Flaneid

Die große Unlust

Aus ff 21 vom Donnerstag, den 26. Mai 2022

Die Wirtschaft vermisste Arbeitskräfte, die Demokratie bewusste Bürger. War alles nur mehr zum Gähnen?

Ja? Nein? Boh! Pfarrgemeinderatspräsidentin Rosl Kranz studierte die beiden Plakate zur anstehenden Volksabstimmung, um endlich zu verstehen, worum es ging. Jede Seite drohte mit Weltuntergang, falls die andere gewinnen sollte – so viel war also schon sicher. Aber ein Referendum über das Referendum? In einem Kochbuch stand normalerweise, wie man etwas kochte und nicht, wie man Kochbücher schrieb. Kranz ärgerte sich, und das auch noch zu früh, da sie nicht ahnte, dass zwei Wochen später staatliche Referenden anstanden, bei denen man Ja sagen musste, wenn man dagegen war – und umgekehrt. Das war eine Strategie der römischen Politik, um dem Volk zu zeigen, dass es selbst nie imstande wäre, das Land zu regieren.

Die Gemeinde Flaneid war da bürgerfreundlicher. Bei Wahlen und anderen Ärgernissen stellte sie die Plakatwände in einer ruhigen Ecke hinter dem Rathaus auf, wo sie Touristen und rechtschaffene Bürger nicht belästigen konnten.

„Diesmal ist die Antwort ja wohl klar“, überfiel Frieda Unterfertinger, Flaneids glühendste Vertreterin der direkten Demokratie, die Pfarrgemeinde­ratspräsidentin aus dem Hinterhalt, worauf diese mit einem klaren „Äh“ antwortete. Und mit einer Frage: „Weißt du zufällig, was der Papst dazu empfiehlt?“ Unterfertinger war schockiert. Sie prophezeite Kranz diktatorische Zustände und die Beulenpest, denn mit dem Rest der Welt würde auch die Sanität zusammenbrechen.

„Geht uns das etwas an?“, fragte Bauernobmann Emil Harasser seinen Berufskollegen Emil Steiger, der mit ihm die Szene aus sicherer Distanz beobachtete. „Besser nicht, da kann man nur etwas falsch machen.“ Sie flüchteten ins Gasthaus Unterganzner. Unterfertinger schaffte es nicht, sie noch auf dem Kampfplatz einzuholen, und wurde desperat. Wollten die Bürger nicht mehr mit dem eigenen Kopf entscheiden?

„Keiner will mehr!“, fluchte Wirt Coelestin Unterganzner, als wieder kein Bewerbungsschreiben in der Post war. Seit Wochen suchte er Personal und bot dafür auch ordentliche Bedingungen, zum Beispiel einen Ruhetag, Farb-TV auf dem Zimmer, gutes Frühstück … „Wem sagst du das“, ärgerte sich auch Hydrauliker Seppl Rohrer, „ich suche schon seit Monaten, aber meinst du, auch nur einer von diesen Rotzlöffeln will heutzutage einen Schraubenschlüssel in die Hand nehmen?“ Kaufleuteobmann Helmuth Kramer, der halbtags gezwungen war selbst zu kassieren, winkte nur ab: „Die heutige Jugend …“

„Die Gemeinde sucht auch schon lange“, gab Bürgermeister Daniel Grüner bekannt, „einen Recyclinghofwärter, einen halben Polizisten … aber nichts. Die haben einfach keine Lust mehr, das haben sie wahrscheinlich im Lockdown gelernt.“

Harasser versuchte, die verzweifelten Arbeitgeber mit einer volkswirtschaftlichen Weisheit zu beeindrucken: „Wir haben halt Vollbeschäftigung, da kann so etwas schon passieren.“ Grüner sah Harasser und Steiger streng an: „Ihr zwei seht mir nicht gerade beschäftigt aus.“

Die Jugend von heute war an allem schuld und sah aus wie Mirko Pickel, der an einem anderen Tisch saß und noch zur Jugend gerechnet wurde, weil er aufmüpfig war und noch immer keinem bürgerlichen Beruf nachging. Wie auf ein Zeichen näherten sie sich ihm, mit besten Absichten. Pickel, ahnend, was ihm drohte, machte mit der Hand ein Stoppzeichen und entschied sich dann für den öffentlichen Dienst. Er winkte den Bürgermeister zu sich: „Flexibilität?“ „Haben wir“, antwortete Grüner. „Smart Office?“ „Haben wir auch.“ „Karrierechancen?“ „Beste!“ „Das heißt, ich kann auch Bürgermeister werden?“ „Äh …“

Auch Harasser und Steiger nutzten die ­Gelegenheit, um dem Bürgermeister eine Watschn zu verabreichen: „Wir gehen nicht zum Referendum. Dann habt ihr’s.“ „Wer wir? Und welches Referendum?“

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