Außensicht

Abkühlung in Brixen: Arschbomben

Aus ff 40 vom Donnerstag, den 03. Oktober 2024

Einen Großteil meiner Kindheit verbrachte ich an und im Wasser. In der Brixner Aquarena, die damals einfach Schwimmbad hieß, und am Vahrner See, der damals noch ein See war und keine militärische Sperrzone. Freilich, erste Anzeichen, dass irgendetwas nicht stimmen konnte mit dieser nassen Unschuld, spürte man früh: Da waren die Eintrittspreise am Pool, die mit jedem neu eröffneten Saunabereich weiter stiegen. Und da war die Stimmung am See, die zunehmend giftiger wurde: Die ansässigen Gastwirte begannen ihre Gäste zu hassen, Sommer für Sommer ein Stückchen mehr. Sie ließen Zäune errichten, bauten Sitzbänke ab und hängten einen Wikipedia-Ausdruck auf, auf dem grellgelb markiert das Wort »PRIVATBESITZ« stand. 2017 fanden Taucher schließlich Hunderttausende Sprengkörper aus dem Ersten Weltkrieg und es schien mir wie ein passendes Ende. Kein Wunder, dass es hier keinen Frieden gab, in einem Meer aus Granaten.

Sieben Jahre sind seitdem vergangen, und jedes Mal, wenn ich den langen Weg von Hamburg nach Brixen antrete, frage ich mich, warum Abkühlung hier so einfach und daheim so schwierig ist. Zugegeben: Möchte man in Hamburg nass werden, reicht es, das Fenster zu öffnen und darauf zu warten, dass der Regen waagrecht hereinfliegt. Aber auch wer mehr Platsch will, kommt auf seine Kosten: ein Sonntag im Schwimmbad? Kostet 7,28 Euro. (Brixen: 16,50 Euro). Es gibt einen Stadtpark-See, die Binnenalster und einen 13 Kilometer langen Sandstrand an der Elbe, alles gratis. Was es nicht gibt, sind Zäune, Schranken, „Besuchermanagement“. Und das in einer dreckigen Millionenstadt.

Seit zwei Wochen sind die Bergungsarbeiten im Vahrner See beendet, wie es weitergeht, ist unklar. Die Gemeinde, die eigentlich rund um die Uhr für eine Öffnung kämpfen sollte, will jetzt weiter „überprüfen“, weil es keine militärische Garantie für einen 100 Prozent granatenfreien See gibt (da lacht und gluckert die mit britischen Fliegerbomben gefüllte Elbe). Vielleicht arbeitet man aber auch an einem Ticketsystem, an einer „See-Experience“, wer weiß?

Ich sage nur: Wir schwammen über Bomben, so friedlich wird es nie mehr werden.

von Anton Rainer | Stellvertretender Leiter des Ressorts Kultur beim Spiegel in Hamburg

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