Corona-Pandemie
Flaneid
Der Abfall vom Glauben
Aus ff 09 vom Donnerstag, den 04. März 2021
Der lange Stillstand machte den Körper müde, den Geist mürbe und das Bier fad. Die Flaneider übten sich im Zweifel.
Nicht wegschütten!“, rief der Ziggl-Franz, als er sah, wie Coelestin Unterganzner wieder ein Fass nach draußen rollte. „Ja was denn sonst?“, brummte der Wirt zurück. Das Gasthaus Unterganzner war, wie immer bei Lockdown, nur durch den Hintereingang und nur für die Großkopfeten des Dorfes offen. Und für den Franz, der nur am Budel einen aufrechten Stand hatte. Er opferte sich. „Pfui!“, sagte er dann. Natürlich war es, wie das Dorfleben, fad geworden nach all der Inaktivität. Unterganzner rollte das Fass weiter.
„Wart lieber“, sagte Olga Klotz, die regierende Vizebürgermeisterin, „Lebensmittel wegschütten? Da fällt uns sicher etwas besseres ein.“ „Glaubst du?“, meinte Unterganzner skeptisch.
„Ich glaub’ so langsam gar nichts mehr“, verknüpfte Bauernobmann Emil Harasser zu einem anderen Thema, „die Politiker versprechen alles Mögliche, und dann sperren sie zu und dann wieder auf – und nichts wird besser.“ „Du auch nicht“, gab Klotz zurück. Eine Antwort hätte nichts genützt. Die Leute glaubten grundsätzlich nichts und niemandem mehr, nur das, was sie hören wollten. Und das kommentierten sie meistens mit einer unflätigen Zustimmung.
Rosl Kranz, Pfarrgemeinderatspräsidentin, legte Unterganzner den Kirchzettel hin. Obwohl sie nicht darauf wartete, antwortete Unterganzner: „Kann man das glauben?“ Kranz wusste jetzt nicht, was sie darauf antworten sollte. Es wäre auch zu spät gewesen, denn die Glaubenskrise hatte mittlerweile alle erreicht. „Glaubst du, dass die Amerikaner jetzt auf dem Mars gelandet sind? Was sollten sie dort?“ „Tennisplätze einzeichnen, der rote Sand ist schon da“, antwortete Unterganzner.
Das bisschen Aufheiterung dauerte nicht lange, dafür waren die Nerven zu blank. Die Notlage brachte es mit sich, dass alles angezweifelt wurde: die Coronoa-Maßnahmen, Corona selbst, die Impfungen, Politik, Kirche, Presse, Verbände. Gleichzeitig stellte jeder seine eigenen Wahrheiten auf und stellte sie ins Netz. Dort kursierten inzwischen abenteuerliche Meldungen: dass der Bürgermeister Covid hat (obwohl er sich seit Monaten daheim verschanzte), dass die Gemeinde eine Zwangsimpfung für minderjährige Kinder vorbereitet, dass sich der Gemeindeausschuss Impfpässe organisiert hat ... Daneben auch Nachrichten aus aller Welt. So sind etwa Hunderte von Fledermäusen bei Testimpfungen zu Tausenden verenden, während 5.800 Schweden putzmunter aufgefunden wurden, die das Statistikamt für tot erklärt hatte, und übrigens hilft Schnäuzen gegen Covid. Als hätten alle Glaubensbekenntnisse zusammen ihren Restmüll im Internet entsorgt: den Abfall vom Glauben. Und wer es nicht glaubte, wurde übelst beschimpft.
„Du musst vor allen auf dem Platz das Bier wegschütten“, redete Klotz per Telefon auf Bürgermeister Daniel Grüner ein, „eine Aktion für die Volksgesundheit.“ Grüner tat es, und ließ die Aktion auch filmen und ins Netz stellen. Es endete, wie Klotz es erwartet hatte. Der Bürgermeister wurde im Netz von allen Seiten kritisiert, von Links („Wegwerfgesellschaft“) und Rechts („Wertevernichter“), von oben („Gottesgabe“) und von der Gosse („Arschloch“). „Komisch“, meinte Unterganzner, der die Debatten auf Facebook und Co. verfolgte, „auf der Straße redet mich nie einer so an. Das müssen ganz andere Flaneider sein.“
„Nein, das sind nicht andere“, meldete Schützenhauptmann Karl Treffer und zeigte mit dem Finger auf Harasser, der mit seinem Handy hantierte: „Er hat das ‚Arschloch’ geschrieben.“ „Das war nicht ich, das war mein anderes Ich“, rechtfertigte sich der Bauer. Klotz ging kraft ihres Amtes und ihrer starken Beine schnell auf Harasser zu und langte ihm eine: „Nimm’s nicht persönlich, das war für dein anderes Ich.“
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