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Wirtschaft
Stillstehen gilt nicht
Aus ff 12 vom Donnerstag, den 19. März 2020
Wer denkt, dass Südtirols Unternehmen ihren Betrieb eingestellt haben, irrt. Lageberichte aus dem Maschinenraum der Wirtschaft des Landes.
Patrick Danielsson
37, Geschäftsführer (CEO) von Technoalpin – Beschneiungsanlagen, 730 Mitarbeiter, Sitz: Bozen
In China, wo das Virus zuerst ausgebrochen ist, habe ich zehn Jahre lang gearbeitet. Das war eine schöne Zeit für mich. Daher hat mich das Schicksal der Menschen dort sehr berührt. Nun ist das Virus auch hier bei uns – es ist eine sehr schwierige Zeit.
Auch für unser Unternehmen. Zuerst hat es unsere chinesische Tochterfirma getroffen. Dort haben wir rund 50 Mitarbeiter, sie mussten alle zu Hause bleiben, ein Teil von ihnen ist noch immer in Quarantäne. Zum Glück hatte von ihnen niemand die Krankheit.
Nun hat sich die Lage in China wieder etwas entspannt. Die meisten Mitarbeiter sind zurück im Büro und wir sehen Licht am Ende des Tunnels. Langsam kehrt wieder eine gewisse Normalität ein. Auch die Kunden kehren wieder zurück an die Arbeitsplätze, das ist ein gutes Zeichen.
China hat es geschafft, das Virus mit drastischen Maßnahmen unter Kontrolle zu bringen. Das jedenfalls ist mein Eindruck und der unserer Mitarbeiter in China. Das lässt auch für Italien und Europa hoffen – mit Solidarität, Verantwortungsbewusstsein und gutem Mut sollte es möglich sein, die Krise bald zu überwinden.
In unserem Hauptsitz in Bozen arbeitet derzeit etwa ein Drittel der Mitarbeiter, der Rest macht entweder Homeoffice oder ist im Urlaub. Unsere Arbeit ist merklich zurückgegangen, da unsere Kunden – die Skigebiete – bereits die Saison beendet haben oder sie demnächst beenden werden.
Selbst in den USA, schätze ich, werden die Skigebiete vorzeitig schließen. Das ist ein herber Schlag für uns. Was dazu kommt: Einige unserer Kunden sind an der Börse quotiert. Zum Beispiel die Vail-Gruppe des gleichnamigen Skigebiets in den USA. Sie musste in den vergangenen Tagen empfindliche Börsenverluste hinnehmen und den Betrieb in den Skigebieten einstellen. Das wird sich negativ auf die Investitionen in den nächsten Monaten und Jahren auswirken.
Wir sind noch operativ, aber wir müssen uns zusehends einschränken. Zum Glück sind wir auf unseren wichtigsten Märkten stark aufgestellt, etwa in Österreich, der Schweiz, Frankreich oder auch in China. Das hat den Vorteil, dass wir derzeit nicht hinfahren brauchen, sondern uns auf unsere guten Leute vor Ort verlassen können.
Bis jetzt funktioniert das Homeoffice gut. Es ist ja noch ein Experiment, das seit einer Woche läuft. Vorher haben zwar einzelne Mitarbeiter von zu Hause aus gearbeitet, aber die waren eher die Ausnahme. Wir betreiben ein produzierendes Gewerbe, daher sind solche Lösungen nicht so einfach.
Wie schnell wir uns von dieser Krise erholen können? Das ist schwer vorherzusagen. Ich denke, je mehr sich alle an die Maßnahmen der Regierung halten, desto schneller kann die Pandemie gestoppt werden. Und desto schneller werden wir uns auch wirtschaftlich wieder erholen.
