Die Brennergrenze bleibt zu, die Zusammenarbeit in der Europaregion Tirol wird ausgebremst. Grenzregionen zählen zu den Verlierern der Pandemie. Müssten sie aber nicht. Ein Gastbeitrag von Alice Engl.
Wirtschaft
Die Arbeitskraftunternehmer
Aus ff 23 vom Donnerstag, den 04. Juni 2020
Wer Smartworking fordert, wird die Auslagerung von Leistungen und Personalabbau ernten, meint Stefan Perini.
Smartworking ist das Zauberwort der Stunde. Was smart ist, kann per Definition nicht dumm sein – der Begriff selbst beinhaltet schon die Wertung. In modernen Volkswirtschaften in verschiedenen Facetten als Homeoffice oder Telearbeit bekannt, findet orts- und zeitungebundene lohnabhängige Arbeit in Italien Einzug mit dem Gesetz vom 22. Mai 2017 zur agilen Arbeit. Bis zum heutigen Tag wurde Smartworking nicht in die wichtigen Kollektivverträge übernommen. Dies sagt einiges über Kompetenz und Innovationskraft der Sozialpartner.
Das Coronavirus hat Unternehmen wie Arbeitnehmer von einem Tag auf den anderen ins Homeoffice katapultiert: ohne Vorbereitung, ohne die notwendigen technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen. Wer behauptet, was wir heute erleben, sei der Idealzustand, hat nicht am eigenen Leib erfahren müssen, was es bedeutet, in einer Wohnung verbarrikadiert mit Lebenspartner/-in und Kindern Internetverbindung, Laptop und Smartphone zu teilen und gleichzeitig Lehrer beziehungsweise Betreuer von Kindern zu spielen.
Was wir in der heutigen Arbeitswelt vorfinden, sind weitgehend gute Arbeitsbedingungen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis von 150 Jahren sozialen Kampfes, gekrönt von gewerkschaftlichen Erfolgen: 8-Stunden-Tag, Sonntagsruhe, Mutterschutz, bezahlter Urlaub, Unfallversicherung, Krankenstand, Sicherheit am Arbeitsplatz. Arbeitszeiten geben dem Arbeitstag einen Anfang und ein Ende – Erwerbszeit und Freizeit bleiben trennscharf. Wenn die Arbeitsleistung an einen Ort gebunden war, dann deshalb, weil man dort vom Arbeitgeber einfordern konnte, dass Arbeitssicherheit, Brandschutz, Ergonomie am Arbeitsplatz garantiert werden.
Aktuell versuchen Gewerkschaften wie auch Wirtschaftsverbände, das Thema Smartworking für sich zu besetzen.
Der Arbeitnehmer erwartet sich von Smartworking mehr Selbstorganisation, Gestaltungsspielraum, eine bessere Work-Life-Balance, das Wegfallen von Pendlerstrecken und eine Optimierung der für Erwerbsarbeit aufgewendeten Zeit.
Auch die Arbeitgeber sehen Vorteile: einen sinkenden Bedarf an Büroräumen, geringere Mietkosten, Auslagerung von Verantwortung, in der Modalität „bring your own device“ (deinen Computer) auch eine schleichende Verlagerung von Betriebskosten. Vor allem soll Smartworking aber auch der Köder sein, um leichter an Fachkräfte zu kommen.
Die gewerkschaftlichen Erfolge der Vergangenheit fußen auf der engen Solidarität zwischen den Arbeitern, auf der Identifikation derselben als Arbeiterklasse „Blauhemden“ gegen „Weißhemden“.
In den Fabriken war es für Gewerkschaften relativ leicht, Personen als Mitglieder für die Gewerkschaft zu gewinnen, Betriebe gewerkschaftlich durchzuorganisieren, einen Vertretungsanspruch geltend zu machen, für Streiks zu mobilisieren. Funktioniert dies auch für eine Schar von Smartworkern, die sich als Individualisten und Eigenbrötler sehen?
Smarkworking verschiebt die Schnittstelle zwischen Kollektivismus und Individualismus zwangsläufig zu Letzterem und schwächt gewerkschaftliche Organisationskraft. Mag Smartworking in der ersten Phase der Anwendung für Arbeitnehmer auch interessant klingen, verschiebt es das Verhältnis auf mittlere Sicht vom klassischen lohnabhängigen Arbeitsverhältnis hin zur freiberuflichen Tätigkeit.
Arbeitgeber werden sich – etwa in einem Jahrzehnt – die Frage stellen, ob man eine Tätigkeit einem (lohnabhängigen) Smartworker überantworten soll, oder ob man auf eine freiberufliche Leistung zurückgreift. Dieselbe Überlegung wird die Landesverwaltung anstellen.
Wer Smartworking fordert, wird die Auslagerung von Leistungen und Personalabbau ernten. Wo wir dann landen? In einer Gesellschaft von Freiberuflern oder, wie sie der Soziologe Gerd-Günter Voß nennt, Arbeitskraftunternehmern.
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