Flaneid

Im falschen Film

Aus ff 42 vom Donnerstag, den 21. Oktober 2021

Bildschirme und Programme waren mit dem Digital-TV immer flacher geworden. Jetzt machte eine neue Umstellung auch der Politik Sorgen.

„Wo ist denn jetzt wieder der Bozner?“ Pfarrgemeinderatspräsidentin Rosl Kranz warf die Fernbedienung verächtlich auf die Couch. Ihr Neffe hatte sich einen neuen Fernseher gekauft und ihr den alten vermacht, aber der ginge noch, auch nach der Umstellung auf den neuen TV-Standard, hatte er ihr gesagt. DVB-T2, hatte er gesagt. Solche Namen suchten sich die Verursacher immer aus, wenn sie nicht wollten, dass das Zeug bekannt oder gar verstanden wurde. Kranz hätte am liebsten ihren alten Schwarz-Weiß-Fernseher wieder gehabt, ohne Fernbedienung, aber mehr als einen Kanal brauchte sie ja nicht, um das zu erfahren, was sie wissen musste, von der ersten Mondlandung bis zum letzten Wetterbericht. Sie nahm die Fernbedienung wieder in die Hand und drückte ein paar Knöpfe. Irgendetwas würde schon passieren.

Es passierte. Die Nachrichten waren wieder da, aber die Ansagerin sah ganz anders aus, sie sprach dauernd von Lasch, Schulz und Bockbier und ansonsten über die große weite Welt. War das die neue Technik?

Bürgermeister Daniel Grüner ging über den Dorfplatz. Vor dem Rathaus protestierte die Lehrerin Hedwig Zehnleser gegen die Impfpflicht, zwei Flaneider gingen ins Test-, zwei ins Impfzelt. Bauernobmann Emil Harasser stand im Parkverbot und beschimpfte den Gemeindepolizisten. Mehr war nicht los.

Rosl Kranz ging direkt auf ihn zu: „Bürgermeister, du kennst dich ja politisch aus. Kriegen wir jetzt die Grünen? Und der neue Landeshauptmann, dieser Schulz, wie ist der?“ „Rosl, zu viel Messwein?“, fragte Grüner. Beleidigt und enttäuscht ging sie weiter. Von Emil Harasser wurde er hingegen gefragt, ob es stimmt, dass die von der Leyen die Polen rauswerfen will, ob sie damit seine Klauber meint und: „Warum ist die jetzt so oft bei uns in den Nachrichten?“ „Die Flaneider spinnen jetzt alle“, hörte Grüner als erstes, als er ins Gasthaus Unterganzner kam, wo der Gemeindeausschuss zur Dringlichkeitsmarende einberufen war. „Da ist beim Sendersuchlauf etwas schiefgelaufen, und alle meinen jetzt, die Nachrichten, die sie gerade schauen, sind vom Sender Bozen“, erklärte Vizebürgermeisterin Olga Klotz der Runde. „Und sie glauben, die Ölpest, das Erbeben, die Hafenaufstände und die Koalitionsverhandlungen – das ist alles hier“, fügte Kulturassessorin Klara Teutsch hinzu.

„Müssen wir da etwas tun?“, fragte Grüner. „Unsere Zuständigkeit ist das nicht“, meinte Finanzassessorin Hedwig Helfer, stets ausgabenbewusst, „da müssen sich schon die in Bozen rühren.“ „Aber wollen wir zuschauen, wie unser Volk verblödet?“, fragte Grüner wieder. „Und wie es am Ende auch noch deutsche Verhältnisse will?“, assistierte Klotz.

„Das Volk hat immer recht!“, meldete sich Frieda Unterfertinger, Flaneids Vertreterin der direkten Demokratie, vom Nebentisch. „Das glaubst auch nur du“, antwortete ihr Klotz, „und die ganzen Fake News, die das Volk so zusammenglaubt? Die fünftausend Außerirdischen, die durch die Covidimpfung gestorben sind?“ „Ihr werdet schon sehen“, sagte Unterfertinger und knipste an ihrem Kugelschreiber herum, als wollte sie ihn warmlaufen lassen.

Der Gemeindeausschuss ging wieder in sich. „Gegen die Fake News können wir eh nichts tun“, resümierte Klotz, „da können wir auch warten, bis die Flaneider den richtigen Knopf an der Fernbedienung finden.“ Es wurde beschlossen, dass sich das Problem von allein lösen sollte.

Etwas schien sich zu bessern. Bürgermeister Grüner stand hinter Rosl Kranz in der Gemischtwarenhandlung von Emma Ladinser. „Hast du Graukäse?“, fragte sie. Sie kaufte also Einheimisches. Kleine Wirtschaftskreisläufe. Gut. „Ja, wie viel?“, fragte Ladinser. „Ein halbes Pfund“, antwortete Kranz. Oh Gott!

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