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Aus ff 10 vom Donnerstag, den 08. März 2018
In Südtirol gibt es 31 Häuser, die 1.650 Flüchtlinge beherbergen. Das kostet die öffentliche Hand rund 20 Millionen Euro pro Jahr. Wer davon profitiert.
Martha Stocker fühlt sich heute nicht besonders gut. Ihre Augen blicken müde, ein starker Kaffee soll helfen. Es ist ein Freitagvormittag Anfang März. Sie eilt von Termin zu Termin, hat keine Zeit, sich auszuruhen.
Gestern Abend war sie in der ehemaligen Werkstatt der Einaudi-Schule in Bozen, die zu einer Unterkunft für Flüchtlinge umfunktioniert worden ist. Rund hundert Menschen finden hier Unterschlupf, für sie gab Soziallandesrätin Stocker die Lehrerin – so wie früher, als sie an der Oberschule unterrichtete.
Es geht um Geschichte, Werte der Verfassung, Kultur und Traditionen. Martha Stocker spricht dabei ein einfaches Englisch, sodass die Menschen sie verstehen. Am Ende sagt sie Sätze oder Wörter auf Italienisch oder Deutsch vor, die ihre Zuhörer nachsprechen sollen. „Freiheit“ ist eines der Wörter.
Der Drang nach Freiheit hat viele dieser Menschen nach Europa gespült, dazu der Wunsch nach Frieden, nach einem besseren Leben. Sie kommen aus Gambia, Eritrea oder Nigeria.
In Südtirol haben sie Asyl beantragt. Insgesamt befinden sich derzeit etwa 1.650 Flüchtlinge hier, sie leben in 31 Häusern, über das Land verteilt. Das kostet die öffentliche Hand rund 20 Millionen Euro pro Jahr. Aber wer profitiert eigentlich davon?
Da sind zunächst einmal die Organisationen, die die Flüchtlinge betreuen: der Verein Volontarius und dessen Genossenschaft River Equipe, die Caritas der Diözese, das Weiße und das Rote Kreuz sowie die Spes GmbH, eine Tochterfirma der Sozialgenossenschaft Eos, die von der Dolomiten-Managerin des Jahres, Barbara Pizzinini, geleitet wird.
Diese Organisationen teilen sich die rund 17 Millionen Euro, die es dafür gibt, untereinander auf. Für jeden Asylsuchenden zahlt der Staat 28 Euro pro Tag, das macht rund 10.000 Euro pro Kopf und Jahr. Wer also 85 Menschen betreut wie etwa die Spes GmbH, erhält dafür jährlich rund 850.000 Euro.
Die meisten Asylsuchenden haben der Verein Volontarius und seine Genossenschaft River Equipe unter ihren Fittichen: 820 Menschen, wenn die Häuser voll ausgelastet sind. Daneben betreut Volontarius auch den Infopoint in der ehemaligen Landesmensa in der Rittner Straße in Bozen. Für all diese Dienste fließen etwa 8,5 Millionen Euro pro Jahr in die Kassen von Volontarius/River Equipe.
Ein gutes Geschäft? Soziallandesrätin Stocker verneint: Mit diesem Geld müssten sämtliche Kosten abgedeckt werden. Von den täglich 28 Euro werden 2,50 Euro als Taschengeld an die Asylsuchenden weitergegeben. Können oder müssen sie ihr Essen selbstständig zubereiten, erhalten sie 8 Euro pro Tag, die ebenfalls von den 28 Euro abgezwackt werden.
Mit dem restlichen Geld müssen die Organisationen die Flüchtlinge auf das Leben danach vorbereiten: Sprachkurse, Arbeitssuche, Gespräche bei der Asylkommission. Dazu kommt die tägliche Betreuung. „Damit“, sagt Stocker, „ist kein Geschäft zu machen.“ Das Leben danach kann bei manchen in wenigen Wochen beginnen, bei anderen in Monaten. So ein Asylverfahren dauert 15 bis 20 Monate, oft auch länger. So lange dürfen die Menschen in den Häusern bleiben, danach müssen sie gehen.
Wer Asyl oder einen Schutzstatus erhält (etwa 40 Prozent), darf noch 6 Monate in den Häusern bleiben. Menschen, die Asyl erhalten, sind Inländern gleichgestellt – sie haben Anrecht auf Arbeit, Wohnung und die Grundsicherung.
Wer keinen Schutzstatus erhält (etwa 60 Prozent), muss innerhalb 30 Tagen die Häuser und das Land verlassen. Die meisten von ihnen aber bleiben und tauchen unter. Soziallandesrätin Stocker spricht von einer der „größten Herausforderungen für die nächsten Jahre“.
Zurück zum Geld. Neben den Organisationen erhalten auch jene Geld, die Häuser und Hallen für die Betreuung von Flüchtlingen zur Verfügung stellen.
Das Land rechnet mit einer Miete von „nicht mehr als 4 Euro pro Person und Tag“. Das sind 1.460 Euro pro Jahr. Für die 1.650 Asylsuchenden ergibt das eine Jahresmiete von 2,4 Millionen Euro. Wobei: Die meisten Unterkünfte stehen im Eigentum von Land und Staat, die sie unentgeltlich zur Verfügung stellen. Das tut auch der Kraftwerksbetreiber Hellmuth Frasnelli: In seinem Zeilerhof in Bozen wohnen 40 Asylsuchende.
Andere, wie zum Beispiel Bautycoon Pietro Tosolini, kassieren die vom Land vorgesehene Miete. Tosolini erhält für die Halle des früheren Alimarket eine Jahresmiete von 573.000 Euro.
197.000 Euro pro Jahr nimmt die Bäckerei Lemayr GmbH ein, die die alte Backstube als „Flüchtlings- und Obdachlosenzentrum“ hergibt. Die GmbH gehört der Bäckereifamilie Pellegrini.
Edith Pernter, Ex-Frau von Athesia-Boss Michl Ebner, und Helga Pernter stellen in Auer ein Gebäude für 40 Flüchtlinge zur Verfügung. Das Land überweist dafür eine Jahresmiete von 78.000 Euro. In Leifers vermietet das „Paritätische Komitee im Bauwesen“ ein Haus in der Nobelstraße. Für 44.000 Euro pro Jahr.
Unter den Vermietern findet sich auch die Landesenergiegesellschaft Alperia (Barbian, 33.000 Euro pro Jahr), der Deutsche Orden (Ritten, 34.000 Euro), die Fotografenfamilie Tappeiner (Lana, 58.000 Euro) und einige weitere Privatpersonen (siehe Grafik).
„Die bezahlten Mieten sind nicht besonders großzügig“, sagt Martha Stocker. Sie belaufen sich in der Regel auf nicht mehr als 1.460 Euro pro Jahr. Dies sei weniger, als im Trentino bezahlt wird, obwohl hierzulande die Wohnungs- und Mietpreise deutlich höher sind. Außerdem würden die Vermieter oft angefeindet, einige haben wegen öffentlichen Drucks bereits angebahnte Verträge platzen lassen.
Die einzigen echten Profiteure der Flüchtlingskrise sind für die Soziallandesrätin die Schlepperbanden. Sie kassieren viel Geld für die illegalen Transporte über Länder, Meere und Grenzen. Ohne Rücksicht auf Verluste. „Sonst“, ist sich Martha Stocker sicher, „profitiert niemand.“
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