Flaneid

Die Lasten der Alten

Aus ff 51 vom Donnerstag, den 23. Dezember 2021

Politische Gremien werden anders als chemische Stoffe zusammengesetzt. Es wird nicht gemischt, sondern geredet. Und dreingeredet.

Ja, wer bin ich denn? Das Christkindl?“, fragte Kulturassessorin Klara Teutsch, nachdem sie von mehreren Flaneider Kultur-vereinen mit neuen Geldforderungen konfrontiert worden war. „Warum sollst du’s besser haben?“, antwortete Finanzassessorin Hedwig Helfer, bei der alle Wünsche zusammenkamen. Der Gemeinde-ausschuss hatte sich wieder im Gasthaus Unterganzner getroffen. „Und, was sagt ihr?“, suchte Teutsch nach Solidaritätsbekundungen. Bürgermeister Daniel Grüner schaute auf seinen Kaffeesatz. Olga Klotz, die regierende Vizebürgermeisterin, deutete mit den Augenbrauen zwei Tische weiter: „Der muss nicht alles hören.“

Altbürgermeister Josef Palander, der bei seinen Nachfolgern immer noch den gebührenden Respekt vermisste, hatte es aber gehört. Und er wollte noch mehr hören, deswegen rührte er schon seit einer halben Stunde in seinem Kaffeesatz herum.

Teutsch stand auf und ging zu Palanders Tisch. Der, mit seiner Erfahrung, konnte ihr sicher sagen, wie man mit dem zunehmenden Anspruchsdenken der Bevölkerung umgehen musste. Sie erzählte ihm. Er antwortete nicht auf ihre Frage, sondern stellte eine neue, eine böse, denn zu Weihnachten war er wie die meisten Leute schlecht gelaunt.

„Du weißt schon, dass du nur im Ausschuss sitzt wegen mir?“, sagte er. „Nicht wahr!“, sagte sie, mehr erstaunt als verärgert. Er erzählte ihr, wie er fleißig telefoniert hatte, als es um die Zusammensetzung des Ausschusses gegangen war.

Teutsch war fassungslos. Sie war bis jetzt überzeugt gewesen, dass ihre Stelle mit ihrer Kenntnis oder mit ihrem Wählerzuspruch zu tun hatte. Sie wusste nicht, was sie Palander antworten sollte, und ging zum Ausschusstisch zurück.

Da Klotz momentan nicht da war, fragte sie notgedrungen den Bürgermeister und wollte eine klare Antwort. „Äh, Klara“, sagte Grüner, „du bist natürlich wegen der Vorzugsstimmen im Ausschuss. Ehrlich.“ Das überzeugte sie natürlich nicht. Schon dieses „Äh“! Sie sah Klotz aus der Toilette kommen und begegnete ihr auf halbem Weg. „Der Josef wollte dich für die Bauten“, sagte Klotz ohne Umstände. „Als Bauassessorin? Davon versteh’ ich ja nichts!“ „Vielleicht gerade deswegen.“

Hedwig Helfer und Sozialassessorin Milli Minder dämmerte es nach und nach, dass da bei der Ausschussbildung nicht alles so gelaufen war, wie es gesagt wurde. Nacheinander setzten sie sich zu Palander an den Tisch, hörten seine Geschichte und kamen dann blass zurück. Als hätten sie soeben erfahren, dass sie wertlose Findelkinder waren, nur von persönlichen Interessen Dritter in die Rathausstube gespült, bedrängten sie den Bürgermeister, ihnen endlich die Wahrheit zu sagen: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wann gibt es Mittagessen?

Grüner versicherte sie seiner väterlichen Liebe und Wertschätzung: „Glaubt mir, es waren die Vorzugsstimmen.“ Bevor er ihnen zur Beruhigung auch noch ein Wiegenlied sang, holte Klotz die ganze Szene wieder auf den Boden. „Du hättest die Finanzen übernehmen sollen und du den Sport“, sagte sie zu Minder und Helfer, die empört dreinschauten ob solcher Einmischung in Entscheidungen auf höchster politischer Ebene. Minder bewaffnete sich mit ihrer Handtasche und nahm schon Kurs auf Palander. Klotz hielt sie ab: „Beruhigt euch! Was hat er schon durchbekommen? Nichts!“

Palander war zu Amtszeiten, falls nötig, auch manchmal handgreiflich geworden, aber als die um einen Kopf größere Vizebürgermeisterin sich zu ihm setzte, ließ er solche Gedanken fallen. „Horch, Josef“, sagte sie und ließ die Finger-knöchel knacksen, „hör auf mit dem blöden Gerede, sonst kommen wir mit deinen Altlasten.“ „Ich hab’ keine Altlasten!“ „Und glaubst du, das glauben die Leute?“

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