Leserbriefe

Vom Nutzen des Konsenses

Aus ff 21 vom Donnerstag, den 25. Mai 2017

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Überparteilicher Konsens wird dort vorgeschrieben, wo ein eindeutiges Ergebnis nicht erwünscht ist. Wo die Mehrheit ihre Wunschlösung gefunden hat, ist er uninteressant.

Der Konvent arbeitet nach dem Konsensprinzip“ steht gleich in Artikel 1 des Landesgesetzes zum Autonomie­konvent Nr.3/2015 zu lesen. Wie sollen 33 zum größeren Teil nach politischen Kriterien nominierte Personen zu nichts weniger als der Generalrevision des Autonomiestatuts einen Konsens finden? Warum sollte nicht auch für ­diese Art „Bürgerparlament“ eine demokratisch-parlamentarische Arbeitsweise gelten, nämlich dass der überzeugendere Vorschlag sich durchsetzt? Das Forum der 100 des Autonomiekonvents hat die Tücken dieses Konsens­prinzips vorgeführt. In 14 Monaten hat das ­Forum nicht die Zeit gefunden, ein gemeinschaftliches Enddokument zu diskutieren und zu verabschieden.
So stehen in dem am 12. Mai dem Konvent vorgelegten Enddokument jede Menge Reformvorschläge nebeneinander, kunterbunt und ungewichtet, meist nicht das Statut selbst betreffend. Acht Gruppen und einige Untergruppen haben unabhängig voneinander Ideen gesammelt. Jeder wähle nun aus, was ihm passt, denn weder der Konvent der 33 noch der Landtag können einem solchen Dokument schlüssige Empfehlungen entnehmen. Nicht mal die acht Vertreter des Forums im Konvent können es, denn der Konvent der 33 wird schon im Juni abgeschlossen.
Dies alles erinnert an das mit „Konsensprinzip“ erzielte Ergebnis des Bürgerdialogs zum Direkte-Demokratie-Gesetz 2015. Am Ende standen die vielen sich widersprechenden Aussagen ungewichtet nebeneinander. Entsprechend leicht tut sich denn die Landtagsmehrheit, das Ganze links liegen zu lassen. Kuriosität am Rande: Das Forum der 100 wäre an so viel gesetzlich verordneten Konsens gar nicht gebunden gewesen, denn zum einen wird dieses Prinzip im Landesgesetz nur für den Konvent selbst vorgeschrieben, zum anderen schließt eine abschließende Diskussion und Gewichtung die vorausgehende Konsenssuche nicht aus.
Dass es ohne parlamentarische Konsenssuche natürlich weit einfacher geht, beweist das am selben Tag durch den Landtag gepeitschte Landtagswahlgesetz. Die Opposition ist es gewohnt, dass ihre Vorschläge und Initiativen zum großen Teil abserviert werden. Doch gehört es zur politischen Kultur einer Demokratie, gerade beim Wahlmodus den Konsens über Parteigrenzen hinaus zu suchen. Südtirols ­Demokratie funktioniert anders, denn am 12.5. sind fast alle Abänderungsanträge der politischen Minderheit geschlossen und ohne Diskussion abgeschmettert worden. Mit eindrucksvoller Fraktionsdisziplin haben SVP und PD der ­Opposition einen anderen Nutzen des Konsenses vorgeführt: Wenn wir intern Konsens gefunden haben, dann könnt ihr vorschlagen, was ihr wollt.
So blieben viele interessante ­Vorschläge für ein faireres und freieres Wählen, eingebracht vor allem von den Grünen und der Fünfsternebewegung, auf der Strecke: so zum Beispiel das Panaschieren (listen­übergreifende Vorzugsstimmenabgabe), die Geschlechterparität auf den Kandidatenlisten, das allgemeine Recht auf Briefwahl, eine Info-Broschüre an alle Haushalte für mehr Chancengleichheit bei der Wahlwerbung, die Deckelung der Wahlkampfausgaben der Parteien, die Regelung der Wahlwerbung von Verbänden und Vereinen, die Wahl der italienischen Landesräte nur durch die italienischen Landtagsabgeordneten. Nicht einmal die demokratisch sinnvollste Lösung für die Vertretung der Ladiner ­wurde ernsthaft diskutiert, nämlich die Bildung von einem oder zwei ladinischen Wahlkreisen mit einem oder zwei garantierten Sitzen für die Ladiner. Stattdessen setzte die SVP im Art. 56 eine Art Ad-personam-Passus durch. Künftig ist jener ladinische Kandidat, der die meisten Vorzugsstimmen erhält, „auf jeden Fall gewählt“. In der Postenplanung der SVP will man halt nichts dem Zufall überlassen.
Die Lehre daraus: Überparteilicher Konsens wird dort vorgeschrieben, wo ein eindeutiges Ergebnis gar nicht erwünscht ist. Überparteilicher Konsens ist dort uninteressant, wo die Mehrheit ihre Wunschlösung längst gefunden hat. 
Thomas Benedikter

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