Die Arbeiterinnen und Arbeiter haben niemanden, der sie vertritt: Leitartikel in ff 3/21
Flaneid
Die Strategieplantaktik
Aus ff 06 vom Donnerstag, den 11. Februar 2021
Nachdem die Schuldfrage fast geklärt war, ging es nun um die Maßnahmen. Ein radikaler Vorschlag ließ aufhorchen.
Und schuld seid nur ihr!“ Das war der Schlusssatz von Pfarrgemeinderatspräsidentin Rosl Kranz nach einer ausführlichen und profunden Analyse der beschissenen Situation. Mit „ihr“ meinte sie die Politiker im Allgemeinen und die regierende Vizebürgermeisterin Olga Klotz im Besonderen, weil sie grad vor ihr saß. Beide saßen, wie auch andere Dorfhonoratioren, durch Vorhänge geschützt im geschlossenen Gasthaus Unterganzner, das eine Hintertür hatte. „Für die Verbreitung des Virus sorgt hauptsächlich immer noch das Volk, nicht wir“, wehrte sich Klotz. „Aha“, nahm Kranz den willkommenen Faden auf, „selber nicht wissen, wie tun, und dem Volk die Schuld in die Schuhe schieben! Ihr hört zu viel auf die Verbände: 50 Regeln und 51 Ausnahmen!“
Die Verbände waren – lockdownbedingt oder aus Durst – ebenfalls im Unterganzner vertreten und berieten immer noch, was falsch oder richtig war. Kaufleuteobmann Helmuth Kramer war gegen einen Lockdown, aber dafür: „Entweder ihr lasst uns alle arbeiten, oder es sperren alle zu.“ „Besser jetzt zu als zu Ostern“, war die Meinung von Wirt Coelestin Unterganzner. „Wichtig ist, dass wir arbeiten können“, stellte Handwerkerobmann Seppl Rohrer fest. Bauernobmann Emil Harasser ging der Lockdown hingegen am Gesicht vorbei: „Wir müssen arbeiten, sonst habt ihr nichts zu essen.“
Einig waren sie sich aber, dass die Politik versagt hatte. Kramer zeigte auf Klotz: „Ihr seid nicht imstande, die Einhaltung der Regeln zu überwachen!“
Ernst Putz, ranghöchster und einziger Gemeindepolizist von Flaneid, stand allein auf dem Hauptplatz. Er hatte die Aufgabe, Falschparker zu strafen, Ruhestörer zu mahnen, illegale Müll-entsorger aufzuspüren und neuerdings auch … Sein Handy klingelte. Es war Klotz, seine direkte Vorgesetzte: „Wir müssen jetzt mehr auf Corona schauen.“ Putz war sofort klar, dass sie mit „wir“ ihn gemeint hatte. Aber er hörte weiter zu: „Vor allem nachts und in den entlegenen Fraktionen, und im Hauptort Harpf vor allem die Keller, und in den Lebensmittelgeschäften vor den Weinregalen und …“ „Äh, Frau Vizebürgermeister, ich bin allein.“ „Was? Ach so. Ja …“
Den Sheriffstern aus Unterganzners Faschingsausrüstung heftete Klotz hochoffiziell auf die stolze Brust von Schützenhauptmann Karl Treffer: „So, du bist jetzt Vizesheriff und spürst jetzt im ganzen Dorf die Coronaverbrecher auf.“ Die Verbände nickten salbungsvoll.
Einen Tag später wurde Treffer sheriffsternhagelvoll auf dem Hautplatz angetroffen. Er war bei einem seiner Kontrollgänge in Harassers Keller geraten, wo der Ortsbauernrat regelmäßig tagte. Treffers Ruf als Ordnungshüter war jedenfalls kaputt. Es musste eine neue Strategie her.
Max Minder, Obmann der regierenden Bürgerliste Harpf, saß allein an einem Ecktisch und ließ die anderen über die Covid-Maßnahmen streiten. Er war mit größeren Zusammenhängen beschäftigt: Die Regierungsbildung in Rom, deren Auswirkungen auf die Stimmung der SVP und von dieser die Auswirkungen auf das Stillhalteabkommen mit Flaneid in gemeindeübergreifenden Dingen, das sich die Flaneider jedesmal teuer bezahlen ließen. Er hatte noch etwas zu haben.
„Eine technische Regierung!“, schimpfte er. Ein Fachleutekabinett ließ sich schwer erpressen, Magnagos Blumen am Wegesrand konnten nicht mehr so leicht gepflückt werden. Aber Flaneid wollte sein Blütenblatt. Es fiel ihm etwas ein, das auch für den Flaneider Haussegen nützlich war.
„Ich hab’s“, rief er, „wir lassen alles offen und sperren die Krankenhäuser! Dann möchte ich sehen, ob sich die Leute nicht an die Regeln halten.“ Minder rief sofort in Bozen an. Der zuständige Landesrat antwortete höflich und einfühlsam: „In der Psychiatrie wäre schon noch ein Bett frei.“
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