aal-
glatt durch die Konflikte manövriert. Wenn er jetzt den Schlaghammer auspackt, kann das nur heißen: Es müssen ganz, ganz wichtige Interessen auf dem Spiel stehen.“

Wen immer ff um eine Meinung fragte, der Antwort wurde immer eine Bedingung vorangestellt: „Kein Name bitte“. Das Muster ist bekannt: Wenn die Generäle über sich herfallen, ducken sich die Soldaten. Wer will sich schon als Anhänger des möglichen Verlierers outen?

Als ff es am Montag gelang, Achammer telefonisch zu erreichen, bemühte er sich, das Interview herunterzuspielen: Das mit dem fehlenden Hausverstand sei auf die Corona-Politik bezogen, aber nein doch, er habe den Landeshauptmann nicht abgewatscht, sondern „nur einige Dinge“ klargelegt. Es sei geradezu „lustig“ – Achammer benutzte tatsächlich diesen Begriff –, „dass alle sich das Recht herausnehmen zu reden, ja sogar Tumore aus der Partei entfernen wollen“, dass er aber nichts sagen dürfe: „Und wenn ich dann wie in diesem Interview etwas sage, dann lesen alle genau das heraus, was sie heraushören wollen, obwohl das gar nicht drinsteht.“

Das Interview hat eine Vorgeschichte. SVP-Insider wissen, dass „das Kriegsbeil bereits im Sommer 2019 ausgegraben wurde. Als ff damals in einer Titelgeschichte über die „Operation Abschuss“ berichtete, habe man innerhalb der SVP „nur mehr auf den Moment gewartet, bis der Laden hochgeht“.

Damals war – ebenfalls in der Dolomiten – ein Kommentar erschienen, in dem ein gewisser „krah“ den Landeshauptmann zur Schnecke machte. Konkret wurde die Behauptung aufgestellt, dass – Zitat – „der Governatore der zweitkleinsten autonomen Territorialeinheit Italiens Land und Leute Gefahren aussetzt.“

In der Folge hatte sich die Aufregung rund um diesen in dieser Heftigkeit nie dagewesenen Angriff der Athesia gegen einen Landeshauptmann rasch gelegt. Im Nachhinein weiß man: Es handelte sich damals um den famosen Schuss vor den Bug: Bursche, wisse, was du zu tun hast. Entweder du biegst dich unseren Interessen, oder wir verräumen dich.

Landeshauptmann Kompatscher werden viele Schwächen nachgesagt: Er sei zu eitel, mitunter zu stur, und er reagiere auf Kritik überempfindlich. Außerdem sei er nicht unbedingt das, was man einen Teamplayer nennt: Es gelinge ihm nicht, „die Leute mitzunehmen und einzubinden“. Die Folge: Ihm fehle ein Netzwerk, deshalb stehe er oft alleine im Regen. Und deshalb sei er oft überzeugt, „von lauter Feinden umzingelt zu sein“.

Freilich sind es nicht diese Schwächen, die ihn zum Feind der Athesia gemacht haben, sondern: „Es ist seine absolute Unbestechlichkeit, seine Gradlinigkeit – und seine Unabhängigkeit von einer Medienmacht, die seit Jahrzehnten gewohnt ist, ihre Interessen durchzusetzen.“

Das Hotelprojekt in Kurzras zum Beispiel. Athesia hat in einer „Richtigstellung“ vor Kurzem die Behauptung aufgestellt, dass der Standort von der Landesregierung dazumal „einstimmig festgelegt“ worden sei. Will sagen: Am Projekt sei nicht mehr zu rütteln.

Nicht nur in Schnals weiß man: Die umstrittene Hotelzone fußt keineswegs auf einem einstimmigen Beschluss, sondern ist die Folge eines „Versäumnisses“. Der Akt war nämlich von der Landesregierung gar nicht behandelt worden – und trat in der Folge „wegen Terminverfall“ in Kraft. Damals (2011) hieß der Landeshauptmann Luis Durnwalder, und zuständiger Landesrat war der heutige Athesia-Sprecher Elmar Pichler Rolle.

