Flaneid

Das Schaf im Wolfspelz

Aus ff 03 vom Donnerstag, den 19. Januar 2017

Wie könnte ein Bürgermeister seinen Beliebtheitsgrad steigern? Durch Arbeit! Für andere.

Und warum bin ich nicht drin?“ Es kam nicht oft vor, dass Bürgermeister Daniel Grüner mit der Faust auf den Tisch schlug, in diesem Fall auf den Budel im Gasthaus Unterganzner. Er hatte gerade in der Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore die Beliebtheitsrangliste der Bürgermeister in ganz Italien studiert und war sofort auf die Lücke gestoßen. „Der Bozner Bürgermeister ist drin, irgendwo im Mittelfeld, aber den kennen ja die wenigsten Bozner. Mich kennt jeder Flaneider persönlich!“ „Vielleicht stehst du grad deswegen nicht drin“, schlug Coelestin Unterganzner, der Wirt, vor. Grüner schien den Scherz nicht goutiert zu haben, deswegen schob Unterganzner schnell ein „Tschuldigung“ nach. Umsonst.
Grüner war ab dem Zeitpunkt für längere Zeit eingeschnappt. Er hatte keinen Appetit mehr, war lustlos, grußlos, und vor allem: er unterschrieb nichts mehr.

„So kann’s nicht weitergehen, die Verwaltung ist lahmgelegt“, eröffnete Olga Klotz, Flaneids regierende Vizebürgermeisterin, dem „moralischen Unterstützungskomitee für den Bürgermeister“, das sie erfunden und einberufen hatte. Mitglieder waren unter anderem der reuige Coelestin Unterganzner, Schützenhauptmann Karl Treffer für die praktische Durchführung eventueller Beschlüsse, Pfarrer Elmar Kaslatter als moralische Instanz und Sozialassessorin Milli Minder als amtliche Verkörperung der Solidarität. „Wir müssen ihm wieder Mut machen“, sagte Klotz, „was müsste er denn tun, damit er auf die Rangliste kommt?“ Minder wurde beauftragt, sich die Kriterien genauer anzuschauen.
„Das haben wir ja alles!“, konterte Grüner, als er vom Komitee mit dem Kriterienkatalog konfrontiert wurde. Für den Bereich Kultur verwies er auf die Heimatbühne und die Schützenkompanie, für die Freizeitanlagen auf See, Skipisten und Wanderwege. „Umwelt ist da, die Müllabfuhr funktioniert, die Straßen sind sauber, die Repräsentationsausgaben des Gemeindeausschusses haben wir halbiert …“ „Meinst du damit, dass ihr die 42 sogenannten Repräsentationsessen bei mir noch nicht bezahlt habt?“, unterbrach ihn Unterganzner, wurde aber am Weiterreden gehindert, weil Klotz ihm mit kräftigem Zug an der Krawatte die Luft abschnürte. Grüner konnte also fortfahren: „Und wegen der Popularität: Jeder Flaneider weiß, dass er mich hier im Büro findet, wenn er mich braucht.“ „Äh, wir sind hier beim Unterganzner“, wandte Pfarrer Kaslatter ein. „Sag ich ja“, antwortete Grüner, „also, was wollen die denn noch?“
Milli Minder sah nach: „Als guter Hirte deines Volkes solltest du Arbeitsplätze schaffen.“ „Wenn alle schon eine Arbeit haben, oder?“, zweifelte Grüner.
„Richtig!“, rief der Ziggl-Franz vom Budel her und hob zum Prost sein mittlerweile fünftes Glas. Alle schauten nun den Franz an, ihnen wurde bewusst, dass er der einzige Flaneider war, der keinem bürgerlichen Beruf nachging. „Der braucht einen Arbeitsplatz“, flüsterte Minder. „Wenn ich den einstelle, protestieren die Bürger wieder über die öffentlichen Ausgaben“, wandte Grüner ein. Klotz wusste etwas: „Es gäbe da Stellen, für die nicht wir zahlen müssten.“

Der Fuchskopf wurde mit Spray auf silbergrau gestylt, von verschiedenen Jägern zusammengeliehene Felle bedeckten den Körper. Der Ziggl-Franz war ab nun offiziell ein Wolf, der auf allen Vieren durch die Flaneider Wälder streifte und die Schafe der Bergbauern bedrohte. Für solche Bedrohungen würde das Land eigens einen Hirten anstellen, hatte es gesagt. Das betraf wiederum den Franz – ohne Fell.
Als Beweismaterial dienten Nachtaufnahmen mit Minders Uralthandy. So unscharf waren die Fotos aber nicht, denn die Antwort des Landesamtes war klar und deutlich: „Derzeit ist leider kein eigenes Programm zur Abwehr von Wolpertingern geplant.“ 

„Unmöglich, mich kennt hier jeder!“, protestierte Grüner. „Vielleicht bist du deswegen nicht auf der Beliebtenliste“, sagte Unterganzner.

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