Politik

Die eiserne Gießkanne

Aus ff 35 vom Donnerstag, den 29. August 2024

Polizeichef Paolo Sartori wird für seinen Aktionismus kritisiert. Er wende lediglich das Gesetz an, sagt er – „aber unflexibel“. © Alexander Alber
 

Quästor Paolo Sartori greift hart durch, heißt es. Das bekommen immer mehr Menschen zu spüren: Migranten ohne Vorstrafen. Oder politisch Aktive.

Im Namen der Sicherheit kann man in Südtirol vieles machen. Das Militär in Bozen und Meran aufmarschieren lassen etwa. Oder Carabinieri zu Festivals schicken, die ein bisschen nach alternativ riechen. Das Demonstrationsrecht einschränken. Handys verbieten. Obdachlose aus der Stadt jagen. Und täglich via Pressemitteilung da-rüber berichten, wen man wieder festgenommen, abgeschoben oder verwiesen hat.

Paolo Sartori, seit März neuer Polizeichef, hat sich längst den Ruf des starken Mannes erarbeitet, der endlich für Sicherheit sorgt. Doch seine „harte Hand“ schlägt nicht mehr nur bei Schwerkriminellen zu. Der Quästor lässt mittlerweile nach dem Gießkannenprinzip polizeiliche Maßnahmen regnen. Unter dem Jubel von Politik und einigen Medien werden von der neuen Flut (man sieht den Anstieg auf der nebenstehenden Tabelle) vor allem marginalisierte Menschen getroffen, Migrierte. Und politische Aktivisten. Mit Methoden, die man in Südtirol bislang nicht kannte, das zeigen Gespräche mit und über Betroffene, die ff für diesen Artikel geführt hat. Die meisten Gesprächspartner wollen nicht mit Namen genannt werden, sie engagieren sich in der Flüchtlings- und Obdachlosenhilfe oder sind politisch aktiv.

Einen statistisch erfassbaren Grund für diese Vorgangsweise gibt es nicht, darauf hat ff wiederholt hingewiesen (ff Nr 14 und 16/24): Es gibt heute weniger Kriminalität als früher. Doch der Ruf nach Sicherheit, von rechter politischer Seite befeuert, verlangt nach Tätern. Quästor Sartori liefert sie.

Erstes Beispiel ist das eines wohnungslosen Ex-Drogenabhängigen, der in Bozen eine Suchttherapie gemacht hat und in einer Nachtschlafstätte untergekommen war, italienischer Staatsbürger. Ihn traf es in den ersten -Sartori-Wochen. Er soll, so erzählt es einer, der in seiner Betreuung eingebunden war, dort „erwischt“ worden sein, wo andere dealten. Ohne aber selber zu dealen. Der Stadtverweis („foglio di via“) kam aufgrund seiner Vorgeschichte und ohne das Gespräch mit den Strukturen zu suchen. Was aus dem Mann geworden ist, weiß man nicht.

Zweites Beispiel ist ein EU-Bürger ohne festen Wohnsitz, der im Krankenhaus ein Mensaessen „stahl“, dafür ins Gefängnis wanderte und der nun sogar ins EU-Ausland „abgeschoben“ werden soll. Wo sind wir hingekommen?, fragt sich ein Unterstützer.

Drittes Beispiel: Ein Obdachloser, Migrant, wurde dabei „erwischt“, wie er auf einer Parkbank im Zentrum aß. Das sei mit dem Ansehen der Stadt, dem berühmten „decoro“, das gern he-rangezogen wird, nicht vereinbar. Für ihn setzte es ein Aufenthaltsverbot („Daspo“) für bestimmte Stadtteile. Stadtteile, in denen er arbeitete und notgedrungen übernachtete. Durch die Hilfe der Freiwilligen-Organisation Bozen Solidale gelang es in der Folge, Arbeit und Unterkunft in einer anderen Südtiroler Stadt für den Mann zu finden. Und – und das ist ein Knackpunkt – es wurde beim Verwaltungsgericht gegen die Maßnahme rekurriert, die Verhandlung steht im September an. Es könnte ein Präzedenzfall werden.