Kurzarbeit ist aktuell nicht geplant. Wir versuchen jetzt erst einmal, die Überstunden abzubauen, Urlaube zu nutzen und bauen auf das Verständnis der Mitarbeiter. Auf alle Fälle möchten wir verhindern, unsere Belegschaft zu reduzieren. Unsere Mitarbeiter sind unser teuerstes Gut.
Michael Oberhofer
39, Inhaber und Geschäftsführer von Brandnamic – Hotel-Marketing-Agentur, rund 120 Mitarbeiter, Sitz: Pairdorf bei Brixen
Wir haben mehr als 120 Mitarbeiter, normalerweise pulsiert der Brandnamic-Campus hier in Pairdorf oberhalb von Brixen vor lauter Leben. Das ist wunderschön. Jetzt ist es still im Haus. Wir haben vor zwei Wochen damit begonnen, alle nach Hause ins Homeoffice zu schicken. Das hat gut geklappt.
Wir haben Erfahrung mit Homeoffice, da wir Mitarbeiterinnen haben, die das bereits seit längerem nutzen. Landauf, landab müssen die Betriebe ihre Mitarbeiter nun ins Homeoffice schicken. Was bisher nur schwer möglich war, schafft ein Virus innerhalb von wenigen Wochen.
Unsere Teamleiter sind täglich mit den Mitarbeitern in Kontakt. Für die Kommunikation nutzen wir das hauseigene Intranet, Emails, Telefon, für Videokonferenzen Google-Meet und für schnelle Nachrichten Whats-App. Das funktioniert gut. Wir sind uns aber dessen bewusst, dass die Produktivität dadurch auch sinken kann. Dennoch: Sowohl die Mitarbeiter als auch die Kunden sind uns für diesen Schritt dankbar.
Wir sind eine Hotel-Marketing-Agentur. Viele könnten nun glauben, dass wir, da die meisten unserer Kunden den Betrieb einstellen mussten, nichts mehr zu tun haben. Das ist nicht der Fall. Wir arbeiten mindestens gleich viel wie vorher. Unsere Kunden fragen uns, wie sie etwa mit den Stornobedingungen verfahren sollen. Oder was sie tun können, um nach der Viruskrise schnell wieder auf die Beine zu kommen. Dabei helfen wir unseren Kunden, wir beraten sie, wir stehen ihnen zur Seite. Insofern sind wir schon auch ein bisschen Seelsorger.
Arbeiten hilft immer, daher sind wir froh, dass wir genug zu tun haben. Arbeit lenkt ab, Arbeit schafft Zufriedenheit. Wir versuchen, so gut es geht, unsere Mitarbeiter zu beschäftigten. Sollte die Arbeit in den nächsten Wochen weniger werden, müssen wir schauen, was wir tun.
Eine Prognose, ob wir alle Mitarbeiter werden halten können, wage ich nicht zu treffen. Ich bin aber zuversichtlich. Erstens haben wir derzeit genug Arbeit, zweitens gibt es auch die Möglichkeit, Überstunden abzubauen oder in Urlaub zu gehen.
Wichtig ist jetzt, dass wir alle gemeinsam danach trachten, das Virus einzudämmen. Italien macht es vor, die Italiener bleiben zu Hause, Europa zieht nun langsam nach. Das Problem betrifft uns alle. Die ganze Welt. Wir müssen Zeit gewinnen, bis es Impfstoffe und Arzneien gibt. Dann bin ich sicher, dass wir gut aus dieser unguten Sache heraus kommen.
Die Viruskrise hat auch eine gute Seite. Nach dem ganzen Weiter, Größer, Schneller, hält die Gesellschaft ein, schnauft durch, besinnt sich auf die eigentlich wichtigen Dinge. Meine Hoffnung ist, dass wir nach dieser Krise alle wieder ein bisschen zufriedener sind.
