Flaneid

Die Öffnung nach innen

Aus ff 17 vom Donnerstag, den 29. April 2021

Freiheit und Freibier sind nicht dasselbe, hängen aber stark voneinander ab. Und Wirt Unterganzners Existenz hing am seidenen Faden bzw. an einer Krawatte.

Nein, so funktioniert das nicht!“, sagte Coelestin Unterganzner und schüttelte grinsend den Kopf. Emil Harasser war wieder mit einem Ohrenstäbchen in der Nase ins Gasthaus gekommen und meinte, das genüge als Test für den Innenbereich. Als örtlicher Bauernobmann gehörte Harasser allerdings zu den Dorfhonoratioren und durfte das Lokal durch den Hintereingang betreten. Wie auch der Gemeindeausschuss, allerdings ohne Bürgermeister Daniel Grüner, der sich daheim vor dem Virus in Sicherheit gebracht hatte und von den geheimen Zusammenkünften nichts wusste.

Das Telefon von Olga Klotz, der regierenden Vizebürgermeisterin, klingelte. Es war der Bürgermeister. „Ich? Ich bin auf Lokalaugenschein“, log sie nur halb. Grüner berichtete ihr von den Schwierigkeiten, Freiwillige für die Coronatests zu finden. Die Bürger erwarteten sich das aber, damit sie wieder in die Gasthäuser durften. „Und du meinst, für ein Freibier würdest du genug Freiwillige finden?“, fragte Klotz und sah gleichzeitig Unterganzner fragend an. Der fuchtelte mit seinen Händen ein deutliches Nein. „Er überlegt sich’s noch“, log sie wieder nur halb und legte auf.

Unterganzner redete jetzt: „Wie soll ich kontrollieren, ob das Zertifikat auf eurem Handy echt ist.“ Harasser machte vorsichtshalber ein Selfie von sich und seinem Wattestäbchen in der Nase. Das Foto konnte er dann bei Kontrollen jederzeit herzeigen.

Drei finstere Gestalten betraten das Lokal, das aus Privacy- und anderen verständlichen Gründen nur schwach beleuchtet war. Erst unter der Glühbirne erkannte man sie: Klara Sparer, erst wiedereingestellt als Geschäftsführerin der Genossenschaftsbank, Erich Sperper, Direktor der Sparvereinsbank, und Sepp Madraz von der Bauernkassa. „Äh, hier dürfen sich nur Personen mit einem Grünen Pass aufhalten“, kam ihnen Unterganzner entgegen, „und natürlich der Inhaber.“ „Letzteres trifft auf uns zu“, antwortete Sparer und sah demonstrativ auf ihre Aktenmappe. „Das Lokal gehört eigentlich uns“, fügte Madraz hinzu, damit alle es verstehen konnten.

Unterganzner sah irgendwie kleiner aus. Wie andere Wirte hatte er seine vierzehn Hotels hauptsächlich mit Fremdkapital aufgepäppelt. Zusätzlich hatte er aber für jedes Hotel als Garantie das nächste angegeben. Sein Pech war, dass die Banken neuerdings miteinander telefonierten.

„Wollen wir das nicht hinten in der Zirmstube besprechen?“, stammelte er. Drinnen tischte er Champagner und Gänsestopfleber auf und was man sonst so einsetzt, um die Zinsen niedrig zu halten.

„Der Coelestin ist momentan schwer beschäftigt“, antwortete Klotz ihrem Bürgermeister, der immer noch auf die Freigabe des Freibiers wartete. Sie hatte noch nicht entschieden, was sie für Unterganzner antworten sollte. Er selbst würde da wahrscheinlich gerne mitreden, war dazu aber nicht in der Lage, weil ihm gerade in der Zirmstube die Krawatte zugezogen wurde. Nur eine Bauleitplanänderung konnte ihm noch Luft verschaffen. Sie hatte es also in der Hand. Oder ihn.

„Sollen wir innen aufsperren?“, fragte Klotz ganz demokratisch in die Runde. „Der Coelestin macht schon sonst genug Geschäft“, antwortete Schützenhauptmann Karl Treffer. „Würde das heißen, dass hier jeder herein darf?“, fragte Sozialassessorin Milli Minder. Die Position von Politik und Honoratioren war also klar, und Unterganzner wollte eigentlich auch nicht aufsperren.

„Kein Freibier“, gab Klotz dem Bürgermeister das Verdikt des Wirts durch. Dann wandte sie sich an die anderen Gäste: „Es bleibt dabei: Nur wir und der Inhaber dürfen uns im Lokal aufhalten.“ Unterganzner, der gerade aus der Zirmstube taumelte, erschrak, als er „Inhaber“ hörte.

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