Kenner der Südtiroler Machtspielchen wissen: Auch früher hat es zwischen dem Landeshauptmann und der Athesia gekracht. Als Beispiele werden vor allem Messners Museum auf Schloss Sigmundskron und die Gründung der Universität genannt. Athesia hatte versucht, beide Projekte zu versenken, Luis Durnwalder boxte sie trotzdem durch. Allerdings habe der damalige Landeshauptmann gegenüber Athesia nicht nur die Peitsche schwingen lassen, sondern immer mal wieder das famose Zuckerbrot ausgestreckt: Athesia konnte sich nicht immer durchsetzen, aber deren wesentliche Interessen blieben unangetastet.

Das hat sich jetzt geändert. Egal, ob Kaufhaus am Bahnhofspark, Ötzi-Museum, Kanonikus-Gamper-Museum in Tisens oder Hotelprojekt in Kurzras: Landeshauptmann Kompatscher behandelt Athesia-Projekte mit derselben Distanz wie andere Projekte, eine Vorzugsschiene gibt es nicht. Genau diese Selbstverständlichkeit einer unabhängigen Verwaltung sei es, die am Weinbergweg als Affront empfunden werde.

Aber es kam noch dicker. Es gab eine Zeit, da hatte sich Athesia sogar mit den Linken arrangiert. Es gibt Bilder, die Michl Ebner lächelnd an der Seite des damaligen Premiers Romano Prodi zeigen. Mit von der Partie war in jener Zeit meist auch der PD-Politiker Gianclaudio Bressa.

Inzwischen hat sich die politische Landschaft verändert. Bressa, ein enger Freund seines ehemaligen Parlamentskollegen und jetzigen SVP-Vizeobmanns Karl Zeller, hat sich einem Thema gewidmet, das vor allem den Italienern unserer Region unter den Nägeln brennt: das Medienmonopol der Athesia. Das Ebner-Unternehmen kontrolliert dank Alto Adige in Südtirol und L’Adige in der Nachbarprovinz nicht nur die italienische Zeitungswelt, sondern auch den Werbemarkt. Mit seinem Vorstoß im Senat will Bressa erreichen, dass a) das Athesia-Monopol eingeschränkt wird und b) die staatlichen Zuschüsse für Minderheitenzeitungen (rund 6,2 Millionen Euro im Jahr) gestrichen werden.

In einem Interview mit der Tageszeitung hat SVP-Vizeobmann Karl Zeller die Bressa-Initiative verteidigt. Mehr noch: Zeller hat die Gelegenheit am Schopf gepackt, um die politischen Auswirkungen dieses Monopols offenzulegen. Zitat: „Die Athesia-Methode ist: Bist du nicht willig, dann wirst du – wenn es dir gut geht – totgeschwiegen, oder sonst eben mit negativen Schlagzeilen in ein schiefes Licht gerückt.“

Das sitzt. Noch nie hat ein SVP-Spitzenexponent die Athesia dermaßen scharf angeriffen und festgestellt, dass „dieser Konzern alles bestimmen will, vom Standort eines Hotelkomplexes bis zu den Schlüsselpositionen in der Politik, und sich breitmacht wie eine Krake.“

Zeller steht nicht nur zweifelsfrei an der Seite von Landeshauptmann Arno Kompatscher, er gilt für viele auch als „einer der letzten echten Verfechter der Sammelpartei“. Kein Wunder also, wenn ein anderer altgedienter Parteisoldat sagt: „Man muss mit Zeller nicht einer Meinung sein. Aber er hat das Problem auf den Punkt gebracht, er hat den Finger in die offene Wunde gelegt.“

Trotzdem scheinen Bressas Vorstoß und Zellers Interview parteintern auf taube Ohren zu stoßen. Eine inhaltliche Diskussion hat bislang nicht stattgefunden. Stattdessen wurde versucht, den Meraner Anwalt wegen dessen Beratungstätigkeit an den Pranger zu stellen; Der entsprechende Dolomiten-Artikel mit dem Titel „Zellers hilfreiche Beratungen bei Millionenprojekten“ war garniert mit einem Foto des Anwalts und von Kompatscher, beide lächeln zufrieden in die Kamera.

