Außensicht

Eine Weihnachtsgeschichte: Ein Euro

Aus ff 50 vom Donnerstag, den 12. Dezember 2024

Es begab sich aber zu der Zeit, dass Unterfertigte am Tag, als italienweit die Zahlkarten streikten, sich auf einem Parkplatz mit Schranke befand und feststellen musste, dass sie kein Bargeld im Sack hatte. Der Park­automat wollte meine Karten nicht, er wollte mein Google Pay nicht, er wollte, ich nahm’s ihm nicht übel, auch nicht den Plastikchip für den Einkaufswagen. Die Situation war mir nicht neu, aber hatte ich daraus gelernt? Natürlich nicht. Also ging ich zum Auto, das bedrohlich wackelte, weil minderjährige Insassen darin zerstörerisch am Werk waren, und durchsuchte den Wagen. Tatsächlich fand ich unter dem Fahrersitz neben allerlei Unappetitlichem eine 50-Cent-Münze, es fehlte mir also nur noch ein Euro für die Freiheit. Den werde ich mir problemlos erbetteln, dachte ich. Sie erkennen ein gewisses Muster der Naivität.

Ich eilte also zurück zum Automaten, fing dort eine Familie ab und schilderte dem Vater die fatale Konstellation: Kartenstreik, doofe Bargeldverächterin, entfesselte Kinder (ich deutete auf das wackelnde Auto), mit einem Euro wäre Problem gelöst, bitte. Der Mann zögerte. Er schaute seine Frau an, er schaute sein Kind an, er schaute mich an. Was will diese komische Frau, sagte sein Blick. Zu Recht. Anstatt in weiser Voraussicht einen Notgroschen bei mir zu führen, schnorrte ich Wildfremde an. Ich wiederholte mein Anliegen, unterstrich die Dringlichkeit, das Auto wackelte. Schließlich holte er seine Brieftasche und daraus einen Euro, steckte ihn wieder zurück, holte ihn wieder raus, steckte ihn zurück. Vor meinem geistigen Auge öffnete und schloss sich die Schranke immer wieder. Mir wurde klar, dass ich bei einer höheren Parkschuld sowieso verloren gewesen wäre.

Irgendwann steckte ich das Parkticket in den Automaten, und er, reflexhaft oder doch erweicht, warf den Euro ein. Das Ticket knatterte raus, ich bedankte mich ehrlich erleichtert, über die Modalität der Euro-Rückgabe konnten wir uns nicht einigen. „Wieso hast du nicht den Notfallknopf gedrückt?“, fragte zu Hause der Mann. Das war mir gar nicht in den Sinn gekommen. In Notfällen setze ich auf Solidarität, und werde das auch stur weiterhin tun: Tun Sie’s bitte auch.

von Alexandra Kienzl | Kolumnistin, Englisch-Lehrerin und ehemalige ff-Redakteurin

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