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Außensicht
Die Dunkelziffer: Sagt man halt so
Aus ff 06 vom Donnerstag, den 06. Februar 2025
Es ist die übliche Unsitte: Schlechte Nachrichten sind uns in der Regel nie schlecht genug. Das trifft besonders dann zu, wenn sie mit Zahlen belegt sind, also Anspruch auf „Wissenschaftlichkeit“ erheben. Die Studie über sexuellen Missbrauch in unserer Diözese ist so eine. Was vorfiel, ist schwerwiegend. Aber 624 bedruckte Seiten um 860.000 Euro sind auch furchterregend und können nicht nur als Stimmungsbild abgetan werden. Das geschieht aber. Kein Kommentar, der sich damit befasst, ja nicht einmal die 624-Seiten-Studie selber, kommt ohne Verweis auf „die Dunkelziffer“ aus.
Oh, die Dunkelziffer! Eigentlich müsste sie der Todfeind jeder Statistik sein. Doch längst setzt auch sie hinter jede errechnete Tabelle die Floskel von der Dunkelziffer, die einmal „hoch“, meistens „noch höher sein dürfte“. Wohlgemerkt: „sein dürfte“. Denken diese Rechenknechte und alle, die von ihnen abschreiben, nie, wie sehr sie ihre eigenen Daten damit abwerten? Was helfen uns die 59 Opfer, 29 Täter und 24 „Fälle“ der Studie, wenn jedes Medium gleich das Schwänzchen: „und die Dunkelziffer dürfte noch höher sein“ dranhängt? Wie in der Gerichtsberichterstattung das scheinheilige „es gilt die Unschuldsvermutung“. Ich warte, dass mir irgendwann jemand die Dunkelziffer beziffert.
Freilich, solches Dahergerede kennt noch Steigerung. Dass das ausgerechnet dem diözesanen Promotor der Missbrauch-Studie, Gottfried Ugolini, gelingt, lässt nur noch zwei Optionen zu: verzweifeln an so viel kirchlicher Selbstschädigung, oder milde hinwegsehen über sprachliche Verwirrtheit. Da liefert der Jugendseelsorger den Dolomiten die Schlagzeile: „Das ist nur die Spitze des Eisberges.“ So hat er es gesagt. Die Spitze des Eisberges?
In der Schule lernen wir, die Spitze, das ist, was vom Eisberg aus dem Wasser ragt, und macht gut 10 Prozent des ganzen Brockens aus. 90 Prozent sind unter Wasser. Wollte Don Ugolini das Werk, das wesentlich sein Verdienst ist, so herabwürdigen? Ach was, sagt man halt so.
von Florian Kronbichler | Journalist, ehemaliger Chefredakteur der ff
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