Zeller: „Der Artikel ist als Anfrage einer Oppositions­partei getarnt, damit ich
nicht klagen kann. Ich hätte sie sonst morgen verklagt.“

Und jetzt kommt der Sad-Skandal ins Spiel, diesmal mit Karl Zeller in der Rolle des Verteidigers von Landeshauptmann Arno Kompatscher. Die Sachlage ist bekannt und wurde von ff ausführlich geschildert. In aller Kürze: Seit seiner Wahl zum Landeshauptmann versuchte Kompatscher, den öffentlichen Nahverkehr neu zu regeln. Konkret ging es auch hier darum, ein Monopol zu brechen.

Die Öffis, sagt ein Insider, „sind eine Gelddruckmaschine – beziehungsweise waren es, bis diese Landesregierung dem bunten Treiben ein Ende gesetzt hat.“ Sad-Boss Ingemar Gatterer hat bekanntlich alles versucht, um den Status quo, von dem sein Unternehmen (auch andere) über Jahre hinweg profitiert hat, zu verteidigen. Der Status quo: eine Konzession ohne Wettbewerb, garantierte Aufträge, fixe (überhöhte) Preise, sichere Einnahmen – und die Möglichkeit, die vom Land gekauften Busse und die Chauffeure hin und wieder auch im Skibusdienst einzusetzen.

Außerdem handelt es sich um einen Bereich, der von Jahr zu Jahr ausgebaut wird: Die Welt der Öffis kennt dank Energiewende und Klimawandel keine Krise: „Da ließ sich dermaßen viel Geld damit verdienen, dass man versteht, warum Gatterer wie wild prozessiert und alles in Bewegung gesetzt hat.“ Auf dem Spiel standen Gewinne von immerhin rund zehn Millionen Euro – im Jahr.

Im Zuge der Ermittlungen um die Ausschreibung des Nahverkehrs wurden die Gespräche der Beteiligten abgehört. Die wichtigsten Erkenntnisse: Sad-Chef Gatterer hat massiv versucht, die Entscheidung der Landesregierung zu beeinflussen. Dabei wurde er, wie man weiß, von Altlandeshauptmann Luis Durnwalder beraten – und tatkräftig unterstützt von Christoph Perathoner, zum damaligen Zeitpunkt Sad-Präsident und Obmann des SVP-Bezirkes Bozen (was er immer noch ist).

Um die eigenen Ziele zu erreichen, hatten Gatterer und sein Anwalt Maria-
no Vettori auch versucht zu verhindern, dass der Kompatscher-Vertraute Daniel Alfreider Mobilitätslandesrat wird. Den Hebel dazu glaubten sie nicht zuletzt in Alfreiders Hüttenaffäre gefunden zu haben. Das Landesgericht hat das Verfahren gegen Alfreider im November archiviert – wegen Verjährung und Geringfügigkeit.

Die Ermittlungen haben freilich auch gezeigt: Die Landesregierung hat sich von dieser potenten Lobby nicht beeinflussen lassen. Das Duo Kompatscher-Alfreider zog sein Konzept durch: Der öffentliche Nahverkehr wurde neu ausgeschrieben, und zwar in kleinen Losen. Die Staatsanwaltschaft kam zum Schluss, dass die Neuausschreibung der Dienste im Interesse der Allgemeinheit geschehen ist, Kompatscher stieg mit weißer Wäsche aus der Affäre aus.

Einer, der sich mit der Materie auskennt, zieht folgenden Schluss: „Gatterer und seine Helfeshelfer haben Kompatscher, die Landesregierung und den Beamtenapparat unterschätzt. Sie hatten nicht geglaubt, dass Kompatscher & Co tatsächlich in der Lage sein würden, der Sad dieses Spielzeug zu entreißen und den öffentliche Nahverkehr neu aufzustellen.“

