Flaneid

Ein Notfall für den Notfall

Aus ff 12 vom Donnerstag, den 25. März 2021

Das geheime Hauptquartier Flaneids drohte aufzufliegen. Die Regierbarkeit war in Gefahr. Der Bürgermeister stand vor einer brennenden Frage.

Jessas, der Bürgermeister!“ Sozialassessorin Milli Minder sah durch einen Spalt im Vorhang auf den Hauptplatz und erblickte die Rückseite von Bürgermeister Daniel Grüner. Sie saß im an sich geschlossenen Gasthaus Unterganzner, das während des Lockdowns nur den Dorfgewaltigen zugänglich war, und der Bürgermeister gehörte nicht dazu. Olga Klotz, die regierende Vizebürgermeisterin, sah durch denselben Spalt, aber aufgrund ihrer Position einen anderen Arsch: „Jessas, ein Carabiniere!“ Jetzt wurde es ernst. Die Verwaltungsstrafe würde der Ausschuss noch verkraften, nicht aber, wenn er deswegen in den Fleischwolf beziehungsweise in die Medien kam.

„Was reden die?“, erkundigte sich Coelestin Unterganzner, der Wirt. „Versteht man nicht“, antwortete Minder. „Reden die Deutsch?“, fragte Schützenhauptmann Karl Treffer. „Was soll das jetzt?“, fragte Klotz zurück, die für volkstumspolitische Fragen schon allgemein keinen Nerv hatte und jetzt besonders nicht. „Nein, ich mein’ nur“, rechtfertige sich Treffer, „weil mit einem welschen Carabiniere kannst du reden, mit einem deutschen nicht.“ Gut, das war eine Überlegung wert.

„Pscht!“, ordnete Klotz an, „alle ruhig!“ Und auch für Minder hatte sie einen Auftrag: „Du behältst die Lage im Auge und machst regelmäßig Bericht.“ Der erste Bericht kam sofort: „Sie sind jetzt zwei Meter weiter weg.“ Hoffnung keimte auf.

Am Ecktisch saßen Bauernobmann Emil Harasser, Kaufleuteobmann Helmuth Kramer und Handwerkerobmann Seppl Rohrer. „Stein, Schere, Papier“: Bauern waren systemrelevanter als Kaufleute, Kaufleute systemrelevanter als Handwerker und Handwerker systemrelevanter als Bauern. Es ging unter anderem darum, wer moralisch mehr Anrecht auf Ausgleichszahlungen vom Land hatte.

„Da habt ihr die Rechnung ohne den Wirt gemacht“, redete Unterganzner beim Nachschenken dazwischen. „Vier Meter!“, „wir haben am längsten zu.“ „Dafür kriegt ihr wahrscheinlich auch am meisten“, mutmaßte Harasser. „Das, was da kommt, ist nicht einmal ein warmer Händedruck“, antwortete Unterganzner. „Der wäre ja wegen der Abstandsregeln verboten“, kommentierte Kramer.

„Fünfzehn Meter!“, meldete Minder. Das verschaffte wieder Luft für die Hauptbeschäftigung der Dorfhonoratioren: Um das Mus streiten. Vorsichtsmaßnahmen schienen dennoch angebracht. Unterganzner holte eine Packung Ohrenstäbchen und verteilte sie: „Das sind jetzt Nasenstäbchen, und ihr macht nun alle den Nasenbohrertest. Falls sie hereinkommen, dann haben wir wenigstens etwas richtig gemacht.“ „Wie oft muss man den drehen?“ „Mir wurscht, wenn sie hereinkommen, dann solltet ihr das Stäbchen in der Nase haben.“

„Vier Meter!“ „Hast du den Vordereingang überhaupt gesperrt?“, fragte Klotz den Wirt. „Weiß ich nicht, kann ich jetzt auch nicht nachprüfen, weil das knarzt“, antwortete Unterganzner. Klotz wurde nervös. Wenn ihr Hauptquartier aufflog, dann war die Regierbarkeit Flaneids nicht mehr gegeben.

„Für den Notfall brauchen wir einen Notfall“, sagte ein gefasster Feuerwehrkommandant Florian Lösch, der schon öfter mit solchen zu tun gehabt hatte, und schlug einen kontrollierten Brand vor. „Spinnst du?“, erschrak Unterganzner. „Überhaupt nicht“, antwortete Lösch ganz ruhig, „von der Versicherung kriegst du für den Schaden mehr als vom Land für den Corona-Ausfall.“

Null Meter. Der Bürgermeister und der Carabiniere traten ein. Feuerwehrkommandant und Wirt löschten gerade einen brennenden Stuhl, mehr hatten sie bei der kurzen Vorwarnzeit nicht in Brand setzen können. Die anderen waren hinter dem Budel versteckt. „Brandursache?“, fragte der Carabiniere. „Kurzschluss“, log Lösch sofort und fügte hinzu, „ihr könnt hier nichts mehr tun.“

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