Hunderttausende Menschen sind vor sechs Jahren aus Afrika und Asien nach Europa gekommen. „Wir schaffen das“, hat die deutsche Kanzlerin damals gesagt. Was davon geblieben ist.
Flaneid
Die Müdigkeit der Willigen
Aus ff 34 vom Donnerstag, den 26. August 2021
Flaneid versuchte alles, um die ungeimpften Jugendlichen zu erreichen. Es scheiterte zuletzt an der Ortung.
So kommen wir nicht sicher durch den Winter“, schärfte Coelestin Unterganzner dem Bürgermeister und den anderen Gemeinde-ausschussmitgliedern ein, die sich gerade in seinem Lokal aufhielten. „Ich rede jetzt für die ganze Branche“, sagte er, denn ihm gehörten alle Hotels in Flaneid. „Wenn die Infektionsraten weiter so steigen, machen sie uns alles wieder dicht“, tobte er, „und wie es aussieht, verbreitet sich der Virus vor allem unter den Jungen. Und die sind hauptsächlich ungeimpft.“ Und sie waren außerhalb -seines Einflussbereichs, denn seine Disko war gemäß Gesetz bereits zu.
„Sieht so aus“, bestätigte Gemeindearzt Kaspar Hertz, „es bräuchte einen sanften Zwang, um sie zur Impfung zu bringen.“ „Sanft? Das ist schon der Grüne Pass“, sagte Unterganzner, „von mir aus braucht es härtere Bandagen. Die treffen sich, wo sie wollen, und keiner hat die Kontrolle darüber.“ In den letzten Wochen hatte es immer wieder Meldungen über -nächtliche Ruhestörung gegeben. Der Gemeindeführung oblag es, auch den pandemischen Aspekt dieser Umtriebe im Auge zu behalten.
„Wir wissen ja ungefähr, wo sie sich treffen“, meinte Schützenhauptmann Karl Treffer, „ wenn wir sie dort vergrämen würden, wie Wolf und Bär?“ „Auch für Gummigeschosse braucht es ein Gutachten von der römischen Umweltbehörde“, wandte Bürgermeister Daniel Grüner ein. „Das hab’ ich nicht gemeint“, verteidigte sich Treffer. „Wir könnten sie ja vergraulen“, schlug Unterganzner vor, „das steht in keinem Gesetz und ist deshalb auch nicht verboten.“
„Maria zu lieben“, sangen Präsidentin Rosl Kranz und fünf auserwählte Mitglieder des Pfarrgemeinderats des Abends in der zwielichtigen Ecke zwischen Rathaus und Flaneider See. Dort trafen sich die Flaneider Jugendlichen gerne vor dem nächtlichen Ausschwärmen. Diesmal nicht. Gegen 23 Uhr brach Kranz die geistliche Musik ab: „So, jetzt werden die schon schlafen.“ „Äh, Rosl“, fragte Herta, die die Kerze hielt, „wann warst du das letzte Mal jung?“
Die Mitglieder des Anti-Jugend-Komitees trafen sich nach ein paar strengen Abenden wieder im Unterganzner, um ihre Strategie zu überdenken. „Wenn wir müde werden, werden die erst wach“, resümierte Unterganzner, „wenn wir die erwischen wollen, müssen wir länger aufbleiben.“
„Lasst uns das machen“, machte Treffer große Worte. Gesagt, getan. Zusammen mit sechs Kameraden und einem Fass Bier stand er auf dem Parkplatz neben dem Sportplatz. Dort harrten sie die halbe Nacht aus, damit der Platz nicht anderweitig besetzt werden konnte. Gegen halb vier kamen ein paar Jugendliche und dann noch mehr. Eine Weile standen sie sich wortlos gegenüber. Die Jungschützen begannen zu zweifeln, auf welche Seite sie gehörten. Dann zeigte einer auf das Bierfass: „Ist da noch etwas drin?“ „Logisch“, bot Treffer an. Und so standen sie zusammen die ganze Nacht dort, bis sie lagen.
„Wenn ihr euch von Halbwüchsigen über den Haufen saufen lässt, dann kommen wir nicht weiter“, schimpfte der Bürgermeister mit dem Schützen-hauptmann, dessen Brummschädel zu keiner Antwort fähig war. Er berief Mirko Pickel ein, Flaneids widerspenstigsten Jugendlichen, und teilte ihm mit, dass in Zukunft jede Zusammenrottung im Dorf geahndet würde. „Ok“, antwortete Pickel und ging wieder.
Diesmal kam die laute Musik vom Wald her, weitab vom Dorf. Grüner schickte seine Truppen los. Rosl Kranz schaffte es bis zum Bildstöckl auf Halbweg, Treffer bis zur Gamshöhe, was wiederum zu weit war. Als sie zur gesuchten Lichtung kamen, lagen dort nur mehr leere Flaschen. Die Musik spielte wieder anderswo.
„Was hilft gegen Jugendliche?“, fragte der verzweifelte Bürgermeister. „Die Pille“, antwortete Dr. Hertz, „aber nicht die blaue von Pfizer.“
Weitere Artikel
-
Ziel verfehlt
Entwicklungshilfe: (lp) Im Jahresprogramm für die Südtiroler Entwicklungszusammenarbeit wurden auch heuer wieder die zur ...
-
Geformter Zufall
Literatur – Gert Loschütz: (gm) Es ist ein brüchiges Erzählen im neuen Roman von Gert Loschütz, spröde und tastend. Im ...
Leserkommentare
Kommentieren
Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.