Außensicht

Herz-Jesu-Feuer: Brennende Liab

Aus ff 24 vom Donnerstag, den 13. Juni 2024

Wann immer mich Freunde aus der Heimat besuchen, verhafte ich sie für einige Stunden in einem Hamburger Museum. Das „Miniatur Wunderland“ ist die größte je gebaute Modelleisenbahn-Anlage, aber eigentlich viel mehr als das: eine Welt in Däumlingsgröße. Man sieht das klitzekleine Las Vegas, hell erleuchtet mit 30.000 LEDs. Oder den Petersdom, mit fußballspielenden Kardinälchen. Auch Südtirol hat eine Ecke bekommen, die man zwischen all den Kleinigkeiten schnell übersieht. Nur wenn es Nacht wird – im Wunderland viermal pro Stunde – erblickt man das Landl von Weitem. Weil auf den Mini-Bergen Mini-Herz-Jesu-Feuer brennen.

Ich habe mich immer gewundert, dass ausgerechnet dieser Brauch in der Hamburger Speicherstadt eine Maßstab-1:87-Version bekam und nicht, sagen wir, die Ultner Ape-Gang. Oder das Jammern über die Wahlen. Anders als der (ebenfalls nachgebaute) Laaser Marmor waren die Herz-Jesu-Feuer nie Exportschlager, ich kenne auch kaum Pyromanen, die nur deshalb im Juni nach Südtirol kommen. Die optische Opulenz mag ein Grund sein, brenna tuats guat. Oder aber die deutschen Modellbauer verstehen die Südtiroler Seele besser, als man denkt.

So haben die Herz-Jesu-Feuer über die Jahrhunderte eine beachtliche Karriere durchgemacht: vom religiös-fundamentalistischen Statement (Andreas „Gotteskrieger“ Hofer) über Opfermythen-Folklore hin zum identitätspolitischen Feuerwerk. Mittlerweile ist man als Südtiroler überparteilich stolz, auf #heimat, #tradition – die Bergkette brennt nicht für links oder rechts, sondern für Instagram.

Vielleicht sollte man den „Pride Month“ deshalb auch nicht als Konkurrenz zum Tiroler Stolz-Event sehen, sondern als dessen Erweiterung. Beide, die Patrioten und die Queeren, ehren mit leuchtenden Fahnen und Hosen aus Leder eine nächtliche Liebe, die die Gesellschaft oft nicht versteht. Und: Beide haben in der Kirche große Karrieren hingelegt. Statt zu streiten, könnte man die Dinge ja zusammenlegen, gemeinsam „Auf zum Schwul“ singen. Dann würde am Feuer auch der Sieg über die Heteronormativität gefeiert. Und nicht nur die Niederlage gegen die Franzosen.

von Anton Rainer | Stellvertretender Leiter des Ressorts Kultur beim Spiegel in Hamburg

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