Evelyn Kirchmaier
37, Generaldirektorin und Mitinhaberin von Markas – Reinigung, Verpflegung, Patiententransport, Housekeeping, Facility, fast 10.000 Mitarbeiterinnen, Sitz: Bozen
Das Virus hat uns alle überrascht. Als wir vor zwei Monaten das Budget abgesegnet haben, wurde eine Krise von diesem Ausmaß natürlich nicht mit einkalkuliert. Die Ziele, die wir uns als Unternehmen gesteckt haben, werden wir dieses Jahr entsprechend nicht erreichen.
Wir beschäftigen knapp 10.000 Mitarbeiterinnen in Europa, wo wir unsere Dienstleistungen großen öffentlichen und privaten Kunden anbieten, also Krankenhäusern, Heimen, Schulen, Universitäten und, Hotelgruppen und Unternehmen.
Vor allem im Bereich Food erleben wir durch die Schließung von Schulen, Universitäten und Unternehmen einen riesigen Einbruch, weil natürlich auch die dortigen Mensen geschlossen wurden. Dies bedeutet für Markas einen Rückgang des monatlichen Gesamtumsatzes von 30 bis 40 Prozent. Und dies hat Auswirkungen auf rund 1.300 unserer Mitarbeiter in Italien, die nicht mehr zur Arbeit gehen können und bereits aus dem Ausgleichsfonds FIS bezahlt werden.
Fast gegen Null geht auch unser Umsatz im Bereich Housekeeping, zu Deutsch „Zimmerservice“, den wir hauptsächlich in großen Stadthotels übernommen haben. Da die Hotels nun geschlossen sind, fällt auch das Housekeeping flach – für uns geht es um rund 10 Millionen Euro Jahresumsatz.
Ganz anders ist es in unserem wichtigsten Geschäftsfeld, der Reinigung. Wir sind hauptsächlich in Krankenhäusern tätig, unter anderem auch in jenen von Alzano, Lodi, Bergamo oder Crema. Das sind die Krankenhäuser im Zentrum der Pandemie in Italien. Das bedeutet für unser Unternehmen aber keinen zusätzlichen Umsatz, sondern eine enorme zusätzliche Belastung unserer Reinigungskräfte.
Unsere Mitarbeiterinnen kämpfen Tag für Tag gemeinsam mit Ärztinnen und Pflegerinnen darum, diese Krankenhäuser am Laufen zu halten. Das ist extrem belastend für alle. Handschuhe, Masken, Schutzkleidung für unsere Leute sind immer schwieriger zu bekommen. Dazu kommt das belastende Umfeld, das unseren Mitarbeiterinnen zu schaffen macht, die seit Wochen andauernde Ausnahmesituation, die vielen Toten.
Unsere Mitarbeiterinnen in diesem Bereich leisten zurzeit mitunter Übermenschliches, sie sind am Anschlag. Wie lange sie das noch durchhalten können, weiß ich nicht. Von Bozen und den anderen Firmensitzen in Italien aus, versuchen wir sie zu unterstützen, und mit allem zu versorgen, was sie brauchen.
Seit Samstag haben wir in diesem Sinne auch eine telefonische Hotline eingerichtet, an die sie sich kostenlos und anonym wenden können, wenn sie das Erlebte besprechen wollen. Sie erhalten dann psychologische Betreuung von ausgewiesenen Experten.
Die aktuelle Situation ist für uns und unser Personal schwierig und herausfordernd. Dazu kommt, dass wir jene Mitarbeiterinnen, die im Bereich Mensadienste oder Housekeeping bei uns tätig sind, nicht im Bereich Reinigung einsetzen können, wo wir dringend Ressourcen benötigen. Dies ist aufgrund der unterschiedlichen Kollektivverträge in den einzelnen Bereichen nicht möglich. Während die einen also am Limit arbeiten, müssen die anderen in den Lohnausgleich.
Jetzt hoffen wir, dass die Maßnahmen der Regierung innerhalb der nächsten Tage greifen und eine Trendumkehr bei den Neuinfektionen eintritt. Das wäre vor allem für die Mitarbeiterinnen ein Hoffnungsschimmer auf Erleichterung.
