Ausstellung – Foto Forum Bozen: Mika Sperling, in Russland geboren aber in Deutschland aufgewachsen, beschäftigt sich im Projekt ...
Leserbriefe
Hilfe und Schutz haben wir nicht bekommen
Missbrauch in der Kirche: eine persönliche Reflexion
Wie anders wäre mein Leben verlaufen, wenn damals, als ich ein siebenjähriges Kind war, jemand reagiert hätte und für mich eingetreten wäre? Es war in den 1980er-Jahren, und wie man mir sagte, „es war einfach so“.
Ein Bruder nutzte Kinder für seine sexuellen Übergriffe. Im Kapuziner-----kloster Lana gab es einen Täter, dessen Taten bekannt waren, ohne dass -konsequent gehandelt wurde. Mitwisser und Komplizen haben bis heute nicht reagiert und damit diese Geschichte des Klosters nicht aufgearbeitet. Heute wissen wir, dass Missbrauch häufig in Kontexten entsteht, die von Machtmissbrauch, Schweigen und Wegsehen geprägt sind.
Ich habe lange gezweifelt, ob ich diesen Brief schreiben darf, ob ich es wert bin, meine Stimme zu erheben. Doch immer mehr wird mir klar: Niemand kann unsere Erfahrungen nachvollziehen, wenn wir Betroffenen nicht selbst darüber sprechen. Nur so kann deutlich werden, wie sehr sexuelle Gewalt Lebenswege prägt.
Jeder Betroffene erlebt den Missbrauch anders. Doch es ist essenziell, zu erkennen, was diese Erfahrungen mit uns gemacht haben und ob wir es doch noch schaffen, zu den Menschen zu werden, die wir ohne die Gewalterfahrung geworden wären. Es ist notwendig, das Erlebte sichtbar zu machen – das Unrecht, das Leid und die Folgen des Missbrauchs. Gleichzeitig ist es wichtig, in sich selbst die Kraft und den Mut anzuerkennen, das Geschehene zu bewältigen. Es gilt, die Scham dorthin zu tragen, wo sie hingehört – zu den Tätern. Wie treffend sagte die 71-jährige Französin Gisèle Pelicot in ihrem Gerichtsverfahren: „Nicht ich bin das Opfer, sondern er war das Monster.“
Die Reaktion der Kirche empfinde ich nach wie vor als zögerlich und unzureichend. Auch wenn die Veröffentlichung des Untersuchungsberichts zur sexuellen Gewalt ein wesentlicher Schritt ist, um die Aufarbeitung auf eine neue Ebene zu bringen. Erstmals ist klar und schriftlich festgehalten, was geschehen ist. Nun bedarf es konkreter Zeichen und Maßnahmen, um den Betroffenen gerecht zu werden. Die Bemühungen der Kirche verdeutlichen zugleich eine weitere traurige Realität: Sie zeigen schmerzlich, dass auf gesellschaftlicher Ebene kaum etwas unternommen wurde, um den Missbrauch anzuerkennen, sprachfähig zu machen und die Betroffenen zu unterstützen.
Die Gesellschaft bleibt weitgehend schweigsam und vielleicht auch ratlos. Doch Unterstützung durch die Gesellschaft ist essenziell, Missbrauch ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Deshalb benötigen Missbrauchsopfer nicht nur persönliche Heilung, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung ihres Leids. Wir brauchen mutige Menschen, die Gewalt aufdecken, und Strukturen, die Missbrauch bestenfalls frühzeitig erkennen und verhindern oder falls geschehen, umgehend Hilfsangebote und Unterstützung geben. Wie heilsam kann es sein, die erlebte Ohnmacht zu überwinden und ein Gefühl der Gemeinschaft zu erfahren! Die Gesellschaft trägt eine Mitverantwortung, um eine Veränderung herbeizuführen.
Eine andere Betroffene brachte es einmal so auf den Punkt: „Ich habe mich dafür entschieden, meinen Bericht zur Verfügung zu stellen, in der Hoffnung, dass ich durch meine Erfahrungen dazu beitragen kann, Kinder besser zu schützen. So bekommt meine Vergangenheit einen Sinn und bewirkt etwas Positives für andere.“
Ich habe mich entschieden, anonym zu bleiben. Doch ich habe nicht als Einzige diese Erfahrungen gemacht. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Betroffene die Hilfe und den Schutz erhalten, den wir nicht bekommen haben.
Auch die Politik ist gefordert, das Thema aktiv aufzugreifen und den Betroffenen zu signalisieren, dass die Südtiroler Gesellschaft bereit und fähig ist, sich des Themas anzunehmen und wir nicht weiter schweigen oder uns hinter Anonymität verstecken müssen.
Das Kapuzinerkloster Lana wird wohl nicht die erste Anlaufstelle Südtirols für Opfer von Missbrauch und sexualisierter Gewalt werden, wo Orientierung geboten, Sensibilisierungskampagnen gestartet und sowohl betroffene Menschen als auch Informationssuchende Unterstützung finden oder an die passenden Stellen weitergeleitet werden.
Wie passend wäre es, abschließend eine Adresse anzugeben, wo sich Menschen melden könnten, die ihre Erfahrung aufarbeiten, ihre Stimme erheben oder die sich angesprochen fühlen, mitzuhelfen, Missbrauchsopfer zu unterstützen und Veränderungen anzustoßen. Doch diese Kontaktadresse bzw. Fachstelle mit Expertise fehlt bislang.
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