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Außensicht
Nazi-Humor: Gigi D’Adolfino
Aus ff 22 vom Donnerstag, den 30. Mai 2024
Woran erkennt man einen Nazi? In meiner Jugend war ich von dieser Frage relativ besessen. Ich studierte in Büchern und Zeitschriften, welche „Codes“ die Szene verwendete. Wie ein mathematisch unbegabter Alan Turing staunte ich über die Geheimschriften der Rechtsextremen, über ihre in „Schwarzen Sonnen“ versteckten Hakenkreuze und in Zahlenreihen verborgene Parolen: 18 stand etwa für „Adolf Hitler“ und 1919 für „SS“. Ich wollte alles wissen, und man musste schon genau hinsehen: Eine Glatze zum Beispiel konnte einen Neonazi markieren. Oder nur einen viel grübelnden Landeshauptmann.
Gerne würde ich nun sagen, dass mir diese Autodidaktik im Leben hilft, dass ich selbst im aufmerksamen Deutschland hinter jeder Ecke einen „Secret Hitler“ erschnüffle. In Wahrheit sind meine Talente neuerdings völlig für die Katz. Allein in der vergangenen Woche sah ich, wie in Thüringen ein waschechter Neonazi (mit HTLR-Shirt und Arier-Tattoo) in eine Stichwahl kam. Ich las, wie der EU-Spitzenkandidat der AfD in der Repubblica den Charakter von SS-Offizieren verteidigte. Und ich staunte, als ein Rudel Schnösel auf Sylt zu „Deutschland-den-Deutschen“-Chören anstimmte – mit Hitlergruß, Hitlerbärtchen und povero Gigi D’Agostino im Hintergrund. Schämt sich eigentlich niemand mehr?
Ein bisschen fühle ich mich wie ein Fußballer, der sein Leben lang mit Medizinbällen trainierte, nur um auf dem Platz schließlich vor einem Luftballon zu stehen. Statt mit Geheimparolen zu hantieren, köpfen Ausländerfeinde in aller Öffentlichkeit Schampusflaschen!
Beruhig dich, werden nun manche sagen: Das auf Sylt waren gar keine echten Nazis, nur ein paar junge Witzbolde, beim schwarzhumorigen „Herumhitlern“. Gab’s diese Provokationen nicht schon immer, auf jedem Kirchtig, auf jedem Dorffest? Ja, natürlich, und das macht es nicht besser. Für Migranten und Migrantinnen fühlte sich „ironischer“ Faschismus immer schon genauso hässlich an wie der echte. Die einen erinnern sich, wenn sie an die Nullerjahre denken, an Gigi D’Agostino in der Disco Max. Die anderen nur an die harte Faust des Türstehers.
von Anton Rainer | Stellvertretender Leiter des Ressorts Kultur beim Spiegel in Hamburg
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