Der Sad-Skandal förderte eine in Südtirol nie dagewesene Konfrontation zutage: Der Altlandeshauptmann, der gemeinsame Sache mit einem privaten Unternehmen macht, das Ziele verfolgt, die den Interessen der Allgemeinheit entgegengesetzt sind – und den amtierenden Landeshauptmann sogar wüst beschimpft und mit Prozessen eindeckt. Luis Durnwalder sagte mehrmals, er habe lediglich „versucht zu vermitteln“. Trotzdem bleibt mehr als bloß ein bitterer Nachgeschmack, wenn man weiß – auch dies geht aus den Abhörprotokollen hervor –, dass Gatterer, Perathoner und der Altlandeshauptmann zwei weitere hohe SVP-Exponenten an ihrer Seite hatten: den Senator und Pusterer SVP-Obmann Meinhard Durnwalder sowie – zumindest in der Anfangsphase – Landesrat Thomas Widmann. Wer die Protokolle liest, kommt zum Schluss: Diese Seilschaft wollte Kompatscher an den Kragen – und will das vermutlich immer noch.

Als dieses brisante Thema vor Kurzem auf Rai Südtirol in der Diskussion „Am runden Tisch“ zur Sprache kam, konnte man sich erwarten, dass Studiogast Stefan Premstaller deutlich Stellung beziehen würde. Für den SVP-Sekretär wäre es ein Leichtes gewesen, die Umtriebe und verbalen Unflätigkeiten der Gatterer-Lobby scharf zu tadeln, und gleichzeitig die Korrektheit der Südtiroler Verwalter hervorzuheben. Stattdessen vermied ein sichtlich verlegener Premstaller sowohl das eine wie das andere.

Für Insider steht außer Frage: Der Sad-Skandal hat – wie auch der Umgang mit Athesia – das Zeug, die Partei zu zerreißen.“ Beziehungsweise das, was von der einst stolzen Sammelpartei noch übriggeblieben ist.

Wer mit alten Parteihaudegen spricht, bekommt ein düsteres Bild geliefert. Die SVP sei einst „ein Musterbeispiel einer demokratischen Basispartei“ gewesen: Ortsgruppen, Bezirke, Richtungen, Verbände: In der Vielzahl der Gremien waren alle eingebunden, „konnten sich alle zuhause fühlen“, alle mitreden. Eben wie es sich in einer Sammelpartei gehört, wo mitunter auch entgegengesetzte Interessen aufeinanderstoßen und wo es immer wieder gelang, diese Interessen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Es war einmal. Die einzige Richtung, die ihre Interessen durchboxt, seien heute „die Bauern“. Und selbst diese hätten die SVP nicht mehr nötig: Der Bauernbund sei längst mächtiger. Jüngstes Beispiel: Die Forderung der Bauern, beim touristischen Bettenstopp eine Ausnahme für Urlaub auf dem Bauernhof vorzusehen, musste Landesrat Arnold Schuler abnicken. Es heißt, wenn Schuler nicht tut, was der Bauernbund fordert, müsse er 2023 um seine Wiederwahl bangen.

Ein SVP-Bezirksvertreter stellt fest: „Die Sammelpartei müsste das Spiegelbild der Südtiroler Gesellschaft sein. Aber das ist die SVP schon lange nicht mehr. Früher sprachen Arbeiter und Angestellte noch stolz von ‚meiner Partei‘. So etwas sagt heute niemand mehr. Ich kenne Leute, die im Parteiausschuss sitzen und im Gasthaus dann blöd über die SVP und den Landeshauptmann herziehen.“

Freilich, der Niedergang der Volksparteien ist ein Phänomen, das europaweit Realität ist (siehe Kasten). In Südtirol kommt diese Entwicklung vielleicht verspätet. Hier profitierte die SVP jahrzehntelang von der ethnischen Komponente. Inzwischen sind Silvius Magnagos Appelle an den Zusammenhalt der Minderheit verklungen, der ethnische Kitt ist abgebröckelt.

