Außensicht

Krieg und Frieden: Glaub nimmer viel

Aus ff 46 vom Donnerstag, den 16. November 2023

Krieg und Frieden

Glaub nimmer viel

Ob ich das Geschichtchen schon einmal erzählt habe? Sei’s drum, die Verhältnisse sind so, dass ich es noch einmal erzählen muss. Es ging darin um Krieg, und wir sind ja wieder im Krieg.

Treffe ich den alten Schmied Seppl, jenen Reischacher Bauern, der mir anvertraut hatte, er habe sein Lebtag lang Anton Zelger gewählt, weil der ihn statt seiner aus der Gefangenschaft habe heimgehen lassen – „weil sowas tut keiner“. Wir kommen auf den Krieg zu sprechen, seinen Krieg, und irgendwann sagt der Seppl: „Ich glaub nimmer viel.“ Nimmer viel an den lieben Gott, ist gemeint. „Weil ich hab zu viel gesehen“, sagt er. Und: „I sag ja nix, a paar Tausend Tote. Aber net soo viel!“

Nicht so viele! Der alte Schmied hat die Frage nach der Verhältnismäßigkeit gestellt, jener Verhältnismäßigkeit, von der in diesen Tagen viel die Rede geht: Ist, was im Gaza-Streifen passiert, „verhältnismäßig“? Kein einigermaßen demokratisch oder auch nur anständig denkender Mensch wird bestreiten wollen, dass der Massenmord der palästinensischen Hamas-Terroristen an israelischen Bürgern einen militärischen Vergeltungsakt des Staates Israel rechtfertigt. Israel muss sich wehren dürfen, so wie sich die Ukraine gegen den Überfall Putins wehren muss.

Kriegerische Aggression fordert Widerstand heraus, offenbar auch kriegerischen. So weit, so schlimm, aber muss uns diese Einsicht jeden Sinn für Augenmaß trüben? Ist jede Warnung, dass unverhältnismäßige Rachenahme neuen Unfrieden schafft, politisch naiv? Müssen wir, um nicht im Krieg zu landen, „kriegstüchtig“ werden, wie das der deutsche Verteidigungsminister von seiner Bundeswehr schon fordert? Tüchtig zum Krieg, nicht zum Frieden?

Wir sind bedenklich auf dem Weg dorthin. Es muss wieder Position bezogen werden. Entweder hie oder dort. Unsere Verfassung lehnt Krieg als Mittel zur Konfliktlösung ab. Das deutsche Grundgesetz genauso. Heute daran zu erinnern, macht verdächtig – hie wie dort. Die Leute „glauben nimmer viel“ – an Frieden.

von Florian Kronbichler | Journalist, ehemaliger Chefredakteur der ff

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