„Offene Jugendarbeit“ ist für viele junge Leute wichtig. Und gerät in Zeiten des Rechtsrucks unter Druck.
Außensicht
„Junge Aktion“: Männlein im Walde
Im März 1931, knapp zwei Jahre bevor er seinen Büchern beim Brennen zusehen musste, schrieb Erich Kästner ein Gedicht. „Die Ballade vom Nachahmungstrieb“ beschreibt, wie sieben Kinder beim Spiel im Hinterhof ihren Freund hinrichten. Zuerst binden sie Fritzchen einen Strick um, dann zwicken sie dem baumelnden Jungen in die Wade und als am Ende die Polizei kommt, sagt der kleine Karl: „Wir hab’n / es nur wie die Erwachsenen gemacht.“
Ich muss an Kästners Gedicht denken, wenn ich von bösen Kindern höre oder lese, und dem, was sie im Hinterhof des Internets anstellen. Vor ein paar Jahren, als rappende Migranten-Teenies aus dem „Ghetto Milland“ ganz Südtirol schockierten. Vor ein paar Monaten bei der sexistischen Ball-Einladung der Vöraner Bauernjugend. Und jetzt, da wir vor der „Jungen Aktion“ zittern, einer Gruppe von vier jungen Rechten, die in rot-weißer Sturmhaube durch den Pusterer Wald strawanzen. Auf einem Video umarmen sie Bäume, laufen Trimm-Dich-Pfade ab, lesen Bücher, machen erste erotische Erfahrungen mit anderen halbnackten Jungs – und wären da nicht die taktisch drapierten faschistischen Symbole, man könnte sie für Pfadfinder halten.
Viele Medien, von Tageszeitung bis Zett, warnen nun vor diesen Buben, und sicher ist das nicht falsch: Ein Männlein, das im Walde steht und das NS-Verbotsgesetz abschaffen möchte, ist ein rechtsextremes Männlein, da kann es noch so sehr von Heimatliebe schwafeln. Aber ich warne auch davor, jugendliche Radikalisierung mit jugendlicher Kostümierung zu verwechseln: Das Spiel mit Muskeln und Symbolen, mit Slogans und Chiffren ist in erster Linie ein gelerntes, nachgeahmtes – und Nazis auf Tiktok sollten uns (und die Digos) nicht mehr beschäftigen als Nazis in Parlamenten und Regierungen. Hier gibt es Ermittlungen, dort nicht mal Empörung: Seltsamerweise erkennen wir Rechtsextreme leichter, wenn sie unter rot-weißen Strumpfhosen stecken, als wenn sie am Landtagspodium Reden halten. „Es ist schon wahr“, heißt es bei Kästner, „nichts wirkt so rasch wie Gift!“ Und es tröpfelt von oben nach unten.
von Anton Rainer | Stellvertretender Leiter des Ressorts Kultur beim Spiegel in Hamburg
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