Schweden, das Virus und die Frage, was uns verschwiegen wurde. Und verschwiegen wird
Leserbriefe
Jedermann in Todesangst
Aus ff 37 vom Donnerstag, den 10. September 2020
Corona 2020: Als die Angst vor dem Tod unsere Gier nach Geld übertraf
Susanne Blasbichler, 18, Oberschülerin:
In Südtirol wird bereits jetzt über die Frage diskutiert, ob die Weihnachtsmärkte geöffnet werden können, während der Schulstart auf brüchigem Eis liegt. Bildung muss zurückstecken. Mittlerweile sind wir es gewohnt, heben nicht mehr die Augenbrauen, wenn uns ein weiteres Mal bewiesen wird, dass die Wirtschaft regiert, dass Bildung, Justiz und Politik sich vor ihr verneigen. Aber als Jedermann im gleichnamigen Theaterstück mit seiner Sterblichkeit konfrontiert wird, quält den gierigen Mann die Trennung von seinem einzigen Freund Mammon, die mit dem Tode einhergehen würde.
So besiegte auch, als wir uns im Februar mit einer unbekannten Pandemie mit ungekannter Stärke konfrontiert sahen, die Angst vor dem Tod die Gier nach Geld. Im Tod sind wir alle nackt und arm, ein Gedanke, den jeder Geldstapler ins tiefste Unterbewusstsein verdrängt hatte, bis Corona es ihm vor Augen führte. Das Wohl des Einzelnen wurde politisch über das der Gemeinschaft gestellt, besser viele Arme, viele Unglückliche, lieber verletzte man das Recht auf Bildung, schränkte Freiheit ein, hob den Motor der Welt, die Wirtschaft, aus ihren Angeln.
Was kann man im Jenseits kaufen, mit Euros und Dollars? Wenn man sie überhaupt mitnehmen könnte? Der Gedanke scheint uns makaber, der Gedanke an den Tod allgemein bereitet uns Unbehagen. In einer Welt der irdischen Genüsse ist er ein Spaßverderber. In einem Dasein, dass wir über Haben und Schein definieren ein Schreckensbringer.
Weg von der ökonomischen haben wir auf der soziologischen Ebene das physische Leben des Individuums über das soziale Leben der Gemeinschaft gestellt, denn heute gilt ja, dass ein halbes Leben besser ist als die Alternative, lieber dahinvegetieren als sterben, lieber ein unwürdiges Dasein als der Tod. Selbst sobald wir uns vor unserer buchstäblichen Todesangst befreit haben, ist sterben noch asozial, man muss an die Trauernden denken, deren Appetit man verdirbt, deren Kleiderwahl man einschränkt, nicht zu denken an die Kosten einer Beerdigung.
Kindern Interaktion zu verbieten und Jugendliche ihres Rechts auf Bildung zu berauben, die Lebensgrundlage erwachsener Arbeiter aufs Spiel zu setzen: grundsätzlich unvorstellbar. Liegt es jedoch auf der rechen Waagschale mit dem Tod einiger Menschen auf der Linken, schnellt es im Referenzsystem unserer Gesellschaft nach oben, ein Leichtgewicht verglichen mit dem großen Schrecken, kaum wagt man es, ihn beim Namen zu nennen, den Tod. Er ist uns fremd geworden - als würde er uns nicht alle betreffen, als würde er uns nicht alle treffen - zu einem schwarzen Loch, das jedes Argument frisst und jede offene Diskussion im Keim erstickt.
Weitere Artikel
-
Wir und die Gewalt der Natur
FILM – FESTIVAL IN TRIENT: (gm) „Der Film beschreibt den Konflikt zwischen Vergangenheit und Zukunft und Besitzenden und Besitzlosen“. So ...
-
Der Lockvogel
ff 35/20 über Roberto Zanin, den Bürgermeisterkandidaten von Mitte-rechts in Bozen
Leserkommentare
Kommentieren
Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.