Die Sperre des Sellajochs für Autos und Motorräder scheidet die Geister. Die einen halten sie für einen „Beitrag zum Qualitätstourismus“, die anderen für einen „terroristischen Akt“.
Wirtschaft
Schall und Rauch
Aus ff 29 vom Donnerstag, den 20. Juli 2017
Jahrelang zählte Rauch Reisen zu den erfolgreichsten Südtiroler Reiseunternehmen. Nun ist die Busfirma pleite, und ihr Eigentümer Thomas Rauch mit dazu.
Thomas Rauch ist ein Opfer. Sagt Thomas Rauch. Kaputt gemacht von gierigen Managern und korrupten Politikern, von der Sad und deren Chefetage, von der SVP und deren Sarner Exponenten, die ihn einfach nur „fertigmachen“ wollten.
Dass sich der Name des rührigen Busunternehmers derzeit in allen Medien wiederfindet, muss demnach daran liegen, dass das „System Südtirol“ ganze Arbeit geleistet hat. Denn: Thomas Rauch ist pleite – und mit ihm eines der einst größten Südtiroler Bus- und Reiseunternehmen. Rauch Reisen hat den langjährigen Überlebenskampf verloren. Aber war der Mörder wirklich das „System“?
ff sprach mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern, Partnern, Gläubigern und einfachen Busfahrern. Zusammen mit einer Reihe von internen Dokumenten zeichnen sie ein differenzierteres Bild von einem Unternehmen, das seit Jahren auf der Kippe stand. Und dessen Betriebsführung vor allem in den letzten Monaten am Rande der Legalität arbeitete: Ein Unfall mit langer Vorlaufzeit?
Es war ein mageres Startkapital, mit dem Thomas Rauch im August 1997 seine Karriere begann. Zwei Kleinbusse hatte der damals 20-jährige Sarner Wirtschaftsstudent von seinem Vater übernommen, um alles Weitere musste sich der ambitionierte Jungunternehmer selbst kümmern. „Mein Papa sagte zu mir“, erinnert sich Rauch, „entweder du sperrst zu, oder du kriegst das alleine hin.“ Und Rauch arbeitete, zuerst mit einem, dann mit zwei, dann mit immer mehr Bussen. Ab 1998 auch als Konzessionsnehmer des Transportunternehmens Sad, das ihn als ersten privaten Anbieter am Ende mit bis zu 14 Linien beauftragte.
Es ging aufwärts für den bulligen Unternehmer mit kindlichem Ausdruck, zuerst zaghaft, dann immer schneller. „Rauch war innerhalb kürzerster Zeit megaerfolgreich“, erinnert sich ein Weggefährte, „zuerst mit den Bussen, aber dann auch politisch.“ Im Jahr 2000 übernahm der spätere Sarntaler Vizebürgermeister das Reisebüro Hafner Reisen in Kaltern, eröffnete weitere Filialen in Bozen und Vintl.
Auch die Mitarbeiterzahl wuchs stetig, im Jahr 2008 beschäftigte Rauch über 30 Fahrer und Verwaltungskräfte, bot eine breite Produktpalette von Pauschalreisen über Flugtickets, Hotelbuchungen und Tagesausflüge. Und erfüllte nebenbei noch die Linien der Sad: ein Unternehmen im Multitasking. Hat sich Rauch schon damals etwas viel vorgenommen?
Nein, sagt der Unternehmer selbst. Es sei die Sad gewesen, die ihm das Genick gebrochen habe, und zwar erst im Jahr 2014. Mit 20 Bussen bediente Rauch damals die Subkonzessionen im Raum Bozen/Unterland für die öffentliche Hand – bis ihm eines Tages ein Brief ins Haus flatterte. Eine Kündigung. Verspätungen und ein vermeintlich irregulärer Umgang mit den Entwertungssystemen waren für den Nahverkehrskoloss Grund genug, die Konzessionen der Rauch Reisen zu streichen und neu zu vergeben. Thomas Rauch zog vor Gericht und gewann. Weil der Rechtsstreit wegen mehrerer Rekurse aber bis heute andauert, sah er bis heute keinen Cent Entschädigung.
„Wir warten noch immer auf Gerechtigkeit“, sagt der 41-Jährige. Den entstandenen Schaden bezifferte er anfangs auf 400.000, später auf 1.000.000, heute auf 4.000.000 Euro. Würde die Sad diesen Image-Knick bezahlen, glaubt Rauch, könnte er seine Schulden von – zufällig genau – vier Millionen Euro problemlos begleichen.
