Flaneid

Die Ablenkung der Welt

Aus ff 28 vom Donnerstag, den 15. Juli 2021

Fußball kann zu Rassismus, Bierbäuchen und Hirnschmelze führen. Die Flaneider Gemeindeführung fand hingegen eine vernünftige Nutzung.

Italien ist Europameister!“, sagte der Fernseher. „Genehmigt“, sagte der Gemeinderat, einer nach dem anderen. Und dann war es beschlossene Sache. Die Gemeinde hatte sich per Flachbildschirm das Spiel in den Sitzungssaal geholt, und so kam es, dass der Flaneider Gemeinderat das Ergebnis des EM-Finales absegnete. Wofür er gar nicht zuständig war. Formell hatte er etwas anderes beschlossen, etwas, das zwar mit dem Spiel in einem tieferen Zusammenhang stand, rechtlich aber überhaupt nicht. Doch von außen ergab sich das Bild, dass hier hinter den sieben Bergen wirklich ein Fußballspielergebnis beschlossen wurde, das in ganz Europa für Freudensprünge und Tränensäcke sorgte. Zum Glück konnte niemand von außen den Bildschirm sehen.

Olga Klotz, die regierende Vizebürgermeisterin, war zufrieden, dass alles so reibungslos über die Bühne gegangen war. Irgendwann würden die Räte begreifen, worüber sie hier abgestimmt hatten, und sie würden verstehen, dass es gut war. Und wenn sie es nicht verstanden, würde es zu spät sein. Doch wie war es dazu gekommen?

„Totaler Stillstand“, resümierte Olga Klotz beim morgendlichen Kaffee im Gasthaus Unterganzner mit „ihrem“ Bürgermeister, „in dieser Corona-Zeit haben wir gemeindetechnisch gar nichts gemacht, nur Notfall. Keinen Kreisverkehr, keine Feuerwehrhalle, keine neue Einbahn, keine Steuer-erhöhung …“ „Weniger ist manchmal mehr“, tröstete sie Daniel Grüner, der vor dem höchsten Amt jenes des Umweltassessors innehatte. „Das werden die Leute nie einsehen“, erwiderte Klotz, „sie wollen sehen, dass wir etwas tun.“ „Und die Kassa ist auch schon wieder leer“, steuerte Finanzassessorin Hedwig Helfer ihren Beitrag bei. Jetzt dämmerte es Grüner, worauf es hinauslaufen sollte: Um die ersten von Klotz genannten Punkte zu machen, brauchte es vor allem den letzten, den mit den Steuern. „Ja, aber“, fiel ihm als Erstes ein. Dann fiel ihm noch etwas ein: „Das, was getan werden müsste, bringt meistens einen Punkteabzug.“

„Nicht, wenn man es zur rechten Zeit macht“, erklärte ihm Klotz. Dann zog sie ihn ins Vertrauen: „Jetzt ist Europameisterschaft. Wirst sehen, in Rom werden sie nach dem Sieg die Steuern erhöhen, und niemand wird es merken vor lauter Jubel. Wenn Italien gewinnt, dann ist alles andere Nebensache.“ „Meinst du wirklich, dass alle jubeln werden?“, zweifelte Grüner.

„Ich nicht“, mischte sich Schützenhauptmann Karl Treffer ein, der die letzten zwei Sätze gehört hatte. „Wenn die Welschen gewinnen, dann ist in Bozen wieder ein Puff“, formulierte er landläufig seine Prognose für den Fall eines Sieges, „da müssen wir endlich dreinfahren.“

„Siehst du?“, fühlte sich Grüner bestätigt. Auch Klotz fühlte sich bestätigt: „Ist mir wurst, ob sie jubeln oder schimpfen, Hauptsache, sie schauen nicht auf uns. Fußball ist die schönste Ablenkung der Welt!“ „Und wie kriegst du das durch den Gemeinderat?“, fragte Grüner. „Ein bisschen abseits werden wir schon spielen müssen“, orakelte Klotz.

Die außergewöhnliche Gemeinderatssitzung am finalen Sonntag kam nur dadurch zustande, dass Klotz Bildschirm und Bier versprochen hatte. Sie ließ den Räten einen Packen Papier hinlegen, den niemand bis zum Ende durchlesen würde, einen Sammelbeschluss, der die Abwasser-, Müll- und Parkplatzgebühren erhöhte, eine Machbarkeitsstudie für eine Feuerwehrhalle enthielt (mehr ging sich nicht aus), einen neuen Kreisverkehr sowie die Umkehrung aller Werte und Einbahnen. Auch die Immobiliensteuer war gut im Stapel versteckt.

„So, Leute“, instruierte Klotz die Räte, „von mir aus schauen wir uns zuerst das Spiel an. Aber gleich nach dem Schlusspfiff will ich einen Beschluss.“ Und so kam es, dass …

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