Flaneid

Ansteckende Feierlaune

Aus ff 36 vom Donnerstag, den 09. September 2021

Herbst, Schule und 4. Welle kamen gleichzeitig. Und damit auch die Frage, wer jetzt zurückstecken musste.

Hat jemand kontrolliert, was in den Erstklässlertüten drin ist?“, flüsterte Gastwirt Coelestin Unterganzner Bürgermeister Daniel Grüner ins Ohr. Der Gemeindeausschuss, die Vereinsobleute und die wichtigsten Wirtschaftsvertreter Flaneids standen Spalier, als die Kinder wieder zur Schule mussten. Oder durften – je nachdem, wie man das sah. Sie wurden von niemandem herzlich willkommen geheißen. Die Lehrkräfte ärgerten sich am Eingang über den Grünen Pass, und die Dorfhonoratioren beäugten die Schüler, die an ihnen vorbeimussten, skeptisch bis feindlich. „Das sag‘ ich dir“, sagte Unterganzner zum Bürgermeister, „wenn wir wieder zusperren müssen, dann sind die schuld.“ „Die marschieren da fröhlich in die Klassen, während wir auf unsere Feste verzichten müssen. Angeblich geht es heutzutage nicht mehr ohne Präsenzunterricht!“, ärgerte sich Musikkapellenobmann Blasius Stabser. „Weil sie sich beim Fernunterricht keine Schwindelzettel zustecken können“, unkte Seppl Rohrer, Hydrauliker und Handwerkerobmann.

Wenigstens die Ansteckungsgefahr in den Schulbussen war gebannt. Die Flaneider fuhren ihre Kinder wie schon vor Corona mit dem Privatauto zur Schule. Zu Fuß wäre es zu gefährlich, denn um diese Zeit waren viele Autos unterwegs, um die Schüler sicher zur Schule zu bringen.

Auch eine andere Ursache für das Infektionsgeschehen hatte sich in Flaneid erübrigt, wenigstens nach dem ersten Mal. Grüner hatte sich bereits gewundert, als der Sportverein um die Genehmigung für sein Wiesenfest angesucht hatte, und das bei den strengen Landesauflagen: Abstand, Grüner Pass, beschränkte Sitze, nicht Schunkeln usw. Mutig, hatte er sich gedacht. Dann hatte er das Fest besucht: Kaum eine der Auflagen wurde eingehalten. Er hatte von Amts wegen protestiert, war aber unter den Tisch gesoffen worden. Gleichzeitig mit dem Kater reifte in ihm am nächsten Tag der Beschluss, kein Fest mehr zu genehmigen. „Nein!“, flüsterte er deswegen zu Stabser, noch bevor dieser fragen konnte.

Als die letzte Volksschülerin durch das Einschüchterungsspalier durch war, musste auch der Bürgermeister etwas loswerden: „Und du fängst endlich an, den Grünen Pass zu kontrollieren“, sagte er zu Unterganzner. Auch das Land und der Gastwirteverband fanden, dass in den Gastbetrieben zu wenig kontrolliert wurde. Da Unterganzner aber Besitzer sämtlicher Hotels im Dorf war, kontrollierte er auch den örtlichen Branchenverband, ebenso wie den Tourismusverein und die Gemeinde. Außerdem hatte er ein Totschlagargument: „Soll ich am Eingang kontrollieren oder euch etwas aufschenken? Ihr habt die Wahl.“ Da der Gemeindeausschuss die meisten Beschlüsse im Gasthaus Unterganzner fällte, war das gar keine Wahl.

„Bürgermeister, mach das Fenster auf!“ Feuerwehrkommandant Florian Lösch, Schützenhauptmann Karl Treffer und Blasius Stabser von der Musik hatten sich zu einer Aussprache angekündigt, „wegen dieser Festgeschichte“. Treffer fehlte. Und sie hatten nicht gesagt, dass sie vom Hauptplatz aus mit ihm sprechen wollten. Wahrscheinlich sollten alle mithören können.

„Nein“, sagte er nochmals. „Horch, Bürgermeister“, sagte Stabser, „wir Vereine sind wesentlich für das Dorfleben. Wenn du uns nicht feiern lässt, dann musst du uns halt durchfüttern.“ Beiträge wollten sie also. Geld. Auch dazu hatte Grüner eine klare Antwort: „Wir werden sehen.“ Dann machte er das Fenster zu und sagte etwas, das sie nicht hören konnten: „Arschlöcher!“

„Das hab‘ ich gehört“, sagte auf einmal Karl Treffer hinter ihm. „Du?“, erschrak Grüner und wurde bald wieder amtlich: „Das sagst du denen aber bitte nicht.“ „Kommt drauf an“, antwortete Treffer und stellte den Bürgermeister vor die Wahl: „Fest oder Beitrag?“

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