Mit der Coronapandemie sind Desinfektionsmittel knapp geworden. Die Meraner Obstgenossenschaft Cafa produziert welche – aus Solidarität.
Wirtschaft
Chiuso – geschlossen
Aus ff 13 vom Donnerstag, den 26. März 2020
Seit 12. März sind Bars, Restaurants, Geschäfte, Friseursalons und Fitnessstudios geschlossen. Wie lange halten die Betriebe das aus.
Es ist 11 Uhr vormittags, Andreas Amort und Gerhard Stecher sitzen in ihrem Wohnzimmer. Normalerweise stünden die beiden, die privat ein Paar sind, um dieser Zeit in ihrem Restaurant. Amort ist Geschäftsführer der Haselburg hoch über Bozen, Stecher führt das traditionsreiche Hotel Post in Bruneck.
Seit dem 12. März aber sind ihre Betriebe geschlossen. Einzelhandelsgeschäfte, Friseurläden, Bars, Pubs und Restaurants in Italien mussten im Zuge der Coronakrise schließen. In Südtirol sind laut Kaufleuteverband HDS 3.700 Einzelhandelsbetriebe und 3.850 Gastrobetriebe betroffen.
Amort und Stecher arbeiten seither im Krisenmodus von zu Hause aus. Vor allem, um Lösungen für ihre Mitarbeiter zu finden. Die zehn fest angestellten Mitarbeiter der Haselburg sind erst einmal in Urlaub. „Kritisch wird es, sobald die Urlaube aufgebraucht sind“, sagt Amort. „Dann wird zwar die Lohnausgleichskasse greifen, unsere Mitarbeiter werden aber nur noch einen Bruchteil verdienen.“ Für manche werde es hart. Eine Mitarbeiterin beispielsweise habe erst vor kurzem ein Haus gebaut, eine andere müsse ihr neues Auto abbezahlen.
Von brenzligen Situationen wie diesen erzählt auch Gerhard Stecher. Erst im Juni hat das Hotel Post das neue Restaurant Cosmo eröffnet. Einige der 30 Mitarbeiter haben kaum Urlaub angereift, viele nur einen saisonalen Arbeitsvertrag. Auf ihren Wunsch wurden jetzt die Verträge verkürzt. So können sie zumindest um Arbeitslosengeld ansuchen. „Mitarbeiter aus dem Ausland fielen zunächst in totale Panik“, sagt Stecher, „sie hatten Angst, Italien nicht mehr verlassen zu dürfen. Tatsächlich durfte ein Mitarbeiter aus Indien nicht mehr ausreisen, das war herzzerreißend.“
Auch Andreas Amort bewegt das Schicksal der über 20 freien Mitarbeiter, die bei Hochzeiten oder Firmenevents auf der Haselburg einspringen: „Sie haben null Absicherung, weder Anspruch auf Lohnausgleichskasse noch auf ein Arbeitslosengeld. Eine Studentin hat mich verzweifelt angerufen, sie weiß nicht, wie sie ihre Miete bezahlen soll. Unsere Events waren ihre einzige Einnahmequelle.“
Für April und Mai, den umsatzstärksten Monaten des Jahres, wurden alle Events abgesagt. So auch die Hochzeit eines deutschen Paars am 4. April. „Ein richtig großes Ding mit 180 Gästen“, sagt Amort. Ersatztermin gibt es keinen. Niemand könne im Moment abschätzen, „wann wir wieder zur Normalität zurückkehren und ob man sich dann eine Hochzeit überhaupt noch leisten kann.“
Ähnlich die Situation bei Christian Pupp. Gemeinsam mit seiner Frau Simona führt er in vierter Generation die Konditorei Pupp in Brixen. Ein altehrwürdiger Betrieb mit zehn Mitarbeitern, gegründet im Jahr 1918. Jetzt sind alle in Zwangsurlaub. „Natürlich sind manche besorgt, wie es weitergeht“, sagt der 46-jährige Konditor. „Schließlich müssen einige Darlehen tilgen oder Miete bezahlen. Soweit möglich, werde ich immer hinter ihnen stehen.“ Opfer, davon ist er überzeugt, werden alle bringen müssen. Aus den drei Wochen Betriebsferien im Sommer wird wohl nichts. Jetzt heißt es zusammenhalten, Zähne zusammenbeißen.