Die Bozner Rechtsanwältin Francesca De Angeli vertritt den Fall. Sie kennt die Materie und noch weitere Fälle, etwa die von drei Migranten, die es im Mai mit dem Quästor zu tun bekamen. Deren Vergehen: Sie übernachteten in einem leer stehenden Haus in der Grandi-Straße, das von der Polizei geräumt wurde. Dafür setzte es einen foglio di via – obwohl sie keinerlei Vorstrafen hatten. Die Begründung für ihre „soziale Gefährlichkeit“: Sie hätten angeblich gefährliche Leute frequentiert, die ebenfalls in dem Haus schliefen.

„Eigentlich“, sagt De Angeli, „müssen in den ausgestellten Maßnahmen konkrete Dinge benannt werden. Die Begründung ist der wichtigste Teil eines Stadtverweises. Stattdessen sind diese Anordnungen alle abstrakt und gleich, nur der Name wird geändert.“ De Angeli spricht deshalb von „provvedimenti ciclostilati“ des Quästors. Vorgefertigte, kopierte Zettel ohne jegliche individuelle Begründung.

Menschen wie die beschriebenen Migranten stecken oft in einem Teufelskreis fest: Verweise kann man grundsätzlich nur kriegen, wenn man keinen Wohnsitz im Ort hat; wenn man aber keine Wohnung findet, weil Wohnraum teuer und Vermietende den Wohnungssuchenden mit rassistischen Vorurteilen begegnen, dann ist man gezwungen, entweder zu „bivakieren“ oder „schwarz“ in überfüllten Untermietwohnungen unterzukommen. Die städtischen Notschlafstellen lösen das Problem seit Jahren nicht, Arbeiterwohnheime sind rar. Wer nirgends offiziell wohnt, hat keinen Wohnsitz und kann dann im Namen der Sicherheit aus einer Stadt verwiesen werden, in der er oder sie arbeitet.

„Zum decoro einer Stadt“, sagt De Angeli, „müsste aber auch das gehören: endlich ein Tageszentrum für Wohnungslose und Schlafplätze für Arbeiter.“

Wo die Betroffenen tatsächlich leben, wird in den vielen fogli di via nicht verifiziert, kritisiert Anwältin De Angeli. Und wie sich dagegen wehren? Für einen Rekurs beim Verwaltungsgericht braucht es Zeit und Geld – beides bei Migrierten tendenziell knapp. So würden Probleme lediglich verschoben, sagt De Angeli. Natürlich, und hier sagt sie dasselbe wie andere Gesprächspartner, seien unter den vielen vom Quästor mit Maßnahmen belegten Personen auch solche, die diese tatsächlich verdient hätten.

Die andere „Schiene“, die Quästor Paolo Sartori fährt, ist die politische. Auch hier gibt es mehrere Beispiele. Ein Aktivist erhielt im Juli etwa ein zweijähriges Aufenthaltsverbot für Bozen, weil er sich an einer „Demonstration“ vor dem Bozner Gefängnis beteiligt hatte – tatsächlich waren sechs Leute spontan auf die Talferwiesen gegangen, um den Gefangenen, die ihrerseits gegen die Haftbedingungen protestierten, ihre Solidarität zu bekunden. Die Gruppe ging nachher in eine Bar, dort wurde man gestellt und in die Quästur gebracht. Auch von ihnen ginge „soziale Gefahr“ aus.

Der Betroffene wohnt in der Umgebung von Bozen, kam deswegen für ein Aufenthaltsverbot infrage. In seinem Verweis steht, er habe keinerlei familiäre Bindung zur Hauptstadt – dabei ist er dort geboren und aufgewachsen, hat dort auch Familie. Außerdem werden ihm Dinge vorgeworfen, für die er nie angezeigt worden sei, sagt er. Er will rekurrieren, doch das kostet und dauert. Mindestens so lange ist er blockiert.