Es ist eine schlüssige Erzählung, die der Sarner Unternehmer über sein Unternehmen preisgibt. Dass sie vollständig ist, glauben nur die wenigsten. „Es wäre fast zum Lachen“, kommentierte der ehemalige Geschäftsführer von Rauch Reisen, Roman Rabensteiner, den Konkurs in sozialen Netzwerken – und warf Rauch im selben Satz Straftaten vor. Rabensteiner war 2014 als Verwaltungsleiter ins Unternehmen geholt worden, ein Jahr später stieg er freiwillig wieder aus.
„Rauch war damals schon so gut wie pleite“, erzählt ein ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter, „Rabensteiner hat ihm das genauso gesagt.“ Gegenüber ff war der heutige Freiberufler zu keiner Stellungnahme bereit – in seinem Umfeld aber wird man deutlich. Den Entzug der Sad-Konzessionen hätte Rauch Reisen gepackt, heißt es dort, vorausgesetzt, die „Sanierung wäre ordnungsgemäß durchgeführt“ worden. Ein vom Meraner Wirtschaftsprüfer Georg Hesse ausgearbeiteter Sanierungsplan wurde 2015 beschlossen, zu diesem Zeitpunkt war man insbesondere in der Raiffeisenkasse Sarntal nervös geworden. Der damalige Raika-Direktor habe dem Kunden Rauch mehrere Überziehungen der Firmenkonten genehmigt, heißt es bankintern, später folgten Rückstellungen in Millionenhöhe.
Teil des Sanierungsplans: eine deutliche Reduzierung der schwach ausgelasteten Busflotte (Rauch besaß zu diesem Zeitpunkt über 35 Fahrzeuge), ein Rückzug Rauchs aus der Verwaltung sowie die Konzentration auf die wenigen profitablen Unternehmenszweige.
Bereits damals stand Rauch das Wasser bis zum Hals: Mit einer Hypothek musste der Unternehmer erstmals 2013 belegt werden, später folgten Pfändungen durch das Rundfunkunternehmen RMI (Südtirol 1, Radio Tirol) in den Jahren 2014 (37.230 Euro) und 2015 (39.480 Euro). Rauch hatte ab 2010 bis zu einer halben Million Euro jährlich in die Werbung investiert.
In den darauffolgenden Jahren ließ das Reiseunternehmen Thomas Cook Rauch persönlich pfänden (2016 mit 20.600 Euro).
Profitabel war aber Südtirolbus. Das Rauch-Tochterunternehmen wurde am 31. Mai 2010 gegründet, mit dem Ziel, unkomplizierte Flughafentransfers mit Kleinbussen durchzuführen. Bis zu sechsmal täglich bringen die Neunsitzer Fluggäste nach Innsbruck, München, Verona, Bergamo und Mailand.
Ein für Südtirol ehrgeiziges Unterfangen, das von Urlaubsreisenden begeistert aufgenommen wurde – und von Anfang an untrennbar mit dem Namen Rauch verbunden war. Der Sarner spannte seine Familienmitglieder (Mutter, Bruder) als Zubringer ein, arbeitete bis spät in die Nacht an Fahrtenzuteilungen – und focht Konflikte mit seinen Fahrern höchstpersönlich aus.
Hauptgrund: Die „asoziale und sittenwidrige Überbelastung der Fahrer“, wie es in einem internen Beschwerdeschreiben heißt, das ff vorliegt. Anders als klassische Reisebusse müssen sich Fahrer der von Südtirolbus verwendeten Neunsitzer nicht mit personalisierten Chipkarten registrieren – eine elektronische Kontrolle der Fahrt- und Ruhezeiten findet deswegen nicht statt.
Die Folge: Arbeitszeiten von bis zu 80 Stunden pro Woche, Schlafzeiten von teils unter vier Stunden pro Nacht. Eine interne Fahrerzuweisung aus dem Monat Januar, die ff zugespielt wurde, belegt diese Überbelastung eindrucksvoll.
„Man fährt eben, bis man tot umfällt“, sagt ein Fahrer trocken, einen anderen drückte der Sekundenschlaf schon einmal gegen die Leitplanke.
Weitere interne Beschwerden: Busse ohne Lizenzpapiere und Zulassungsscheine, PKW ohne Versicherung oder Kleinbusse mit über einer Million Kilometern auf dem Buckel.