Hans-Peter Dejakum
56, Unternehmenssprecher und Marketingleiter von Loacker – Süßwaren, Waffeln und Schokoladespezialitäten, 1.075 Mitarbeiter, Sitz: Unterinn am Ritten
ff: Wie wirkt sich das Virus auf den Absatz aus?
Hans-Peter Dejakum: Derzeit können wir beruhigend mitteilen, dass wir absatzmäßig in den internationalen Märkten nach wie vor ein gutes Geschäftsgebaren aufweisen können. Wir haben uns sogleich nach Bekanntwerden der Regierungsmaßnahmen mit unseren wichtigsten Partnern in der Welt abgestimmt und versucht, den Lageraufbau zu fördern, um eventuelle Ausfälle in der Zukunft präventiv abzufangen.
Wie sieht es in Italien aus?
In Italien ist die Situation eine ständige Herausforderung, vor allem die Lieferkette. Wir unternehmen aber alles, um die Beschaffungs-, Produktions- und Vertriebslogistik aufrecht zu erhalten.
Ist die Nachfrage nach Süßwaren und Keksen hierzulande eingebrochen?
Nein. In den klassischen Verkaufskanälen wie Supermärkten oder Discountern läuft alles geordnet. Schwierig bis gar nichts mehr geht aufgrund der angeordneten Geschäftsschließungen in den alternativen Kanälen wie etwa Bars. Aber wir können sehr positiv feststellen, dass in Italien durch den verpflichtenden Aufenthalt vieler Menschen zu Hause der Konsum sogar ansteigt.
Um wie viel steigt der Konsum?
Frische Verkaufszahlen zeigen auf, dass der Umsatz von „Pasticceria“ um rund 40 Prozent steigt – dort sind neben Keksen auch unsere Kernprodukte Waffeln und Feingebäck gemeint.
Ihre Mitarbeiter haben also alle Hände voll zu tun?
Ja, das können wir so bestätigen. Derzeit können wir vermelden, dass Produktion, Logistik und somit die gesamte Wertschöpfungskette gut funktionieren. Wir haben alle angewiesenen Vorsichtsmaßnahmen in allen Standorten umgesetzt und tun soweit alles, um die Produktion und die Auslieferungen in allen Werken auch weiterhin gewährleisten zu können.
Arbeiten einige auch von zu Hause aus?
Wir haben vergangene Woche das Homeoffice hochgefahren. Zum Beispiel arbeiten die meisten Mitglieder der Geschäftsleitung von zu Hause aus. Darunter auch ich. Das war zwar anfänglich gewöhnungsbedürftig, wird aber jeden Tag besser. Insgesamt sind 38 Prozent der Mitarbeiter der Verwaltung im Homeoffice. Unsere IT-Abteilung setzt weiterhin alles daran, auch für jene Mitarbeiter Lösungen zu finden, die bis heute noch keine Möglichkeit zum digitalen Einstieg von zu Hause hatten.
Sind auch Mitarbeiter in Kurzarbeit oder Quarantäne?
Zum Glück nicht. Nur im Retailbereich haben wir aufgrund des Ministerialdekrets die Schließung der Loacker-Stores in Italien umgesetzt. Diese Mitarbeiter arbeiten zum Teil von zu Hause aus oder werden wo möglich anderweitig beschäftigt.
Ihr Ausblick in die Zukunft?
Für uns ist der Ausblick hoffnungsvoll, doch vorsichtig agierend stellen wir uns darauf ein, dass diese Ausnahmesituation noch einige Wochen anhalten wird. In der Geschäftsleitung stimmen wir uns inhaltlich täglich dazu ab. Ich traue mich zu sagen, und das gilt nicht nur für unser Unternehmen, sondern für uns alle: Wir schaffen das!
Notiert von Karl Hinterwaldner
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