Leserbriefe

„Einfach zu brutal“

Aus ff 26 vom Donnerstag, den 28. Juni 2018

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Rai Südtirol hat die Radio­sendung „Querschnitte“ aus dem Programm genommen. „Premiere“-Meldung in ff 25/18

Rai Südtirol hat die Radiosendung „Querschnitte“ aus dem Programm gestrichen. Das finde ich schade! Damit entzieht der Sender der zeitgenössischen experimentellen Musik ein wichtiges Forum, und er sperrt ihre Erzeugnisse aus seinem Archiv aus. Mir und vielen anderen Hörerinnen und Hörern geht eine Inspirationsquelle verloren.
Der Erfolg der Musik hängt vielfach von der Inszenierung ab. Der Aufmarsch einer Musikkapelle in Tracht wirkt. Das Popkonzert im Sportstadion versetzt Massen in Flow. Auf der Alm vor herrlicher Bergkulisse ist eine Steirische Ziehharmonika etwas anderes als im Wohnzimmer. Das Auge isst mit, heißt es. In Bezug auf die Musik könnte man sagen: das Auge hört mit. Im Radio ist die Musik auf sich allein gestellt.
Als Radiohörer müssen wir das Bild, die Kulisse, die Performance in unserem Kopf selbst erzeugen. Bei vertrauter Musik gelingt uns das leicht. Wir können in unserer Imagination den visuellen Kontext aus der Erinnerung abrufen. Vertraute Musik spricht uns deswegen unmittelbar an, auch wenn sie „nur“ aus dem Radio kommt. Wenn Musik aber in vollkommen unbekanntes und oft unwegsames Terrain vordringt, wie es die experimentelle zeitgenössische Musik tut, dann fehlen uns die entsprechenden Bezugspunkte. Es kommen uns auf Anhieb keine Bilder in den Kopf, weil wir diese Gegenden noch nie durchstreift haben. Wir können vorschnell aufgeben, oder wir können einen Guide in Anspruch nehmen. Die Sendung „Querschnitte“ ist ein solcher Guide.
Seit 2011 haben uns Manuela Kerer und ihre Moderatoren- und Komponistenkollegen Hannes Kerschbaumer, Mathias Schmidhammer und Alexander Kaiser immer wieder auf interessante, abwechslungsreiche Touren voller Überraschungen mitgenommen. Sie haben uns auf Besonderheiten am Wegesrand ebenso hingewiesen, wie auf das weite Panorama im Hintergrund.
Ich verstehe das Quotenargument des Senders. Aber dieses ist für mich nicht Grund genug, um „Querschnitte“ aus dem Programm zu nehmen. Wenn dir jemand hilft, deine Vorstellungskraft zu aktivieren, ist das ein Geschenk. Wer es schafft, zu den ungewöhnlichen Klängen der ­Avantgarde in seinem eigenen Kopf die entsprechenden ungewöhnlichen Bilder zu erzeugen, wird selber zum Künstler.

Armin Schönthaler, Laas

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