Zwei andere Bozner Aktivisten kassierten vom Quästor Verwarnungen mit unglaublichen Auflagen: Sie dürfen kein internetfähiges Gerät mehr besitzen oder verwenden – also kein Smartphone, keinen Computer oder sonstiges. Einem wird zudem verboten, soziale Netzwerke zu verwenden. Und, weil hier die Antimafia-Gesetze herangezogen werden, kein gepanzertes Fahrzeug und kein Nachtsichtgerät, nicht einmal ein Spielzeuggewehr.

Wiederum zwei andere politisch Aktive aus dem Eisacktal erhielten Aufenthaltsverbote für Bozen wegen ihrer Rolle bei einer Demonstration gegen Abtreibungsgegner im Juni. Ebenfalls im Juni entschied der Quästor, dass eine Kundgebung im Rahmen des Regenbogenmonats nicht am Bozner Bahnhofsplatz stattfinden dürfe, weil davon eine Gefahr ausginge und hier nicht genehme Slogans fallen könnten.

Vor zwei Wochen traf es dann auch eine Grödner Umweltschutzgruppe, die eine Fahrraddemo gegen den ausufernden Verkehr am Grödner Joch veranstalten wollte. Man hatte die Demo extra drei Wochen vorher angemeldet, sagt Organisator Ujep Runggaldier, um alles richtig zu machen – man hätte ja auch nur so Fahrrad fahren gehen können. Zunächst gab es eine Zusage, dann eine Absage – wegen zu erwartender Verkehrsbehinderung, und weil am Demoplakat „Block the Cars“ stand. Man möge sich auf einen Parkplatz beschränken, hieß es. Runggaldier & Co sagten ab, sie wollen die Sache jetzt mit der Landesregierung besprechen.

In der Landesregierung sitzt freilich auch Marco Galateo – der offenbar beste Beziehungen zum Quästor pflegt. Jüngst habe er nach „Indiskretionen“, wie er der Tageszeitung Alto Adige berichtete, die Namen von einer Aktivistin und einem Aktivisten erfahren, die beide Verwarnungen vom Quästor erhalten haben, und die beide in Schulen arbeiten. Galateo wies deshalb seinen Schulamtsleiter an, alles zu tun, damit die beiden ihren Job verlieren.

Das hat jetzt auch die Grünen, bisher eher zurückhaltend in ihrer Kritik am neuen Quästor, aus der Reserve gelockt. Lynchmord sei das, heißt es in einer Pressemitteilung dazu, die von Grünen, Linken und elf weiteren Gruppierungen und Organisationen unterschrieben wurde.

„Die Sicherheits-Strategie des Quästors“, sagt die Grüne Abgeordnete Brigitte Foppa, „geht aus meiner Sicht nicht auf.“ Sartori spricht ja selbst davon, dass er vor allem die „gefühlte Unsicherheit“ der Menschen mit seinem Aktionismus bekämpfen wolle. Mit so einer Flut an Maßnahmen stumpfe das Sicherheitsgefühl der Leute aber einerseits ab, sagt Foppa. Und andererseits würden zu viele Menschen mit getroffen, Kollateralschäden, die mitunter die Meinungsfreiheit gefährden.Das eigentliche Problem sei die „brutale“ staatliche Gesetzgebung, die werde den Menschen und der Sache nicht gerecht. Gesetze kann man ändern.

Paolo Sartori selbst nennt die Kritik an ihm „strumentale“, instrumentalisierend, und ohne jegliches juristisches Fundament. Wer etwas zu beanstanden habe, könne sich ans Verwaltungsgericht wenden, sagt er. Er habe noch nie eine Demo verboten, sondern nur Auflagen gemacht. Und er wende lediglich das Gesetz an.

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