Ist das der Grund, weshalb jetzt handfeste Interessen zum Vorschein kommen? Mit den Worten eines Landtagsabgeordneten: „Es geht um die Wurst. Es geht darum, wer in Südtirol das Sagen hat. Jene, die bisher immer das Sagen hatten, fürchten, dass unter diesem Landeshauptmann ihre Zeit abgelaufen ist. Kurzum, sie wollen das Rad der Zeit zurückdrehen.“

Was würde passieren, wenn Arno Kompatscher hinschmeißt anstatt 2023 noch einmal anzutreten? Die überraschende Frage wurde vergangene Woche in illustrer Runde in einem Gasthaus aufgeworfen. Noch überraschender war freilich die spontane Antwort, die man zu hören bekam: „Nun ja, die SVP würde auf 30 Prozent sacken. Aber vielleicht ist es genau das, was seine Gegner wollen. Die Sammelpartei gibt es ja sowieso schon längst nicht mehr.“

Am Montag sollte ein Treffen von Kompatscher und Achammer stattfinden. Der Landeshauptmann hatte darum ersucht, „um zu fragen, was da eigentlich los ist – und was es mit diesem Interview auf sich hat“. Der Obmann habe den Termin „leider absagen müssen“.

Der Showdown um die Macht hat begonnen – und wird nicht so rasch zu Ende sein.

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  • Landeshauptmann Arno Kompatscher SVP-Obmann Philipp Achammer FF Magazine Karl Zeller

Niedergang der Volksparteien

Es wird die SVP zwar nicht trösten, aber: Der Niedergang der Volksparteien ist ein europaweites Phänomen, wie der Blick nach Deutschland und Österreich zeigt. Im Jahr 1990 hatte die CDU knapp 800.000 Mitglieder, heute sind es gerade mal halb so viele. Noch heftiger traf es die SPD, die zwischen 1990 und 2020 rund 60 Prozent ihrer Mitglieder verlor. Auch die bayerische CSU muss inzwischen kleinere Brötchen backen, 2020 verkaufte sie nur mehr 137.000 Mitgliedskärtchen, 26 Prozent weniger als noch vor 30 Jahren.

Der SVP ergeht es ähnlich: Im Jahr 1988 vermeldete der Kassier 81.000 Mitglieder. Das bedeutete: Nahezu jeder zweite Südtiroler, der die SVP bei der Landtagswahl gewählt hatte, war Mitglied. Damals stand die SVP bei stolzen 60 Prozent – und konnte mit Fug und Recht behaupten, „die Sammelpartei der Südtiroler“ zu sein. Die Zeiten haben sich aber auch in Südtirol geändert: Bei der Landtagswahl 2018 erhielt die SVP mit nur mehr 42 Prozent nahezu 20 Prozent weniger als 1988. Noch dramatischer ist der Mitgliederschwund: Aus den einst über 80.000 sind inzwischen 30.000 geworden, böse Zungen behaupten, dass es sogar noch weniger seien.

„Früher sind wir von Haus zu Haus gegangen, haben mit den Leuten geredet. Da ist es dann oft gelungen, auch Skeptiker zu überzeugen. Heute werden Briefe geschickt. Vor allem in dieser Pandemie wurden Hausbesuche ja ganz eingestellt. Die Folge ist: Die Briefe landen im Papierkorb.“ Der SVP-Funktionär, der das erzählt, nennt aber einen weiteren Grund für den Mitgliederschwund: „Die Leute haben nicht mehr den Eindruck, wirklich mitbestimmen zu können.“

Das schlägt sich auch bei den Kandidaturen nieder: Bei der Landtagswahl kann nur antreten, wer eine dicke Brieftasche hat: „Wer ist schon bereit, an die 60.000 Euro in die Wahlwerbung zu investieren, wenn er fürchten muss, nicht gewählt zu werden. Außerdem hat sich ja längst die Erkenntnis durchgesetzt: Wer keine Lobby im Rücken hat, saust bei der Landtagswahl sowieso durch.“ Im Jahr 2018 hat es nur eine einzige Kandidatin ohne Lobby geschafft: Jasmin Ladurner. Ausgerechnet sie stolperte jetzt über eine Spesenaffäre. Aus parteiinternen Kreisen heißt es, dass der Umgang mit Ladurner und vergleichbaren Fällen zeige, dass es „höchst an der Zeit für eine Grundsatzdiskussion“ sei. Bei dieser Gelegenheit müsse auch der Sad-Skandal aufgearbeitet werden – „und zwar schonungslos und transparent“.

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