Außensicht

Verantwortung übernehmen: Schneeblind

Aus ff 06 vom Donnerstag, den 06. Februar 2025

Es ist jedes Jahr dasselbe: Kaum fällt der erste richtige Schnee, zieht es sie auf die Berge – die Unerschrockenen, die Unbelehrbaren, die „Ich-weiß-schon-was-ich-tue“-Alpinisten. Diesmal war es nicht anders. Noch während Meteorologen, Lawinenwarndienst und sämtliche Medien im Chor warnen, dass die Schneedecke instabil ist, donnern schon die Lawinen ins Tal. Eine davon bis auf eine Skipiste in Sulden – ausgelöst von Freeridern, die offenbar dachten, physikalische Gesetze gelten nur für die anderen.

Wer sind diese Menschen, die alle Warnungen in den Wind schlagen? Junge Wilde mit GoPro am Helm? Ja. Aber nicht nur. Es sind oft auch die Erfahrenen, die Routinierten, die sich sicher fühlen, weil sie glauben, den Berg zu kennen – bis er ihnen zeigt, dass er sich nicht berechnen lässt. Manche kommen mit dem Schrecken davon, andere nicht.

In Sulden ist es – dieses Mal – gut ausgegangen. Aber es hätte Menschen treffen können, die nur Ski fahren wollten. Und wie nach jedem solchen Vorfall, beginnt die endlose Debatte: Wer trägt die Verantwortung? Die, die sich über jede Warnung hinwegsetzen? Die Behörden, weil sie es nicht verhindern? Die Skiliftbetreiber, weil sie jede noch so kleine Gefahr ausschalten müssen? Oder doch das Schicksal, das dann am Ende wieder als bequeme Ausrede herhalten muss?

Und dann gibt es noch diejenigen, die ausrücken, wenn etwas passiert: die Bergretter. Die mit jedem Alarm losfahren, oft bei widrigsten Bedingungen. Die sich selbst in Gefahr bringen, um andere aus Schneemassen zu ziehen – manchmal lebendig, manchmal nicht. Die mit den Bildern derer nach Hause gehen, die sie nicht mehr retten konnten.

Das Gefühl, als Erster seine Spur in den frischen Schnee zu ziehen, die Stille der Berge zu genießen und dann in die Abfahrt einzutauchen – das hat seinen Reiz. Umkehren, verzichten, ist schwierig und muss gelernt werden. Aber die Berge laufen nicht weg. Zwei, drei Tage später ist der Schnee immer noch da – mit deutlich geringerem Risiko. Und wer jetzt jammert, dass dann schon alles verspurt ist, dem sei gesagt: Es gibt verdammt viele Berge. Viel Platz für viele erste Linien. Das Abenteuer bleibt – nur vielleicht mit einem Hauch mehr Respekt und weniger Risiko.

von Karin Köhl | Nachrichtenredakteurin bei Rai Südtirol und freie Journalistin

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