Wirtschaft

Flasche voll, Kasse leer

Aus ff 17 vom Donnerstag, den 23. April 2020

Weinabfüllung
Was tun die Kellereien, wenn der Keller voll ist und im Herbst schon die neue Ernte eingefahren wird (im Bild die Weinabfüllung? Produktion um gut 30 Produzent drosseln, auch um den Preisverfall zu verhindern. © Alexander Alber
 

Die Umsätze der Südtiroler Weinproduzenten sind stark eingebrochen. Die Folgen von Corona werden Kellereien und Weinbauern noch länger begleiten.

Der Weinmacher Martin Foradori liebt die direkte Ansprache. Er ist deshalb nicht bei allen beliebt. „In den vergangenen Jahren“, sagt er, „war ich mehr Bürohengst als Arbeitshengst“. Der Martin, lästert ein Kollege, arbeitet jetzt wieder mit den Händen.

Foradori ist Inhaber der Kellerei „Hofstätter“ in Tramin – mit Gunstlage am Dorfplatz. Von den Lagen in Mazzon oberhalb von Neumarkt kommt der Blauburgunder, von der Mosel der Riesling. 850.000 Flaschen Wein produziert Foradori im Jahr, er bewirtschaftet 50 Hektar Rebfläche, aber auch einige seiner Arbeiter sind jetzt in Lohnausgleich. Beim Telefon­gespräch mit Foradori hört man im Hintergrund die Vögel zwitschern, mit seinem Sohn arbeitet er gerade in Mazzon, sie tragen Steine aus dem Weinberg.

70 Prozent seiner Produktion verkauft die Kellerei „Hof­stätter“ in Italien, in erster Linie an Restaurants, Hotels und Vinotheken, ein paar Flaschen in den Supermärkten – wie fast alle Südtiroler Wein- und Sektproduzenten. „Im März und April“, erzählt Martin Foradori, „ist unser Umsatz fast auf null gesunken“. Und er fügt hinzu: „Es wird heuer in der Südtiroler Weinwirtschaft einen ordentlichen Brenner tun.“

Was bedeutet dieser „Brenner“ für die Südtiroler Weinwirtschaft, für Kellereigenossenschaften, Privatkellereien und freie Weinbauern? Sind alle gleichermaßen von der Schließung der Hotels, Gasthäuser und Weinhandlungen betroffen? So viel steht jetzt schon fest: Die große Mehrzahl wird erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen müssen. Die Produzenten wie auch die Bauern, die die Kellereien beliefern und in den vergangenen Jahren dafür ordentlich entlohnt wurden.

Eduard Bernhart schnauft tief durch, bevor er antwortet. Er sitzt allein in seinem Büro und zerbricht sich den Kopf darüber, wie man jetzt den Südtiroler Wein unter die Leute bringen kann und was zu tun ist, wenn die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden. Das Frühjahr ist auch die Zeit der großen Weinmessen, bei denen der neue Jahrgang vorgestellt wird. Vinitaly, Düsseldorf Wein: alle Messen abgesagt. Man versucht es also mit Onlinebestellungen, mit Verkostungen im Internet – „digital tasting“, mit Videokonferenzen unter Fachleuten. Doch der Verkauf von Wein hängt stark von geselligen Momenten, vom sozialen Miteinander ab. „Die Umsätze“, sagt Bernhart, „sind massiv eingebrochen, bei manchen bis zu 100 Prozent.“ Bernhart ist Direktor des Konsortiums Südtirol Wein mit 180 Mitgliedern. Unter diesem Dach haben sich Genossenschaften, Private und freie Weinbauern zusammengefunden – nicht immer konfliktfrei.

Die Südtiroler Weinwirtschaft in Zahlen. Umsatz: 320 Millionen Euro; Produktion: 40 Millionen Flaschen – 320.000 Hektoliter; Rebfläche: gut 5.400 Hektar – davon 60 Prozent Weißwein; Anbauer: gut 5.000. „Wir sind“, sagt Stefan Filippi, der Kellermeister der Kellerei Bozen, „alle südtirollastig und tourismuslastig.“ 25 Prozent Absatz im Ausland, 50 in Südtirol, 25 im restlichen Italien. Lagrein und Magdalener werden zu 80 Prozent in Südtirol getrunken, der Tourismus war ein bequemer Markt. Die Kellerei Bozen hat 220 Mitglieder, die 220 Hektar Rebfläche pflegen, sie produziert circa 3,5 Millionen Flaschen Wein, und sie hat in der Krise auch noch die Schulden für den opulenten Neubau (Kosten: 30 Millionen Euro) der Kellerei in Bozen-Moritzing – in Sichtweite des Krankenhauses – zu schultern. Filippi hat gerade eine ewig lange Marketingkonferenz hinter sich, als wir ihn erreichen. „Im Moment“, sagt er, „ist alles nicht normal.“

Die Kellerei Bozen hat freilich einen kleinen Vorteil gegenüber anderen Kellereien: 35 bis 40 Prozent der Produktion geht an Supermärkte – auch die Kellereigenossenschaft Kurtatsch liefert etwa 20 Prozent der Produktion an den Lebensmittelhandel. Dort ist Platz für die preisgünstige Linie. Doch im Lebensmittelhandel ist etwa die Konkurrenz aus dem Trentino mit ihren eher niedrigpreisigen Weinen viel stärker vertreten.