Eine „inakzeptable Zahlungsmoral seitens Thomas Rauch“ (einzelne, bis heute tätige Mitarbeiter hatten Außenstände in Höhe von über 12.000 Euro) dehnte sich im Laufe der Jahre auch auf seine Zubringer im Pustertal aus. Die Konsequenz: Wiederholte Streiks wegen Nichtbezahlung.
Der Bozner Rechtsanwalt Markus Prantl vertritt vier ehemalige Rauch-Fahrer sowie einen Diesel-Lieferanten. Für einen seiner Mandanten, Alois Kröss, beantragte er den Konkursantrag für Rauch Reisen. Die Akten, mit denen Prantl arbeitet, zeigen Zahlungsschwierigkeiten, die bis in die Jahre 2012 und 2013 zurückreichen – vor den Entzug der Subkonzessionen, die Rauch für den Konkurs verantwortlich macht.
Einige Busfahrer, sagt Prantl, wären aufgrund der buchhalterischen Unordnung dazu übergegangen, Einnahmen einfach einzubehalten. Ein Notbehelf, weil über Monate keine Gehälter gezahlt wurden. Das Schlimmste: „Viele wussten überhaupt nicht, bei wem sie eigentlich angestellt sind. Südtirolbus, Rauch Reisen oder doch Tirolbus?
Das Unternehmen Tirolbus wurde am 27. Dezember 2016 gegründet. Es ist das letzte Puzzlestück in einem Firmengeflecht, das sich um die Kommanditgesellschaft Rauch Reisen rankt. Und dabei nicht einmal zu ihr gehört.
Offiziell gegründet wurde das eigenständige Unternehmen von der ehemaligen Rauch-Mitarbeiterin Theresia Pfattner. Gesellschaftskapital: Magere 100 Euro. Tirolbus übernahm sämtliche Unternehmensteile des Südtirolbus-Dienstes, das als „leere Schachtel“ unter dem Dach von Rauch Reisen zurückblieb.
Tatsächlich wurde der Übergang auf die neue Gesellschaft selbst von den meisten Mitarbeitern nicht wahrgenommen. Thomas Rauch arbeite wie gewohnt im Hauptbereich des Unternehmens, Pfattner erfüllte wie gewohnt die Aufgaben einer Hotline-Mitarbeiterin. Ein Manöver, um die Marke Südtirolbus vor dem Konkurs zu retten, nachdem die Bankkonten von Rauch Reisen mit Herbst 2016 gesperrt wurden?
Jedenfalls ist die von Rauch beschworene „transparente Trennung“ der Unternehmensbereiche mit freiem Auge kaum zu erkennen. Rechnungen der Tirolbus werden weiterhin auf Rauch Reisen ausgestellt, Impressum und Mehrwertsteuer lauten auf das bankrotte Unternehmen. Einzelne Fahrer, die Außenstände bei der Rauch Reisen KG anmeldeten, wurden ihrerseits über die Konten der Tirolbus abgespeist.
Selbst die Facebook-Seite der Rauch Reisen bewarb noch Ende Mai die Dienste von Südtirolbus, das, wie Rauch Travel, eine Marke der Rauch Reisen KG ist.
Sorgen macht man sich über derartige Verbindungen insbesondere bei der Europäischen Verbraucherzentrale, wo sich in den vergangenen Wochen Urlaubsreisende meldeten.
Aufgrund teils vierstündiger Verspätungen mehrten sich die Anfragen, ob der „Südtirolbus denn jetzt überhaupt nicht mehr fahre“.
Beraterin Monika Nardo empfiehlt, Zahlungen in jedem Fall mit Kreditkarte zu tätigen, um von einer möglichen Rückerstattung Gebrauch machen zu können.
Tatsächlich prüft Konkursverwalter Burkhard Zozin derzeit, ob die gleichnamige Website weiterhin unter der bekannten Marke operieren darf. Buchungen über die dahinterstehende Tirolbus wären dagegen prinzipiell zulässig – nicht jedoch eine unternehmerische Tätigkeit Thomas Rauchs.
Als Eigentümer einer Kommanditgesellschaft haftet er persönlich für seine Firma und muss eine mehrjährige Auszeit vom Unternehmertum akzeptieren. „Mal schauen, wie es jetzt weitergeht“, sagt Rauch, „sicher ist nur: Ich lasse mich nicht vom Staat durchfüttern.“
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„Ich verliere alles“
Thomas Rauch über seinen Konkurs und ein sonderbares Firmengeflecht.
ff: Herr Rauch, Sie geben dem Unternehmen Sad eine Mitschuld an Ihrem Konkurs. Warum?