Ebenfalls im Urlaub sind die vier Mitarbeiter von Hermann Nussbaumer. Der Sarner Friseur betreibt seit sieben Jahren den Friseursalon Resurrection in der Bozner Innenstadt. Wie lange sein Laden geschlossen bleibt, kann er nicht abschätzen. Aktuell geht die Schließung bis zum 3. April. Er ist aber Realist und glaubt, dass es zu einer Verlängerung kommt. Er sagt: „Einen Monat ohne Einnahmen halte ich aus, mit Unterstützung der Bank vielleicht auch zwei. Aber dann wird es knapp, schließlich habe ich an die 9.000 Euro Fixspesen im Monat.“ Jetzt versucht er, sich als Krisenmanager. All den Kunden, die in nächster Zeit einen Termin für Schneiden, Färben oder Föhnen hatten, sagt er persönlich ab: „Das bin ich ihnen schuldig. Viele rufen verzweifelt an und wissen bereits jetzt nicht mehr, wie sie ihre Haare in Form bringen sollen.“
Melanie Mumelter befindet sich in einer etwas privilegierteren Situation. Vor genau einem Jahr hat sie den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und in Frangart das Fitness- und Sportstudio „MM FitLab“ eröffnet. Seit 12. März steht die Start-up-Unternehmerin und Sportwissenschaftlerin ohne Einkommen da. „Mein großes Glück ist, dass ich keine Mitarbeiter beschäftige und nur geringe Fixkosten habe“, sagt sie. „Da ich mich bei meinem Vater eingemietet habe, fällt die Miete sehr familienfreundlich aus. Zudem gibt es im Moment keine Nebenkosten für Heizung oder Strom. Bis auf Lebensmittel habe ich also keine Ausgaben.“
Die Krise versucht sie bestmöglich zu überbrücken, nur herumsitzen liegt ihr nicht. Jetzt versorgt sie ihre Kunden zwei Mal die Woche mit Trainingsvideos. Das kostenpflichtige Angebot kommt gut an. „Gerade jetzt, wo wir alle zuhause sind, steigt das Bedürfnis nach körperlicher Betätigung, auch um die innere Balance zu halten. Überraschenderweise komme ich gerade total runter und bin, anders als erwartet, noch in keine hysterisch-depressive Krise verfallen“, sagt Mumelter.
Sie nutzt die freie Zeit und absolviert online eine Zusatzausbildung zur Ernährungsberaterin für Sportler. Wie lange die Durststrecke anhält, kann sie noch nicht abschätzen. Genausowenig, ob sie im kommenden Jahr die geplanten Investitionen ins Studio realisieren kann. „Das hat im Moment keine Priorität, Hauptsache es gelingt uns, das Virus zu stoppen“, sagt sie.
Gerhard Stecher ist besorgt. Der Geschäftsführer des Hotels Post fragt sich immer öfter, was ist, wenn die Schließung bis zu acht Wochen andauert. „Es wird ewig dauern, bis der Tourismus wieder richtig anläuft“, sagt er. „Für April und Mai haben wir keine einzige Buchung.“ Sein Partner Andreas Amort blickt optimistischer in die Zukunft. Er hofft, dass in einem Monat alles vorbei ist. Die Krise sieht er als Chance: „Wir werden uns wieder glücklich schätzen, dass Gäste nach Südtirol auf Urlaub kommen.“
Von einer persönlichen Chance spricht Friseur Hermann Nussbaumer. Er ist überzeugt: Seine Kunden werden nach der Wiederöffnung großen Nachholbedarf haben. „Ich kann mir vorstellen, dass meine Kunden bis dahin lange Haare haben und jeder, der mich kennt, weiß: Ich liebe Kurzhaarschnitte.“ Die Arbeitsweise, ist er überzeugt, werde sich verändern. Zumindest zu Beginn hält er es für möglich, dass Friseure mit Schutzmasken arbeiten.
Das vermutet auch Christian Pupp für seine Konditorei: „Wir werden noch sauberer arbeiten und noch öfter die Hände desinfizieren, aber damit kann ich sehr gut leben.“ Er rechnet damit, dass sein Betrieb frühestens Ende April wieder öffnen darf. Diese schwierige Phase werde er finanziell überstehen. „Wir haben die vergangenen Jahre keine großen Investitionen getätigt und verfügen über ein Polster. Zudem war 2019 eines der umsatzstärksten Jahre überhaupt. Aber leider wird die Krise viele Betriebe finanziell zerstören“, sagt er.
Er hofft, dass die Politik Rückgrat zeigt und auch die kleinen Betriebe unterstützt. „80 Prozent der italienischen Betriebe haben keine Reserven, kämpfen sich von Monat zu Monat. Wie sollen sie die aktuellen Ausfälle jemals wieder aufholen?“, fragt sich der 46-Jährige. Trotzdem werde die Zeit alle Wunden heilen.
„Und je schneller wir das Virus in den Griff bekommen“, sagt Christian Pupp, „desto eher können wir unsere Betriebe wieder öffnen. Deshalb: Bleibt jetzt zu Hause!“
Verena Pliger
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