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Flaneid
Die Krim im Keller
Aus ff 09 vom Donnerstag, den 03. März 2022
Die Flaneider bangten um den Erhalt der westlichen Werte und ihrer Heizung. Und bereiteten sich auf den Ernstfall vor.
Bumm!“ Gleich dreimal wurden die Flaneider an diesem Tag mit einem lauten Knall geweckt. Wer noch die Morgendämmerung im Kopf hatte, stellte sich die bange Frage, ob die Russen schon da waren. Die anderen erinnerten sich, dass die Flaneider Faschingsgilde den letzten Faschingstag immer mit Böllern einleitete.
„Hab’ ich einen Schreck gekriegt“, berichtete der Ziggl-Franz, der gleich nach dem Aufstehen ins Gasthaus Unterganzner gerannt war. „Mich haut sonst nichts so leicht um“, prahlte er beiläufig. Die anderen grinsten diskret. Wenn der Franz sich nicht am Budel halten könnte, wäre er längst umgefallen, wussten sie.
So richtig lachen wollte niemand. „In Zeiten wie diesen hätten sie auf den Böller-Blödsinn verzichten können“, meinte Feuerwehrkommandant Florian Lösch, der auch für Knallkörperunfälle zuständig gewesen wäre. „Brauch ist Brauch“, meinte hingegen Schützenhauptmann Karl Treffer. „So viele werden sich wohl nicht haben erschrecken lassen“, schätzte Bauernobmann Emil Harasser.
„Da irrst du dich gewaltig“, sagte Emma Ladinser, die sich – Fasching hin, Krieg her – von ihrer Kaffeepause nicht abhalten ließ, auch wenn die Flaneider vor ihrem Gemischtwarenladen Schlange standen. „Das Klopapier ist schon fertig“, sagte sie, „Kerzen und Zündhölzer auch.“
Die Flaneider fingen jetzt an zu horten. Hatte man sich bisher eindeutig in Sicherheit gewiegt und aus dieser Sicherheit auch da und dort Verständnis für den weit entfernten Zaren aufgebracht, so wurde man jetzt leicht nervös. Schließlich ging es jetzt nicht nur um das Leben der Ukrainer, sondern auch um die eigene Heizung. Oder um noch mehr. Sie kauften Öl, Mehl, Seife und jede Menge Dosenfutter. Und Batterien. „Wenn ich an das Hamsterrad einen Dynamo anschließen würde, hätte ich dann im Bad Licht?“, fragte Harasser. „Wenn du damit auch rasieren willst, würde ich ein, zwei Ratten kaufen“, riet ihm Lösch. „Ich werde im Gemeinderat einen Beschlussvorschlag einbringen, damit die Gemeinde künftig den Bau von Kachelöfen fördern kann“, kündigte Bürgermeister Daniel Grüner an. „Da wird der Krieg schon vorbei sein“, winkte Wirt Coelestin Unterganzner ab.
Die anderen zuckten zusammen, weil sie nicht abschätzen konnten, welches Kriegsende sich der Wirt vorstellte. Unterganzner war zuletzt als Putin-Versteher aufgetreten, mit Verweis auf die russische Seele und die Gasheizung in seinen Hotels. Zu einer Verteidigung des Angriffskriegs hatte er sich allerdings noch nicht hinreißen lassen. Er verurteilte ihn sogar ausdrücklich, hängte jedoch, wie die meisten Zarentreuen im Westen, immer ein „Aber“ an, das eine zweite Satzhälfte eröffnete und Platz schuf für die Weisheiten aus Moskau: das Gefühl der Einkesselung, der zunehmende Mangel an unterdrückbaren Völkern, das Recht auf Erweiterungsmöglichkeiten, das ja die Gastwirte auch für sich beanspruchten. Es entspannte sich eine bewegte Diskussion über abendländische Werte und tägliche Bedürfnisse.
„Hört auf, da herumzureden“, mahnte Bürgermeister Grüner, „irgendwie sollten wir uns schon vorbereiten, auch auf das Schlimmste.“ Im Notfall mussten die Flaneider in Sicherheit gebracht werden, war man sich einig. „Ich hab’ einen Keller“, bot Harasser an, „Wein und Speck ist da, Brot müsst ihr bringen.“ In Kriegszeiten war Letzteres das Teuerste.
Keller hatte Flaneid genug. Bei der demokratischen Zuteilung traf es aber Unterganzner, den Ziggl-Franz aufzunehmen. Jetzt zitterte der Wirt. Er hatte keine Weinfässer im Keller, sondern teuerste Flaschen. „Nein, das könnt ihr nicht …“, stammelte er. „Ruf halt den Putin an“, schlug Treffer vor, „und erzähl ihm, in welcher Gefahr sich dein Krimsekt derzeit befindet.“
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