Thomas Rauch: Im März 2014 wurden uns aus heiterem Himmel 14 Linien gekündigt, das betraf zu diesem Zeitpunkt zwei Drittel unseres Umsatzes im Busverkehr. Wir haben damals ein Eilverfahren angestrengt und gewonnen, weil die Kündigungsgründe für nichtig erklärt wurden. Leider hat das Gericht den entstandenen Schaden nicht beziffert.
Wie hoch war der Schaden?
Wir schätzen ihn auf vier Millionen Euro.
Gegenüber der Tageszeitung sprachen Sie 2014 von einer Million Euro.
Das war dazumal, bis 2017 sind uns Fahrten entgangen. Durch den Konkurs dürfte der Schaden noch darüber liegen. Hätte die Sad eingelenkt, hätte er sich in Grenzen gehalten. Wir hoffen noch immer auf Gerechtigkeit.
2015 haben Sie eine Sanierung durchgeführt?
Die Banken haben kalte Füße bekommen, weil der Umsatz weggebrochen ist. Der Sanierungsplan sah vor, viele Busse zu veräußern und mehr auf das Reisegeschäft zu setzen. Aber die Wirtschaftskrise hat uns getroffen, Terroranschläge ließen den Tourismus einbrechen, das hat sich immer mehr zugespitzt. Und dann ist uns die Luft ausgegangen.
Wer sind Ihre Gläubiger?
Hauptsächlich Banken und Leasinggesellschaften, aber viele Schulden sind mit Hypotheken auf Immobilien besichert. Wir haben zwei Hallen gekauft, in Kaltern und Eppan. Mal schauen, ob diese verkauft werden können.
In der Raiffeisenkassa Sarntal soll es Rückstellungen in Höhe von 2,5 Millionen Euro geben. Trifft das zu?
Rückstellungen wurden gemacht, in welcher Höhe, weiß ich nicht. Ich glaube nicht, dass das nur meine Position betrifft.
Warum existieren mit der „Südtirol Bus GmbH“, „Tirol Bus Vereinfachte Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ und der „Rauch Reisen KG“ drei verschiedene Unternehmen?
Südtirolbus wurde 2010 für die Flughafendienste gegründet, aber wir haben gemerkt, dass es ungeschickt ist, das mit zwei Gesellschaften zu führen. Jetzt ist es nur mehr eine Marke, die eigentlich unternehmensunabhängig ist. Eine Mitarbeiterin hat sich im Januar selbstständig gemacht und führt jetzt die Südtirolbus als Tirolbus weiter.
Sie haben sich zurückgezogen?
Nein, ich bin jetzt Angestellter der Tirolbus, sie macht eher das Front Office mit den Kunden. Ich bin für den Fuhrpark, die Einteilung und den ganzen Rest zuständig.
Im Impressum steht Ihr Name, Rechnungen werden auf Rauch Reisen ausgestellt. Warum?
Ein Softwarefehler, die Umprogrammierung wurde schon in Auftrag gegeben. Das müsste in diesen Tagen erfolgen.
Südtirolbus ist eine Marke der Rauch Reisen. Warum werden unter dem Namen noch immer Fahrten verkauft?
Das ist mit dem Konkursverwalter zu klären. Sollte das ein Problem sein, wird man die Marke eben in „Airport-Shuttle“ oder „Südtirol-Shuttle“ umbenennen.
Was bedeutet der Konkurs für Sie persönlich?
Ich komme voll zum Handkuss und verliere im Prinzip alles, was ich habe. Mein Hof geht drauf, aber es gibt Schlimmeres im Leben. 20 Jahre meines Lebens habe ich geopfert.
Haben Ihre Familienmitglieder Haftungen übernommen?
Nein, so weit betrifft es nur einen kleinen Anteil meines Vaters. Die Situation ist so schon schlimm genug.
Wie geht es für Sie jetzt weiter?
Ich gehe erhobenen Hauptes. Ich habe nie krumme Geschäfte gemacht, immer hart gearbeitet. Jetzt schließe ich das ab und werde mir dann eine Auszeit gönnen. Vielleicht gehe ich als Entwicklungshelfer für ein paar Monate nach Afrika oder suche mir ein anderes Angebot.
Interview: Anton Rainer
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