Außensicht

Inklusion: Bequeme Herzchen

Aus ff 49 vom Donnerstag, den 07. Dezember 2023

Am vergangenen Sonntag war der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen. Das ist der Tag, an dem sich Politiker und Politikerinnen gern mit Down-Kindern ablichten lassen oder Ex-Politiker und Ex-Politikerinnen medienwirksam eine Runde im Rollstuhl drehen, um „nachzuempfinden“, wie das Leben mit einer Beeinträchtigung denn so wäre. (Letzteres ist genauso aufschlussreich, wie wenn ich mir das Gesicht schwarz anmale, um herauszufinden, wie es sich als Mensch mit dunkler Hautfarbe lebt, also: gar nicht.)

In den sozialen Medien ist es ein Tag, an dem großzügig geherzt und geliked wird, Beiträge über Menschen mit Behinderung erfahren viel Zuspruch. Das ist lieb, aber vor allem sehr einfach: Ein Klick kostet nichts, nimmt eine Sekunde meiner Zeit in Anspruch und sagt wenig da­rüber aus, wie sehr ich im realen Leben dazu bereit bin, an einer gelingenden Inklusion mitzuarbeiten. Eine Bekannte, auch sie Mutter eines beeinträchtigten Kindes, meinte letzthin: „Jede und jeder ist für Inklusion und Akzeptanz – bis es darum geht, ganz praktisch dafür einen Beitrag zu leisten.“

Hier zeigt sich wahre Toleranz: Abseits von bequemen Lippenbekenntnissen, gestellten Schnappschüssen, unverbindlichen Sympathiebekundungen, die vor allem dazu dienen, das eigene Ich vor Publikum moralisch aufzuwerten; sie ist dort, wo es ungemütlich wird, anstrengend, fordernd, wo ich Mut fassen muss, Fragen zu stellen, mitanzupacken, mich auf eine andere Perspektive einzulassen.

In Bildungseinrichtungen geht die Akzeptanz der Eltern manchmal nur so weit, wie das eigene Kind keine gefühlten Nachteile aus der Inklusion von Kindern mit Beeinträchtigung erfährt: Rücksicht nur so lange, wie die anderen nicht eingebremst werden. Dabei steht Rücksicht wortwörtlich genau dafür: innezuhalten und sich umzudrehen zu jenen, die nicht so rasch vorankommen, anstatt sie wie einen lästigen Klotz am Bein abzuschütteln.

Mit unserem „Höher! Schneller! Weiter!“-Fetisch ist diese Haltung freilich schwer zu vereinbaren, es muss daran erinnert werden: Inklusion ist ein Menschenrecht und kein mildtätig gewährtes Zugeständnis.

von Alexandra Kienzl | Kolumnistin, Englisch-Lehrerin und ehemalige ff-Redakteurin

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.