Flaneid

Fla-Neid

Aus ff 28 vom Donnerstag, den 14. Juli 2022

Die Todsünde im Gemeindenamen offenbarte sich bei den Flaneidern immer wieder, wenn es um das Geld anderer Leute ging.

Schämen tät’ ich mich!“ Schützenhauptmann Karl Treffer legte die Zeitung weg und warf einen verächtlichen Blick auf Bürgermeister Daniel Grüner. Dieser saß wie üblich an seinem Stammplatz im Gasthaus Unterganzner und wartete auf den Gemeindeausschuss. Als erste trudelte Olga Klotz ein, die regierende Vizebürgermeisterin. „Kaffee!“, sagte sie und „Ist etwas?“ „Der da schaut so komisch“, antwortete Grüner und deutete auf Treffer hin, dessen Mundwinkel noch nach unten zeigten. „Ist etwas?“, wiederholte Klotz, diesmal Richtung Treffer.

Der Hauptmann knallte Grüner die Zeitung auf den Tisch: „Da. Die Bürgermeistergehälter werden schon wieder erhöht!“ Der Angeklagte überflog den Artikel. „Wieso schon wieder‘? Unsere Entschädigungen sind seit zehn Jahren nicht erhöht, einmal sogar gekürzt worden. Das bisschen Erhöhung holt nicht einmal die Inflation ein. Und weißt du, was wir für einen Aufwand …“

Wenn Treffer eines nicht vertragen konnte, dann waren das Argumente. Er hatte den Bürgermeister mit einem konkreten Vorwurf konfrontiert, und darauf erwartete er sich eine Entschuldigung, einen Rücktritt, einen Sprung aus dem Fenster oder sonst etwas Passendes.

Klotz las sicherheitshalber weiter in der Zeitung, um nicht den Blick mit Treffer zu kreuzen. Er erwischte sie trotzdem kalt: „Und du, was sagst du? Ist es euch Assessoren egal, wenn der Bürgermeister eine Gehaltserhöhung bekommt und ihr nicht?“ Sie atmete aus. Treffer hatte anscheinend nicht bis zu Ende gelesen, jedenfalls nicht bis zu der Stelle, wo es um die Aufbesserung für den Ausschuss ging. Jetzt musste sie entscheiden, was sie ihm antworten sollte. Gestandene Parteien – in diesem Fall die regierende Bürgerliste Harpf – hatten für solche Fälle zwei Auswege parat: Sie konnte sich vor den Bürgermeister stellen, um Treffers Giftpfeile abzufangen. Oder sie konnte geschlossen hinter ihm stehen, um ihm in den Rücken zu fallen. „Ja, du, weißt du, äh, ich glaube, so etwas sollte man zuerst in den Gremien besprechen.“ Das klang gar nicht nach Klotz, die ansonsten die Dinge und den Bürgermeister fest im Griff hatte. Aber es konnte halbwegs als Distanzierung durchgehen, ohne dass sie etwas gesagt haben wollen könnte. Grüner und Treffer waren gleichermaßen enttäuscht.

„Ist gar nicht so viel“, meinte Treffer und machte die Zeitung wieder zu. „Sag ich ja!“, sagte der Bürgermeister. „Dich mein’ ich nicht“, schnitt ihm Treffer das Wort ab. Was er meinte, war die jüngste Südtiroler Einkommensstatistik. Da war Gemeinde für Gemeinde aufgeschlüsselt, wie viel die Bürger im Schnitt verdienten beziehungsweise wie viel sie dem Staat sagten, dass sie verdienten, aber auch nur jene, die es dem Staat sagen mussten. Flaneid lag irgendwo unscheinbar im Mittelfeld, weder arm noch reich. Treffer wurmte das. Ein Spitzenwert wäre für das Selbstwertgefühl besser gewesen. „Besser so“, kommentierte Coelestin Unterganzner, der Wirt, „sonst kommen sie nachschauen.“ Das wurmte Treffer noch mehr, und er beschloss eine Strafaktion: „Zahlen! Mit Kassa-zettel!“ „Oha!“, erschrak Bauernobmann Emil Harasser, wollte aber nicht in den Krieg gezogen werden. Immer wenn es ums Geldverdienen ging, machten die Flaneider aus ihrem Namen ein Omen und rechneten einander vor, warum sie nicht verdienten, was sie verdienten.

„Ich geb’ einen aus!“ rief Bürgermeister -Grüner ins Lokal, „ihr sollt alle etwas von meiner Gehaltserhöhung haben.“ Treffer signalisierte mit einem ernsten Blick Anerkennung. Wenn unverdientes Geld für soziale Zwecke verwendet wurde, war es praktisch reingewaschen.

„Hast du richtig gezählt?“, flüsterte Grüner. „Beruhig dich“, antwortete Klotz, „es sind nur acht Leute im Lokal.“

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