An dem Tag, an dem Martin Foradori in Mazzon Steine aus dem Weinberg trug, hätte er vielleicht Kurt Rottensteiner (Brunnenhof Mazzon) bei der Arbeit in den Reben beobachten können. Rottensteiner ist in diesen Tagen ein Glückspilz wie der Sektproduzent Lorenz Martini in Girlan. Rottensteiner und Martini (im Hauptberuf Kellermeister bei Rottensteiner in Bozen) produzieren wenig: Martini 25.000 Flaschen Sekt, Rottensteiner 40.000 Flaschen Blauburgunder, Gewürztraminer, Goldmuskateller, Lagrein, Manzoni bianco. Den Brunnenhof hat Rottensteiners Vater während der letzten Weinkrise in den Achtzigerjahren erworben, als Skandale um gepanschte Weine die italienische und die österreichische Weinwirtschaft erschütterten, und es hieß: Zwischen Ethanol und Methanol läuft Südtirol.

„Ich darf mich nicht beklagen“, sagt Kurt Rottensteiner, „wir sind ein Familienbetrieb“: keine Schulden, ein bisschen Geld auf der Kante, freilich auch Rechnungen, die im Moment nicht eingetrieben werden können, oder der Ausbau der Wohnung im Haus für den Sohn, der aufgeschoben werden muss. „Ich lasse den Sommer vorübergehen“, sagt er, „dann kann ich immer noch plärren.“ Und Lorenz Martini sagt: „Ich bin im Moment weniger unglücklich als andere. Ich werde meine Flaschen schon verkaufen, wenn es im Herbst wieder aufgeht, ich habe meistens eh zu wenig.“

Rottensteiner und Martini überleben in der Krise in der Nische, small is beautiful. Sekthersteller Josef Reiterer aus Mölten trifft die Krise härter. Er hat in seiner Kellerei Arunda im Jahr 2019 125.000 Flaschen Sekt abgefüllt. Am Telefon klingt er ziemlich niedergeschmettert.

„Uns geht es schlecht“, sagt er, „der Verkauf ist auf null.“

Was verkaufen Sie?

Normal um die 8.000, 9.000 Flaschen im Monat, jetzt sind es 400. Und online geht nur, was billig ist. Wir sind ein Produkt, das vom Lebensstandard der Bevölkerung abhängt.

Keine Hoffnung?

Wenn sich die Sache in ein paar Monaten umdreht und wir auf 20, 30 Prozent des Umsatzes kommen, werden wir den Betrieb retten, wenn nichts passiert, müssen wir 2021 Konkurs anmelden. Wir wissen nicht, ob wir in diesem Jahr überhaupt etwas einkellern können. Wir haben hier einen Inventurwert von zwei Millionen Euro liegen, wenn wir nicht verkaufen, können wir die Flaschen den Banken geben.

Josef Reiterer hat die heurige Produktion schon bezahlt. Die Kellereien hingegen können die Notbremse ziehen. Denn die Lieferanten, die Bauern, werden nicht auf einen Schlag, sondern in vier Raten ausbezahlt. Was die Kellerei einspielt, wird, nach Abzug der Spesen, zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Höhe an die Bauern ausgeschüttet.

Rate 1 ist schon auf dem Konto, jetzt müsste Rate 2 folgen, dann Rate 3 und schließlich die Endabrechnung. Doch die Rate 2 wird geringer ausfallen. Um bis zu 50 Prozent, bestätigt Eduard Bernhart: „Der Betrieb kann nur auszahlen, was er erwirtschaftet.“ So hat man es auch in den Videokonferenzen des Weinkonsortiums besprochen. „Es kommt darauf an“, sagt Othmar Doná, Kellereimeister der Kurtatscher Genossen (1,5 Millionen Flaschen im Jahr – 150.000 davon gehen in die USA; 190 Mitglieder; 190 Hektar Anbaufläche), „wie sich die Monate August, September entwickeln, aber wir haben 30, 40 Prozent mehr Ware als sonst im Keller.“

Und er sagt auch: „Wir werden im Herbst mit der Produktion zurückfahren müssen.“ Die Bauern wird es also gleich doppelt treffen: Weniger Einnahmen für 2019 und weniger Einnahmen für 2020, weil die Ernte, falls notwendig, um gute 30 Prozent gedrosselt wird – die Kellereien haben nicht genügend Lagerkapazitäten und wollen verhindern, dass die Preise fallen. Das wäre, etwa beim Weißburgunder, statt der erlaubten Höchstmenge von 130 nur mehr 90 Zentner pro Hektar. Das Weinkonsortium hat sich deswegen schon hilfeheischend an Landwirtschafts-Landesrat Arnold Schuler gewandt. „Wir erwarten uns nicht zu viel“, sagt Martin Foradori, „aber ein bisschen mehr Sensibilität würden wir uns schon wünschen.“

Einer, der kein Geld vom Land will, ist Johannes Pfeifer von Pfannenstielhof in Bozen. Er sitzt mit seiner Frau Margareth am großen Tisch vor dem Haus, man hört Vogelgezwitscher und Kindergeschrei, es weht der Wind, der im Sommer die Trauben (nur rot) durchlüftet. „Es geht tadellos“, sagen sie, „wir sind gesund und dürfen arbeiten, natürlich verkaufen wir weniger, aber wir verkaufen jeden Tag ein bisschen.“ Johannes Pfeifer bekommt in diesen Tagen ein neues Holzfass zu 40 Hektoliter, das alte, hundertjährig, liegt schon zerlegt vor dem Keller. „Wir sind“, sagt er, „eigentlich immer ausverkauft.“

Die größte Lieferung, die Pfeifer zuletzt getätigt hat, umfasste 600 Flaschen. Sie gingen an das Krankenhaus Bozen, als Ostergeschenk für die Leute, die in der Corona-Krise am meisten Arbeit haben.

weitere Bilder

  • Weinkeller der Kellerei Bozen Verkostungen

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