Flaneid

Der böse Blick

Aus ff 45 vom Donnerstag, den 11. November 2021

Immer wieder wurden erwachsene Flaneider von zornigen jungen Gesichtern angeschaut. Das schrie nach Gegenmaßnahmen.

Pfarrgemeinderatspräsidentin Rosl Kranz streifte sich die Nylonhandschuhe über und griff zielsicher nach den Bananen. Dann schaute sie hin und her, ob sie noch etwas Vitamin brauchte. Und immer wieder fiel da ein kleines Mädchen in ihre Augenwinkel, das sie ­dauernd anstarrte. „Du bist die kleine Greta von der Hedwig, gell?“ Greta sagte nichts, sah aber zornig drein. Kranz streifte sich die Handschuhe wieder ab und gab sie in den vorgesehenen Behälter. Die Bananen wurden vorschriftsgemäß im Nylon­sack verstaut. Greta schaute noch zorniger drein.

Ein Regal weiter griff Kranz nach vier verpackten Kaki (Styropor, Nylon). Gretas Augen wurden zu Schlitzen. Dann waren Jogurt und – ach, was! – ein Säckchen Gummibären dran. Greta wurde rot im Gesicht. Rosl Kranz flüchtete Richtung Kassa.

Endlich draußen! Sie brauchte jetzt dringend einen Kamillentee und ging auf das Gasthaus Unterganzner zu. Auf dem Platz verstreut sah sie ein paar Kinder. War es nur ihr Eindruck, oder schauten sie sie wirklich alle so böse an? Auf dem Platz gab es auch eine kleine Demo von Jugendlichen mit Transparenten. „Tut endlich was!“, stand auf dem größten. Obstbauer Emil Harasser hielt mit seinem Traktor an und ließ sich in ein Gespräch verwickeln. Das nicht gut ausging. „Ich tu arbeiten, und was tut ihr?“, sagte er und legte einen Kaltstart mit Rauchzeichen hin. Er fuhr aber nur bis zum Unterganzner.

„Ich glaube, die haben eine Nylonallergie, das soll heute weit verbreitet sein“, sagte Kranz, als sie Harasser und Bürgermeister Daniel Grüner, ihr Erlebnis vom Supermarkt schilderte. Grüner, der vor Erklimmung seines hohen Amtes Umwelt­assessor gewesen war, wusste es besser: „Sie sind zornig, weil wir ihnen die Zukunft klauen. Sie wollen, dass wir die Umwelt erhalten.“ „Und bis dahin wollen sie von uns erhalten werden“, feixte Harasser. Er sah sich um. Weiter hinten saßen fünf Jugendliche an einem Tisch. Sie hatten ihren Hals übers Handy gebeugt und kommunizierten, aber nicht miteinander. Hin und wieder schauten sie zu den Erwachsenen hinüber, zornigen Blickes. ­Grüner kannte den Ausdruck. Auch in der Werbung sah man immer öfter zornige junge Gesichter, zum Beispiel in der Waschmittelwerbung von Firmen, die sich selber grünwuschen. Da staute sich ein Generationenkonflikt am Horizont an.

„Irgendetwas müssen wir schon tun“, sagte Grüner, als würde er gerade eine Rede für den Weltklimagipfel vorbereiten. Auch Pfarrer Elmar Kaslatter konnte sich in die Jugend einfühlen. „Schon Jesus hat gesagt: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …“ Das nahm sich Harasser zu Herzen: Zornig wurde er. „Ich geh’ jetzt rüber und frag’ sie, was sie da andauernd zu glotzen haben.“ Dabei krempelte er die Ärmel hoch. „Lass’ das!“, hielt ihn Grüner zurück, „sonst wird alles noch schlimmer.“ „Was denn?“, wehrte sich Harasser, „den ganzen Tag Videos schauen und Strom verbrauchen, nachts mit der Vespa durchs Dorf fahren, Fast Food essen und Päckchen bei Amazon bestellen …“.

„Ja, aber wir sind wirklich auch nicht besser“, mahnte Grüner, „wir fahren zum Beispiel alle zu große Autos.“ „Ich fahre einen grünen Traktor, einen Fendt“, verteidigte sich Harasser. „Und wir essen zu viel Fleisch“, versuchte es Grüner weiter. „Ich esse immer auch etwas Gemüse dazu“, antwortete Harasser. „Die Diesel sind heutzutage viel sauberer“, meinte Handwerkerobmann Seppl Rohrer, „außerdem ist es nicht gesagt, dass es den Klimawandel wirklich gibt.“ Auch das noch! Nach Corona bahnte sich ein zweiter Religionskrieg an. Grüner kämpfte um Mäßigung: „Ich hab’ nur Angst, dass …“ „Und ich hab’ genug!“, sagte Harasser, verließ das Lokal und legte wieder einen Kaltstart hin. Der Krieg hatte begonnen.

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