Außensicht

Das letzte Mal: Zwischen Tränen und Trompeten

Aus ff 35 vom Donnerstag, den 29. August 2024

Wisst ihr, was wehtut? Wenn keiner uns gewarnt hat, vor diesem einen Mal, das das letzte Mal war. Als junge Mama spüre ich das gerade so richtig: Mein Baby hat mich nachts monatelang geweckt, ein bisschen hungrig, ein bisschen kuschelbedürftig. Wie schön wäre es doch, dachte ich, endlich einmal wieder durchzuschlafen. Dann, plötzlich, schläft das Baby durch. Eigentlich müsste ich laut jubeln … aber in Wirklichkeit frage ich mich: Wann war das letzte Mal, dass ich nachts gestillt habe? Vorbei. Einfach so. Ohne großes Drama, ohne dass jemand „Achtung, wichtiger Moment!“ gerufen hat.

Es sind diese leisen Abschiede im Leben, die uns oft nicht bewusst sind: Der letzte Sommerurlaub mit den Eltern, bevor wir lieber mit Freunden losziehen. Das letzte Mal, dass wir die Skier aus dem Keller holen, bevor sie für immer verstauben. Das letzte Mal, dass die alte Clique um die Häuser zieht, bevor jeder in seinem Erwachsenenleben versinkt. Diese letzten Male kommen schleichend, fast heimlich. Sie hinterlassen keine großen Spuren, sondern verschwinden leise.

Wir sind zu beschäftigt, zu abgelenkt, um zu merken, dass gerade etwas Wichtiges passiert.

Und genau darin liegt der bittersüße Charme des Lebens: Wir merken es oft erst, wenn der Moment vorbei ist, es zu spät ist, um ihn bewusst zu leben. Das verursacht Herzschmerz. Aber seien wir ehrlich: Wir müssen nicht bei jedem letzten Mal Tränen vergießen. Denn im Gegenzug gibt’s ja viele erste Male mit Pauken und Trompeten: das erste Date mit der neuen Liebe, die erste Nacht im neuen Zuhause, das erste Mal, dass dein Baby dir ein Küsschen auf die Wange schmatzt, das erste Schreiben dieser Kolumne (Hallo an alle, by the way) – und natürlich das erste Erste Mal. Und das bleibt wohl unvergessen, oder?

von Karin Köhl | Nachrichtenredakteurin beim Südtirol Journal und freie Journalistin

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